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Interview mit Andreas Dölling, Webmaster von fanzine-index.de

Das "zine with no name" ist die elektronische Weiterführung des "Nonkonform"-Fanzines, das von 1993 bis 1999 in vier gedruckten bzw. kopierten Ausgaben erschien und sich wiederum als eine Art Nachfolger des "Giants Lore"-Fanzines sah, das von 1988 bis 1990 publiziert wurde. Mehr zu unserer Historie haben Martin und Heiko hier zusammengetragen.

Traditionell warb man für das eigene Fanzine, indem man Hefte an andere Fanzines zur Besprechung schickte und einige Flyer dazu legte, mit denen die aktuelle Ausgabe beworben wurde. Diese wurden dann hoffentlich von dem anderen Herausgeber mit seinem Fanzine verschickt, so daß den Fanzines, die man mit der Post bekam, oft einige kleine Zettel in teils abenteuerlichem Layout beilagen.

Leser von Fanzines bekamen so einen Überblick über die Hefte, die ihr spezielles Interessengebiet behandelten. Als Ursprungsland der Fanzines gelten die USA - dort gab es auch erste Kataloge, die versuchten, die höchst aktive Szene zu erfassen. Der erste mir bekannte deutsche Fanzine-Index wurde unter diesem Namen 1989 mit einer Auflage von 500 Stück herausgeben, die 6. Auflage erschien 1994 und hatte laut Impressum "4500 bis 6000 Stück" Auflage.

Verantwortlich dafür waren die "Musik Komm. GmbH/Zentrum für Musik und Kommunikationstechnologie" und das "Rockbüro NRW/Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit in NRW". Inwieweit diese Arbeit danach fortgeführt wurde, ist mir nicht bekannt (für geschichtliche Hinweise bin ich dankbar), doch wurde 1999 im Ventil-Verlag in "Fanzines 2 - Noch wissenschaftlichere Betrachtungen zum Medium der Subkulturen" unter dem Titel "Index '99 - Fanzines aus Deutschland, Schweiz, Österreich und Luxemburg" das Ergebnis einer Fragebogenaktion von Pete Lilly, Uwe Husslein und Nico Schürger veröffentlicht, bei der rund 1000 Fanzines angeschrieben worden waren. Knapp 250 Fanmagazine (von "Bierfront - Alles was Trinkern Spaß macht" über "Marianne Rosenberg News" oder "Unser Hund - Die Zeitschrift für den Geist" bis hin zu teils heute noch existierenden Szenegrößen wie dem "Ox" oder dem "ZAP") waren darin mit Adressen und Eigendarstellungen aufgeführt.

In "Zines! - Fandom Research 2001", wieder im Ventil-Verlag erschienen, brachte man den Index auf den neuesten Stand. Während im Jahr 1999 nur wenige Fanzines eine Internet-Domain hatten, aber oft schon eine mail-Adresse, verfügte die Mehrheit (über 160) nun auch über eine eigene Seite, entweder als Werbemittel oder als Ergänzung zum Heft.

Erst Ende der 90er Jahre wurde es für einen Großteil der Fanzine-Macher möglich und interessant, ihre Texte im nun rasant wachsenden Internet zu publizieren; Mitte der 90er war Netzzugang außerhalb von Universitäten und großen Firmen die Ausnahme. Blogging-Dienste wie Wordpress gab es noch nicht, weshalb der Code der Seiten entweder per Hand oder mit speziellen Editoren erstellt werden mußte.

Für 2002 war eine Neuauflage des Fanzine-Index im Ventil-Verlag geplant, die aber nie erschien. Erst 2005 wagte sich Andreas Dölling an die Aufgabe, alle Fanzines im deutschsprachigen Raum zu katalogisieren, indem er das Projekt fanzine-index.de startete.

Andreas, natürlich haben wir deinen Namen vor dem Interview erst einmal gegoogelt ;-). Hat Google Recht damit, daß du hauptberuflich Web-Entwickler bist? Welchen Bezug hast du zur Fanzine-Szene und was waren deine Gründe, den Index ins Leben zu rufen? Kanntest du die gedruckten Vorgänger und warst bzw. bist du selbst fanzinemäßig aktiv?

