Eigentlich
hatte ich mir geschworen, mich zukünftig von diesen verstörenden
Geisterhäusern fernzuhalten. Nach dem ersten "Paranormal Activity"
mußte ich mir erst mal alles selbst-therapeutisch mit einem feuilletonistischen
Kommentar von der traumatisierten Seele schreiben. Aber hey, kaum schwärmt
einem jeder zweite amerikanische Journalist und Podcaster die Ohren über
die Qualitäten des Zweitwerkes des jungen und idealistischen Regisseurs
Ti West voll, sieht man sich keine Kosten und Mühen scheuen, um als bald
zusammen mit Claire und Luke im "The Yankee Pedlar" Platz nehmen
zu können.
Steile These: Beim Geschichtenerzählen ist man nicht zwingend auf Charaktertiefe
und -entwicklung angewiesen. Wie beispielsweise "Cloverfield" oder
zuletzt "Gravity" unter Beweis stellten.
Wenn man selbst zum Protagonisten und vom Geschehen mitgerissen wird, genügen
bereits ein paar breite Pinselstriche zur Zeichnung der Schicksalsgenossen.
"The Innkeepers" wiederum setzt, neben einer allenfalls mit der
Axt zu durchdringenden Atmosphäre, jedoch ganz auf seine Charaktere als
Eintrittspforte ins Geschehen. Das Hotel ist einer davon. Dann das als einer
der letzten Gäste sehr gelegen kommende Medium Leanne Rease-Jones. Sowie
die beiden Angestellten Claire und Luke als perfekte Identifikationsfiguren
für's Publikum. Die sind ein grundsympathisches Pärchen, dem man
nur zu gerne zusieht beim Plaudern, Albern und Herumhängen. Luke, der
ironisierende Klugschwätzer, dessen gewitzte Abgeklärtheit sich
sich natürlich mit dem ersten Auftreten von Kontrollverlust verflüchtigt
und die junge von sinnkrisenhaften Selbstzweifeln geplagte Claire. Selbst,
wenn während der 90 Minuten weiter gar nichts Außergewöhnliches
passiert wäre, hätte ich sie nicht als verschwendet empfunden.
Kritisch könnte man anmerken, daß der Film vielleicht ein, zwei
mal zu häufig auf Jump-Scares angewiesen war. Aber gleich der erste davon
entpuppte sich als ein sich entwaffnend seiner selbst bewußter, genre-referenzieller
Gag. Nett. "That works every time, haha!" In der allerletzten Einstellung
führt uns Ti West dann abermals und augenzwinkernd vor, wie sehr er sich
der Wirkungsmechanismen bewußt ist, wenn er die Vorstellungskraft des
Zuschauers herausfordert und zugleich unerbittlich berechnend mit seiner Antizipation
spielt.
Die erstaunlich effektive Wirkweise dieses und ähnlicher Filme beruht
vor allem darauf, den Imaginationsraum vom Bildschirm zu lösen und ganz
dicht an den Zuschauer heranzutragen. Das Geschehen räsoniert unmittelbar
mit unseren Instinkten. Wir betrachten den Horror nicht, wir werden ein Teil
davon. Die Gefahr lauert nicht irgendwo da draußen, wo sie objektiviert
werden kann. Es gibt hier keine Horde Zombies, die man aus seinen äußeren
und inneren Räumen aussperren könnte. Das eigentliche Grauen, das
ist die Furcht an sich. Wurzelnd in der Ohnmacht gegenüber Mächten,
die unser Begriffs- und Wahrnehmungsvermögen übersteigen.
Ti West deckt dabei sein Blatt ganz behutsam auf und läßt die übersinnlichen
Phänomene nur punktuell konkrete Formen gewinnen. Die Schockmomente sind
sparsam aber effektvoll gesetzt. Noch viel eindringlicher sind die Momente,
wenn der sich aufbauende Suspense zum schneiden dicht ist und die Anspannung
kaum auszuhalten, wenn man lauschend im dunklen Keller sitzt, bibbernd wie
ein Fünfjähriger, und sich dabei fast in die Hosen macht. Wenn man
allein und isoliert ist, als zweifelhafte Gesellschaft allenfalls die Geister
der Vergangenheit anwesend sind.
Warum sehen wir uns das überhaupt an, was zieht uns zu solchen Erfahrungen?
Vielleicht dient es dazu, unsere Ängste zu nähren. Vielleicht dazu,
sich ihnen zu stellen und sie zu verlieren. Am wahrscheinlichsten jedoch sind
Horrorfilme schlicht und einfach nur dazu da, um unserem archaischen Reptilien-Gehirn
in seinem zivilisatorischen Terrarium zu ein paar gymnastischen Turnübungen
zu verhelfen. Der Bursche langweilt sich doch so schnell und wird dann unangenehm
quengelig.
Mit zunehmendem Alter verlieren Horror-, Action-, oder Kriegsfilme allerdings
an Reiz. Man weiß schon vorher, was einen erwartet, und man sucht zunehmend
weniger die entfernten Extremsituationen, sondern nach schlichteren, alltäglichen
Szenarien, nach künstlerisch fein aufbereiteten psychologischen und zwischenmenschlichen
Wirklichkeiten, die näher an der eigenen angesiedelt sind. Der Mensch
in seiner ganzen komplexen Einfachheit bildet nach wie vor die eigentliche
Grundlage für die spannendsten Geschichten. Irgendwann beginnt einen
das Spektakel zu stören und es scheint vom eigentlich Interessanten abzulenken.
Himmel, ich glaube, in meinem kulturell-ästhetischen Reifungsprozess
befinde ich mich tatsächlich höchstens fünf Lebensjahre oder
zwei Kommentare meiner Filmkunst-Buddies davon entfernt, meinen ersten Film
von Ingmar Bergman sehen zu wollen.
Wie dem auch sei, noch hält die Neugier und Faszination nur wenig vermindert
an. Neue, geschickt die neuralgischen Angstpunkte massierende Varianten der
alten Lagerfeuer-Gruselgeschichten sind weiterhin willkommen. Die erregende,
stumme Herausforderung solcher Werke harrt einer Antwort. Wäre ich nicht
ein solch furchtbares Weichei, ich würde mir bei nächstbester Gelegenheit,
ohne zu Zögern, auch noch "House Of The Devil" ansehen.
- Heiko - 11/2013