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Under The Skin (2013)

*SPOILER*

In Jonathan Glazers Sci-Fi-Psycho-Horror-Sozialstudien-Fakedoku-Drama "Under The Skin" prallen die Widersprüchlichkeiten aufeinander und gehen eine bizarre Symbiose ein, die kein Rezipient irritationsfrei überstehen dürfte. Authentische, teils mit versteckter Kamera gefilmte, realitätscharfstellende und dann andererseits überstilisierte surreal wirkende Sequenzen. Nüchterne, bodenständige Alltagsbeobachtungen und dazu kontrastierend ein beunruhigender, zuweilen hypnotischer, zuweilen nervenzerrender, Geräuschkulisse inkludierender Soundtrack. Menschen und Umwelt in unmittelbarer Lebensnähe, bar jeglicher Intimität durch die Fischaugenlinsigkeit einer fremdartigen, isolierten Entität betrachtet. Ein schlichter, vor allem in der ersten Hälfte relativ repetitiver Plot und so gut wie überhaupt keine die vorhandenen Unklarheiten beseitigende Exposition, begleitet von umgemein reichhaltigem Subtext und Symbolismus. Scarlett Johansson, ein weitläufig bebilderter und prominenter Filmstar, völlig jenseits allen Glamours und aller Pose agierend. Zieht sie ihrer Figur situationsbedingt eine emotive humane Maske auf, sind nur wir als mittreibende dritte Person in der Lage ihr gruseliges Doppelspiel zu durchblicken.

"Under The Skin" ist die Geschichte eines Alien, welches seine Distanziertheit zur Welt und den Menschen zu überwinden trachtet, an den Erfahrungswirklichkeiten anderer teilhaben möchte, andere nicht länger allein als Mittel zum Zweck zu sehen bereit ist und aus seinem von außen aufoktruierten beziehungsweise angeborenen Rollenbild auszubrechen versucht. Es ist das zarte Erwachen von Emotion, Empathie, Individualität, dessen wir hier teilhaftig werden. Protagonistin Laura wächst durch unterschiedliche Begegnungen und Erlebnisse langsam über ihre anfängliche Funktion als extraterrestrische Venusmännerfalle hinaus. Wegstrebend von ihrer gleich in der ersten Realszene versinnbildlichten Austauschbarkeit, in welcher sie im kontur- und eigenschaftslosen Weißraum in die vorgegebene Form ihrer entleibten Vorgängerin schlüpft. Zuerst mit Anflügen, wie von kindlicher Neugier, zunehmend aber von erfahrungshungernden und im Inneren und Äußeren bindungsverlangenden Sehnsüchten getrieben. Tragischerweise bleibt ihr letzten Endes die Integration in den neuen Daseinsraum verwehrt - zu groß und fremdartig sind die mentalen und physischen Begrenzungen mit denen sie/es konfrontiert wird. So traurig. Und so realistisch.

Als allegorische Bebilderung einer psychischen Störung oder Krankheit läßt es sich ebenso zwanglos lesbar machen.
Der gebotene Interpretationsspielraum, die mehr oder weniger klar ausgeprägten und intendierten Themen und Metaphern, ihre konsequente detailreiche und virtuose Umsetzung sind es letztlich, die dieses Werk so außergewöhnlich und ungemein sehenswert werden lassen. Glazer parodiert zum einen fast schon das Rollenklischee von den schönen, für Männer begehrenswert erscheinenden Frauen in massentauglichen Filmproduktionen. Darüber hinaus prangert er die Objektivierung von Frauen abseits der Zelluloiddarstellung in der Gesellschaft an, sensibilisiert unsere Wahrnehmung oder regt zumindest zur Selbstreflektion derselben an. Daß er für die Hauptrolle Scarlett Johansson gewinnen konnte, als eines der klassischen, einer weiten Öffentlichkeit bekanntesten Sexsymbole der letzten Jahre, pointiert und unterstreicht als brillanter Casting-Kunstgriff diese Aussage zusätzlich noch.
Laura will sehen was unter der Haut verborgen ist, will jenseits der Oberflächlichkeit gelangen, will ihren eigenen selbstbestimmten Weg gehen und Agenda sowie Autarkie über ihren Geist und Körper (wieder-) erlangen. Will dem Kampf der Geschlechter und der mechanischen Verführung als lockstoffiger Beutefangmethode delikater Kerle eine klare Absage erteilen. Ganz egal, was ihre stoischen motorradfahrenden Kollegen (hat hier jemand das Wort "Zuhälter" gerufen?) und der Rest ihrer bornierten Zivilisation davon halten mögen.