In der Tat arbeite ich als Web-Entwickler, was mir damals den Aufbau von fanzine-index.de natürlich erleichtert hat. Zum Googeln von Namen sei mir noch der Hinweis auf Namensvettern erlaubt. Ich selbst habe, glaube ich, sechs oder mehr. ;) Einen dieser Andreas Döllings habe ich sogar mal persönlich bei einer PopKomm getroffen. Etwas seltsam war das schon...

Zu Fanzines bin ich ursprünglich als Rollenspieler gekommen. Rollenspiel nicht im Sinne von Theater, sondern von Spielen wie "Das Schwarze Auge", "Traveller" oder "Shadowrun". Zu jener Zeit schrieb und zeichnete ich Beiträge für Fanzines aus diesem Bereich und machte schließlich meine ersten eigenen Gehversuche mit einem Heft namens "The Smilin' Cyborg", von dem aber nur zwei Ausgaben erschienen. Dann war einige Jahre Pause, bis ich 1994 zusammen mit vier anderen Mitstreitern das Fanzine "Blut im Stuhl - aber zum Arzt geh ich nicht …" gründete. Wir nutzten es als Plattform, um unsere Vorliebe für absurden Humor in Comics und Kurztexten auszuleben. BiS brachte es auf über zwanzig Ausgaben sowie diverse Radiosendungen und Lesungen. Und natürlich lernte ich über BiS dann andere Herausgeber von kleinen Publikationen kennen, aus den verschiedensten Sparten. Gerade das - der Kontakt zu anderen Aktiven - begeisterte mich besonders, und ich dachte mir, daß es schön wäre, wenn man den Austausch zwischen Fanzinern verstärken könnte.

Natürlich waren wir auch ein paar Mal bei der PopKomm, angemeldet beim damals berühmten Fanzine-Stand. Über die PopKomm bekam ich denn auch den gedruckten Fanzine-Index von Husslein und Co. (das war doch dessen Verzeichnis bei der PopKomm, oder?) in die Hände und fand den klasse, weil ich darüber wieder neue Hefte und Leute kennenlernte. Etwas später entdeckte ich dann das Internet und kam schnell auf den Gedanken, daß das doch genau das Medium ist, um die Vernetzung zwischen Fanzines zu verstärken, sich kostengünstig und mit (theoretisch) großer Reichweite gemeinsam zu präsentieren. Tja, und so entstand fanzine-index.de. Ich wollte eine vollkommen unkommerzielle Plattform von einem Aktiven für Aktive der Fanzinewelt. Und - nicht zu vergessen - ich wollte mehr Fanzines überhaupt ins Netz bringen. Wir sprechen vom Jahr 2005! ;) ...

Dauerte es lange, bis sich die ersten Zines meldeten? Hattest du die Resonanz, die der Index nach relativ kurzer Zeit bekommen hatte, erwartet? (Das "zine with no name" war der 50. Zugang ...).

In der Tat lief es anfangs extrem schleppend. Es gab halt kein Facebook, kein Twitter, und die meisten Zines, die ich kannte, waren noch gar nicht im Netz vertreten. Ich machte also Werbung über persönliche Briefe an die Herausgeber, mit denen ich in Kontakt stand, und über Anzeigen in Fanzines. Für eine großangelegte Werbekampagne fehlten mir sowohl die Lust als auch die Mittel, ich setzte auf Mundpropaganda. Nach einer Durststrecke von sicherlich ein bis zwei Jahren - ich weiß es nicht mehr genau -, in denen die Zahl der angemeldeten Fanzines bei unter 50 dahindümpelte, wurde fanzine-index.de dann plötzlich von der Punk-Szene entdeckt. Das brachte innerhalb kürzester Zeit einen Riesenschwung Neuanmeldungen. Von da an lief es, und es kamen jeden Monat neue Hefte hinzu, auch aus anderen Sparten.

Mit fanzine-index.de hast du hauptsächlich eine Plattform zur Eigendarstellung der Fanzines geschaffen, die Herausgeber waren auch selbst für die Pflege ihrer Daten verantwortlich. Gab es trotzdem persönliche Kontakte zu den Machern?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin über fanzine-index.de wieder auf neue Leute und deren Publikationen gestoßen. Zu Hause habe ich daher mittlerweile eine ganz ansehnliche Fanzine-Sammlung. Ein paar der Herausgeber habe ich dann auch mal persönlich im echten Leben getroffen, andere habe ich über eine fanzine-index.de-Fragestunde ein wenig näher kennengelernt. Noch wichtiger aber ist mir, daß ich von mehreren Fanzinern gehört habe, daß sie über fanzine-index.de neue Kontakte zu anderen Zines geknüpft haben, auch über Genre-Grenzen hinweg. Das hat mich besonders gefreut.

Redaktionelle Einflußnahme fand im Fanzine-Index nicht statt. Gab es trotzdem Fälle, wo du ein Fanzine aus dem Index geworfen hast? Haben sich z.B. Fanzines aus dem rechten Spektrum angemeldet? Falls nicht: Wie sieht deine grundsätzliche Haltung zu dieser Problematik aus? Hätten bei Publikationen mit z.B. rassistischen Inhalten auch für dich als Betreiber der Seite rechtliche Schwierigkeiten auftreten können, wenn deren Macher im Fanzine-Index mit Verlinkungen auf ihre Online-Auftritte etc. präsent gewesen wären?

Ich habe schon versucht, mir zumindest einen groben Eindruck von den angemeldeten Zines zu verschaffen. Eine gründliche Recherche konnte ich allein schon aus Zeitgründen nicht leisten. Grundsätzlich wollte ich die Bandbreite von fanzine-index.de möglichst weit halten, weil ich das Ganze eben als möglichst repräsentative, offene Plattform sah und es nicht als Club betreiben wollte. Bestimmte Grenzen muß man aber natürlich ziehen, nicht nur aus rechtlichen Gründen. Ich wollte keinen Extremisten, egal ob Rechts- oder Links- oder Religionsextremisten eine Plattform bieten, mußte aber nur ein einziges Mal ein entsprechendes Zine ablehnen. Daneben habe ich übrigens auch mehrere Publikationen nicht aufgenommen, die zu eindeutig kommerziell waren: Das waren zum Teil eher Produktkataloge oder Websites, hinter denen Werbeagenturen standen, oder die nur aus einer einzigen Ausgabe bestanden, also keine Magazine waren.

Was das Inhaltliche angeht, so habe ich auch auf soziale Kontrolle gesetzt, sprich: daß mich andere Fanziner auf problematische Inhalte aufmerksam machen. Die rechtliche Seite sieht noch einmal anders aus: Die habe ich, wie mir im Frühling dieses Jahres in einem Gespräch mit einem befreundeten Juristen bewußt wurde, immer unterschätzt. Es geht dabei nicht nur um problematische Inhalte, sondern auch um Verstöße gegen Urheber- bzw. Nutzungsrechte (etwa beim Kopieren von Plattencovern oder dem Nutzen von Pressefotos) und gegen Persönlichkeitsrechte (etwa bei der Veröffentlichung von Fotos, auf denen Privatpersonen zu sehen sind). Genau diese Problematik hat mich dazu veranlaßt, fanzine-index.de zumindest fürs erste einzustellen, denn als Betreiber wäre ja immer ich der erste Ansprechpartner bei Rechtsverstößen, auch wenn ich selbst für diese Verstöße nicht verantwortlich wäre.

Welches waren oder sind deine Lieblings-Fanzines? Wie müßte ein Fanzine aussehen, das es noch nicht gibt, aber deiner Meinung nach unbedingt noch ins Leben zu rufen wäre? Finanzierbarkeit oder zu obskure Themenwahl sollen bei deiner Entscheidung keine große Rolle spielen, es sind also auch sehr skurrile Ideen willkommen.