Leider, leider, hat man drehbuchtechnisch das Finale etwas verkackt. Man muß das einfach so sagen. Das hat dann bei meiner Wertung mindestens einen oder zwei Punkte ausgemacht. Daß Lauras Selbstfindungs- und Befreiungsversuch (für den zum teil atemberaubende Szenen und Bilder gefunden werden) letztlich negativ endet, ist okay und eine pessimistische Haltung der Eindrücklichkeit des Themas wahrscheinlich am zuträglichsten. Nichts dagegen einzuwenden, daß die konservativen Kräfte sie wieder einholen, daß im Verlauf die reaktionären Arschlöcher doch noch gewinnen und sie gebrochen, wenn nicht gar völlig zerstört zurücklassen. Dieses allerdings konkret und ausgesprochen überraschend mit einem wortwörtlich dahergelaufenen Waldarbeiter zu tun, der sich nach freundlicher Begrüßung schnell als eiskalter und brutaler Sexualstraftäter enttarnt, ist erstaunlicherweise das unglaubwürdigste Handlungselement des ganzen Films. Dieser Twist trifft einen unsanft mit der Wucht eines thematischen Holzhammers von der Größe der schottischen Highlands. Wie konnte dieses Element bei all der überlangen Produktionszeit überdauern? Das Drehbuch ist doch sicher desöfteren überarbeitet worden. Wie konnte sich solch ein männerverachtend wirkender und in Diskrepanz zur vorhergehenden Ausgewogenheit und Nuanciertheit stehender Handlungssprung halten? Er zieht zwar nicht gleich den ganzen Film in Zweifel, schmälert aber seine Wirkung und Integrität. Das hat bei mir einen sehr schalen Nachgeschmack hinterlassen. Also, wie bringen wir denn nun die Story zu Abschluß? Zufälliger Vergewaltiger in Wald? Ach ja ... das könnte passen. Das ist jedenfalls interessanter und schockierender als wenn die Motorradgang ihres Heimatplaneten sie aufspürt, was der Zuschauer an diesem Punkt ja eigentlich erwarten würde. Außerdem betonen wir damit nochmals die destruktiven triebhaften Tendenzen des männlichen Geschlechts auf's nachhaltigste. Oh c'mon!! Die leider immer noch allzu häufig vorkommende unangemessene und einseitige Darstellung der Frau in den Medien zu kontrastieren gelang zuvor doch, wie gesagt, wunderbar. Ich vermag darüber hinaus kein schlüssiges Argument für diese selbstanklagende Szene zu erkennen. Einem Minus mit einem zweiten zu begegnen ergibt halt nur in der Mathematik ein Plus. Nope, auf diese Weise hämmert man kein um Ausgleich und Annäherung bemühtes feministisches Manifest ins Bewußtsein seines üpsilonchromosomen Publikums. Zumindest läßt das verzerrende Blendlicht dieses tonalen Ausreißers alles vohergehende nicht unangetastet: der sympathische und fürsorgliche Typ etwa, mit dem Laura früher zusammentraf, war dem zufolge wohl auch nur nett zu ihr, weil er sie ins Bett kriegen wollte. Eben nur eine weitere, anderspolare, rein zweckdienliche Strategie des selbstsüchtig zielorientierten männlichen Antriebs.
Sorry, daß ich so darauf herumreite, aber das Ende einer Erzählung ist nun einmal elementar wichtig. Ich erwarte keine totale Punktlandung, aber doch eine halbwegs stimmige Konklusion. Das hier hat mich echt gewurmt. Das war so unnötig.

Dennoch bleibt abseits dieses kleinen Schönheitsfehlers "Under The Skin" unterm Strich ein hypnotisches, stimmungsvolles, audiovisuell stimulierendes, thematisch herausforderndes, einzigartiges kleines Meisterwerk.
Zwei der erschütternsten Sequenzen der letzten Jahr(zehnt)e will ich abschließend doch nicht unerwähnt lassen. Die eine spielt am steinigen Atlantikstrand und die andere in einer dunklen Umkehrung der Ursuppe. Hilflos herumtreibende und -liegende Männer und ein hilflos weinendes Baby. Nix für die Zartbesaiteten unter uns. Ich wollt's auch nur mal abschüttelungsversuchstechnisch gesagt haben. Loslassen wird's mich auch ausgesprochen allerdings wohl noch lange nicht. Das gilt natürlich ebenso für Lauras Entpuppung und anschließende Auslöschung. Diese wissen einen sehr zu berühren und bleiben im Gedächtnis. Schade, daß ich in diesen letzten Momenten noch zu sehr mit Augenrollen beschäftigt war. Im Rückblick werden die Bilder und Emotionen allerdings wieder deutlich sicht- und spürbar, vermitteln sich so ungemein elementar herzergreifend und visuell poetisch.
Okay, hier noch ein Fun Fact, der keiner ist, am detailverliebten Rande: durch den krassen Dialekt der schottischen Bevölkerung dürfte ohne Untertitelung wahrscheinlich selbst ein englischer Muttersprachler, abseits von Scarlett, kaum ein gesprochenes Wort verstehen. Was sinnigerweise beiträgt zum vorherrschenden Gefühl von Entfremdung, Fremdheit, Befremdlichkeit, in welches man hineingeworfen wird. Außerdem unterstreicht es noch einmal den zutiefst cinematischen Ansatz von "Under The Skin", auch im Kontrast stehend zur eher satirisch gefärbten Buchvorlage die angeblich keine ausdeutbaren Unsicherheiten hinterläßt, wenn die Dialoge zur Nebensache geraten dürfen und man trotzdem oder gerade deswegen das Wesentliche mitbekommt.
So. Jetzt will ich zeitnah unbedingt auch noch "Birth" sehen. Schön, daß, wie der Zufall es so will, bei mir im Regal seit längerem eine Kopie desselben liegt. Bin schon sehr gespannt. Es wird wirklich mal Zeit.
Wird dort ebenso wie hier an den Grundfesten der Wahrnehmung und der Selbstverständlichkeit der Existenz gerüttelt? Bleibt man mit Fragen und Einsichten zurück?

tldr:
Es liegt eine grundlegende Tragik darin, wenn eröffnetes Potential unausgeschöpft bleibt, wenn die einzigartige Schneeflocke sich auflöst, noch bevor sie sich herauszukristallisieren vermag. Und es liegt eine grundlegende Tragik begründet in unaufgelöster Vereinzelung.

- Heiko - 08/2014