Puh, die Frage nach Lieblingszines ist fast so unbeantwortbar wie die nach Lieblingsbüchern, -liedern oder -filmen. Ich habe so viele fantastische Hefte in der Hand gehabt, daß ich eigentlich nur ein paar nennen kann, die mir jetzt spontan in den Sinn kommen. Ich mag zum Beispiel den "Kosmischen Penis" aus Schweinfurt sehr. Er ist sicherlich eines der dienstältesten Fanzines und kommt mit einer ganz eigenen, mir sehr sympathischen Haltung daher, die es schafft, Quatsch und Absurdes mit ganz klassischen Themen eines Punk- und Szeneblatts zu verbinden und dazu noch mit einem charmanten Lokalpatriotismus. Klasse auch die Publikationen von Mika Reckinnen (unter anderem eine Ausgabe in einer Zigarettenschachtel und eine in einer Klopapierrolle - und inhaltlich gerade auch im "Alleiner Threat" mit Tiefgang und Selbstironie) und von Calin Kruse (sein Magazin "dienacht" haut einen allein schon optisch um). Das Punk-Zine "Human Parasit" fand ich ebenfalls gut. Als Comic-Freund mag ich auch das "Plop". Und legendär ist die Ausgabe des "Dosierten Lebens" in Form einer Getränkedose in der Optik des Covers von "Never Mind the Bollocks". Alle gerade genannten habe ich deshalb auch in der fanzine-index.de-Fragestunde interviewt. Aber ich habe schon wieder ein schlechtes Gewissen, weil ich jetzt so viele gute Zines nicht genannt habe. Im Grunde finde ich es schon super, wenn jemand einfach ein Fanzine macht.

Ist mit der großen Verbreitung und dem kostengünstigen Zugang zu Websites, Blogs etc. etwas von der handwerklichen Faszination des Fanzine-Machens und somit auch etwas Signifikantes verlorengegangen? Anders formuliert: Können html-Editor, Photoshop und Wordpress wirklich Schere, Pritt-Stift und den heißgelaufenen Kopierer im Copy-Shop, aus dem man sein Werk entnahm wie ofenwarme Brötchen beim Bäcker, ersetzen oder ist das nur ein nostalgisch verklärtes Relikt aus einer Zeit, als man Tauschpartnern noch bespielte Tapes im Brief und keine mp3-Dateien per Mail rund um den Globus zuschickte?

Ach, ich weiß nicht. Ich habe die Frage nach Druck versus Web auch gerne meinen Interviewpartnern gestellt, aber ich denke, es gibt da keine objektiv richtige Antwort. Ich persönlich mag einfach gedruckte Hefte, aber ich mag auch Schallplatten und alte Bücher. Das ist also etwas ganz Subjektives. Auch im Internet gibt es wirklich beeindruckende Projekte, bei denen ja auch ganz andere Dinge möglich sind als bei einem gedruckten Magazin, die beispielsweise spontaner und tagesaktueller agieren können. Auch der Austausch mit den Lesern und unter den Lesern geht im Netz viel besser. Gedruckte Hefte hingegen kann man mit sich herumtragen und jemandem persönlich in die Hand drücken. Und sie haben den Charme, daß sie aufgrund der geringen Auflage rar sind. Letztlich aber muß ein Zine inhaltlich überzeugen - egal ob gedruckt oder digital.

Gibt es noch ein quasi "klassisches" Fanzine-Bewußtsein oder hat sich durch individuelle Formen wie Blogs und durch spezialisierte Internetforen mit teilweise redaktioneller Struktur etwas Neues entwickelt? Wobei letztere ja den Gemeinschaftscharakter, wie er bei einem gedruckten Fanzine gegeben war (falls nicht einer allein alles schrieb), durchaus weiterführen - etwa mit Themen-Specials oder mit realen und nicht nur rein virtuellen Treffen der Mitglieder/Nutzer.

Bei der Beantwortung dieser Frage würde ich mich ins Reich der Spekulation begeben, denn auch wenn ich Fanzine-Herausgeber war und viele Zines kenne, habe ich mich nie wissenschaftlich mit Fanzines bzw. der "Szene" befaßt. Ich würde aber mutmaßen, daß ein verbindendes Bewußtsein und ein Gemeinschaftsgedanke eine eher kleine, zumindest aber eine sekundäre Rolle spielen. Ich glaube, es gibt sehr, sehr viele Zines, die ganz oder hauptsächlich von einem Einzelnen getragen werden. Dabei geht es vermutlich in erster Linie einfach darum, seine eigenen Gedanken in die Welt zu senden. Wie gesagt: Das ist Spekulation. Ich würde aber jedenfalls nicht behaupten, daß die Fanzine-Welt 1994 oder 2000 besser oder schlechter war als 2011.

Wie definierst du besonders mit Blick auf die veränderte Medienlandschaft der letzten 10 bis 15 Jahre und deren Möglichkeiten die Rolle eines Fanzines? Welches Ziel sollte sich ein Print- oder Online-Fanzine setzen? Gibt es bei diesen Zielen Besonderheiten, die nur eine der beiden Erscheinungsformen wirklich befriedigend umsetzen kann bzw. sollte? Welche Fehler sind zu vermeiden?

Die Medienlandschaft der letzten 10 bis 15 Jahre … da überschätzt ihr mein entsprechendes Fachwissen ja schon wieder. ;-) Ich sehe für Fanzines diesen Antagonismus von Print und Web gar nicht. Ich finde eher, daß das Internet mit den heutigen Möglichkeiten, die auch Nicht-Nerds immer mehr Spielräume geben, eine schöne Erweiterung des Wirkungskreises von Fanzine-Schaffenden ist. Die Website unseres Fanzines "Blut im Stuhl" beispielsweise war nicht einfach nur ein digitales Archiv der gedruckten Ausgaben, sondern bot eine Reihe eigener Inhalte, auch solche, bei denen die Leser mitwirken konnten. Genau das ist ja ein Vorteil im Web, daß man das Publikum viel direkter einbeziehen kann.

Außerdem nutzten wir die Website, um kleinere Texte zwischendurch loszuwerden, um Fotos von Lesungen und Mitschnitte von Radiosendungen zu veröffentlichen und anderes mehr. Ich mochte unsere Website, hätte sie aber niemals als Konkurrenz oder Ersatz für das Heft gesehen. Mein Mitherausgeber Tobi hatte die Angewohnheit, immer einen Stapel Hefte im Auto zu haben. Und wenn er an der Ampel oder im Stau stand, dann reichte er schon mal Hefte in die Nachbarautos rüber. Das ist doch super und kann durch das Versenden eines Links per E-Mail niemals ersetzt werden. Aber ich sehe schon: Ich beantworte hier die vorletzte Frage noch einmal. Das Thema scheint mich doch zu reizen. ;)

Was Ziele und Fehler betrifft, so wird das jeder für sich selbst herausfinden müssen. Aber was heißt müssen? Das Gestalten eines eigenen Fanzines ist doch unter anderem gerade deswegen so begeisternd, weil es keine Regeln und Konventionen gibt. Natürlich gibt es Dinge, die für Leser anstrengend sind (etwa zu klein gedruckte oder zu lange Texte - besonders online ein K.O.-Kriterium, zuviele Insider-Gags, für die gewählte Vervielfältigungstechnik nicht geeignete Vorlagen und anderes), aber das Unperfekte hat wiederum oft einen ganz eigenen Charme. Zudem ist es auch ein schönes Gefühl, wenn man nach einigen Ausgaben das erste Heft mit dem letzten vergleicht und feststellt, daß sich das Zine enorm weiterentwickelt hat. Für mich war bei unserem Fanzine das Hauptziel, zusammen mit coolen Leuten etwas Cooles zu machen. (Und natürlich wollten wir berühmt werden!) Als wir merkten, daß die Luft raus war, wir uns zu wiederholen und das Schaffen neuer Beiträge als Arbeit zu empfinden begannen, gönnten wir unserem Magazin anno 2010 folgerichtig ein Ende in Würde und stellten es ein.

Wie viele Zines waren im Index aufgeführt, bevor du ihn im April 2011 vorerst eingestellt hast? Und mal ganz praktisch gefragt: Wieviel Zeit hast du eigentlich in Spitzenzeiten mit dem Index verbracht? Ist bei einem solchen Projekt tägliche Präsenz gefordert? Wie umfangreich muß man sich deinen Arbeits- und Verantwortungsbereich vorstellen?

Es waren um die 300, also nur ein Bruchteil der tatsächlich existierenden Fanzines. Dafür, daß ich so gut wie keine Werbung gemacht habe, allerdings ganz ordentlich. Der Zeitaufwand war gar nicht besonders hoch. Am meisten Zeit habe ich in die fanzine-index.de-Fragestunden investiert, aber das war ja Lust und nicht Arbeit. Der Index an sich funktionierte ja schon von der Idee her ohne ständige Betreuung. Ich denke, wer ein einigermaßen gutbesuchtes Forum moderiert, hat deutlich mehr zu tun. Andernfalls wäre es für mich auch gar nicht machbar gewesen, weil ich noch für eine ganze Menge anderer Dinge Zeit haben möchte oder muß und zwischendurch auch noch gerne die hohe, aus der Mode kommende Kunst der Muße pflege.

Kannst du etwas zur Verteilung nach Genres und dem Verhältnis der reinen e-zines zu Zines, die sowohl gedruckt als auch im Netz erscheinen, und zu den reinen Print-Zines, die das Netz nur als Werbeplattform nutzen, sagen? Ich habe ja den Eindruck, daß die reinen Print-Fanzines langsam verschwinden, da auf Amateur-Ebene mit Blogging-Software oder -Seiten praktisch kostenlos und ohne große technische Vorkenntnisse publiziert werden kann. Viele Blogs sind heute ja das, was man früher als Ego-Zines bezeichnet hat.

Ich habe dazu jetzt keine Zahlen, aber bei fanzine-index.de waren die Print-Zines nicht nur deutlich zahlreicher, sondern ihre Herausgeber auch deutlich aktiver. Letzteres hängt vermutlich damit zusammen, daß bei Web-Zines nun mal alle Inhalte auf der jeweiligen Website zu finden sind. Den Machern genügt also im Grunde der reine Link bei fanzine-index.de. Ausgaben im eigentlichen Sinne gibt es oft nicht, während bei Print-Zines eine neue Nummer immer ein Anlaß ist, mal wieder ihren Eintrag aufzufrischen.

Ich persönlich habe nicht den Eindruck, daß gedruckte Heftchen kurz vor dem Aussterben stehen. Sie haben eben bestimmte Eigenschaften, die noch immer viele Menschen mögen. Allein schon hinsichtlich der Wahl von Format, Material und Drucktechnik gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Und trotz Webfonts hat ein anspruchsvoller Gestalter bei gedruckten Publikationen auch typografisch viel mehr Möglichkeiten. Ich denke, wir müssen noch keine Angst um das gute alte Papier-Zine haben. ;)

Was übrigens die Genres angeht, so war der Anteil von Punk- und Hardcore-Zines bei fanzine-index.de am größten. Ich vermute, das liegt daran, daß diese Szene einfach sehr aktiv und vernetzt ist. Ich bin aber froh, daß fanzine-index.de insgesamt eine sehr breite Palette an Themen bot. Oft sind Fanzines ja auch nicht einem einzigen Genre zuzuordnen. Daher habe ich auch bewußt darauf verzichtet, die Zines in Kategorien einzuordnen, sondern auf lockere Verschlagwortung gesetzt. Erstaunlich fand ich im übrigen, daß bis zuletzt die Resonanz aus dem Sportbereich sehr gering war.

Im professionellen Journalismus stehen die Bereiche Print und Online oftmals in Konkurrenz zueinander, zum einen aus kommerziellen Gründen, aber auch aus "ideologischen" (Blogger contra "etablierte" Print-Journalisten). Siehst du bei Fanzines eine ähnliche Situation, also daß z.B. gedruckte Fanzines solider und anspruchsvoller arbeiten als die Online-Konkurrenz, weil sie nicht kostenlos sind und daher etwas bieten müssen? Oder spielt die Konkurrenz zwischen verschiedenen Erscheinungsformen hier keine große Rolle, stehen also z.B. mehr das Handwerklich-Organisatorische und die Produktionskosten im Vordergrund?

Ich denke, das anfängliche Schießen gegen Blogger seitens der klassischen Zeitungen rührte vor allem aus der Angst vor unliebsamer und noch dazu kostenloser Konkurrenz her. Die Besorgnis ist ja verständlich, aber das Argument, Online-Medien seien grundsätzlich leichtgewichtiger als Print-Medien, wird dadurch nicht stichhaltiger. Das wird aber heutzutage auch kein noch so etablierter Journalist mehr ernsthaft bestreiten.
Es gibt enorm gute Blogs und Online-Zeitschriften, und es gibt Trash - genau wie bei gedruckten Zeitungen. Wenn der Anteil von nicht so dollen Publikationen im Internet tatsächlich spürbar größer ist, dann dürfte das ganz einfach damit zusammenhängen, daß die Hürde für das Veröffentlichen im Netz logistisch viel niedriger ist. Salopp gesagt: Manch einer rotzt mal eben schnell etwas Halbgares ins Internet, das er weniger veröffentlichenswert gefunden hätte, wenn er dazu den Herstellungsprozeß für ein gedrucktes Magazin hätte in Angriff nehmen müssen. Das macht aber das Internet als Veröffentlichungskanal nicht minderwertig oder Print-Magazine grundsätzlich besser als ihre Pendants im Netz.

Kannst du noch mal die Gründe nennen, die zur vorläufigen Einstellung des Fanzine-Index führten? Dir ist die Entscheidung offensichtlich nicht leicht gefallen - und du warst überrascht von der Resonanz darauf. Du hast auf der Website erwähnt, daß der Index eventuell in Zusammenarbeit mit einer Universität oder einer anderen kulturellen Institution neu ins Netz gehen könnte. Wäre da nicht das "Archiv der Jugendkulturen" in Berlin ein Kooperationspartner? Gibt es dazu schon was Neues?

Ich habe fanzine-index.de aus reiner Vorsicht stillgelegt, nicht wegen eines konkreten rechtlichen Verfahrens. Allerdings halte ich die Vorsicht für sehr begründet. Ein Freund von mir ist Jurist mit dem Schwerpunkt Medienrecht. Mit ihm habe ich mich im Frühling, wie schon erwähnt, länger unterhalten. Es ist mir ganz einfach nicht möglich, alle Inhalte bei fanzine-index.de auf rechtliche Unbedenklichkeit hin zu prüfen - weder logistisch noch fachlich, also habe ich die Konsequenz gezogen. Ob und wann es weitergeht, kann ich nicht sagen. Natürlich war es sehr ermutigend, daß so viele Fanziner mir geschrieben haben. Mit so einer Resonanz hatte ich gar nicht gerechnet.

Ich muß aber zugeben, daß ich mich noch nicht um einen möglichen Neustart gekümmert, sondern es sogar ein wenig genossen habe, ein Projekt weniger an den Hacken zu haben. ;) Wenn es einen Neustart gibt, dann muß er Hand und Fuß haben. Das würde eine technische Generalüberholung einschließen. Das verlangt natürlich Zeit, die ich im Moment tatsächlich nicht habe. Aber das Thema spukt mir weiterhin im Kopf herum. Wenn ich es zeitlich hinkriege und eine rechtlich saubere Lösung finde, die gleichzeitig praktikabel ist, dann werde ich den Neuaufbau sicherlich angehen. Es sei denn, jemand anderes ist schneller: Solange es ein Projekt ist, das vor allem auf der Freude an Fanzines basiert, heiße ich jede "Konkurrenz" willkommen.

Wir danken dir für die Zeit, die du dir genommen hast!

Danke euch für euer Interesse und viele Grüße an alle Fanzine-Freunde!

Nachtrag: Am 7. Dezember 2011 ging fanzine-index.de wieder online. Die rechtlich problematische Möglichkeit, eigene Inhaltsauszüge einzustellen, wurde gestrichen. Ebenso ist ein neues Layout geplant.


Interview: Martin und Stefan (06-07/2011), Einleitung: Martin
Coverabbildungen: Fanzine-Archiv von Stefan und Martin