Zur Rubrik "Musikmacher"
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Man darf ihm mit allem kommen - nur nicht mit dem Begriff Krautrock. Dann wird John Weinzierl, Gitarrist von Amon Düül II, sauer. Weil Krautrock, das sind Truppen wie Birth Control und Guru Guru, die nicht erst heute auf der Nostalgiewelle schwimmen. Der Mann, der sich in seinem Leben genau zwei Platten gekauft hat ("The Piper At The Gates Of Dawn" von Pink Floyd und "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" von den Beatles), spricht von seiner Band hingegen mit einem Feuer, als hätten sich Amon Düül II erst gestern und nicht schon 1967 gegründet. Ein Hausbesuch in München, April 2009.

John, 2003 habe ich Euch zum ersten Mal im Hirsch in Nürnberg gesehen. Ich kannte Euch vom Namen, hab mich jedoch mehr oder weniger aus Neugier zum Konzert verlaufen. Nach den ersten drei Liedern hat mich meine Freundin am Ärmel gezupft und gefragt: "Sag mal, was machen denn die da oben?". Und ganz ehrlich: Ich konnte es ihr nicht sagen ...
John Weinzierl (belustigt): Was haben wir denn gemacht?

Eine Art von Rockmusik, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Vor allem nicht live.
Weinzierl: Aha. Cool!

Wie würdest Du die Musik von Amon Düül II jemandem beschreiben, der noch nie zuvor von der Band gehört hat?
Weinzierl: Puh, das hat sich inzwischen sehr gemischt. Früher war es ganz eindeutig psychedelischer Underground. Das hatte ganz klar die Studentenunruhen der späten 60er Jahre als Hintergrund. Wir haben bei den Sit-Ins und Teach-Ins in den Akademien und Universitäten gespielt, wir waren der Lautsprecher dieser Untergrundszene. Im Grunde ging es uns darum, nicht diese Vier-Minuten-Pop-Liedlein zu kultivieren, wie es schon die ganzen Amerikaner und Engländer gemacht haben. Wir wollten Musik machen, aber nicht diese anglophone Standardscheiße. Ganz wichtig war jedoch: Wir waren eine Kommune - ein großer Stamm. Und da wurde halt musiziert. Da haben auch die Kinder mitgespielt von zwei bis 15 Jahren, wer halt da war. Daraus hat sich alles entwickelt.

Aber irgendwann war das nicht nur die Stammesgeschichte, nicht mehr nur ein vor-sich-hinspielen. Wir haben Kompositionen gemacht, die auffällig länger waren, haben Lieder wie klassische Suiten oder Symphonien aufgeteilt in A-, B- und C-Teil mit mehreren Stimmen und so was. Eben nicht diese Fünf-Minuten-Liedchen "I love you, you love me" - das war's halt nicht. So fing das alles an.

Und heute? Ich weiß nicht ... Das hat sich alles so sehr verändert. Musik ist heute völlig überzogen, völlig überreizt. Überall, wo die Industrie hinfasst, geht alles kaputt. Heute gibt es kaum noch Clubs in Deutschland, wo wir spielen können - nur noch eine ausgesuchte Perlenkette, die sich durch Deutschland zieht. Heute muss man als Musiker eigentlich alles spielen, ein Disco-Zitat genauso wie Techno bringen können und dennoch dein eigenes Werk machen. Das ist etwas, was sich immer mehr mischt - und auch wir sind wieder auf der Suche. Deshalb kann man heute nicht mehr sagen, es ist reiner psychedelischer Underground. Das ist aber immer noch da!

Worauf ich heute wieder Wert legen würde, ist das Wort Underground. Weil diese ganze Middle-Of-The-Road-Scheiße kann sich ja keiner mehr anhören. Die gehen alle zu Dieter Bohlen, verkaufen schnell mal ein paar Platten und sind dann schon wieder weg vom Fenster. Die eigentliche Musikkultur ist jedoch untergegangen. So gesehen sind wir im Augenblick vielleicht anti-industrielle Undergroundmusik ... (lacht).

 

Gab es Euch immer oder hattet Ihr Euch zwischenzeitlich mal aufgelöst?
Weinzierl: Wir sind ja nicht nur eine Kapelle, sondern die Kapelle Amon Düül II ist eigentlich das Sprachrohr oder der professionelle musikalische Rahmen der Kommune Amon Düül. Die Kommune gibt es noch immer. Natürlich leben wir nicht mehr alle zusammen. Es gibt Zeiten, da lebt man zusammen und es gibt Zeiten, da lebt nicht zusammen. Das ganze ist ja auch ein soziologisches Experiment, bei dem jede Menge Dynamiken entstehen.

Als wir am Anfang als Kommune zusammengekommen sind, war das eine unglaubliche Bereicherung. Du hast plötzlich zehn Leute oder mehr, und jeder bringt etwas ein. Und das muss jetzt nicht nur ein Auto sein oder Miete, sondern jeder bringt ja auch einen kreativen Prozess, andere Erfahrungen, andere Richtungen, andere Sehnsüchte ein. Plötzlich hast du ein unglaublich dickes Ding, das wahnsinnig interessant ist und wo es nie langweilig wird. Du brauchst kein Fernsehen, keine Medienscheiße, um dich abzulenken. Du hast alles. Das war das Gute. Nach einer Weile - das kommt so in der Gruppendynamik - wirst du immer mehr abhängig von der Gruppe. Auch bei uns ist ein Punkt gekommen, an dem keiner mehr alleine überlebensfähig war. Die Gruppe ist wie eine Familie, und wenn du alleine auf die Straße gegangen bist, dann ging das nicht. Es ging nur noch mit der Gruppe. Als das immer schlimmer wurde, haben wir beschlossen, uns zu trennen, bis jeder wieder autark ist ... um dann neu zusammen zu kommen. Insoweit kann man nicht sagen, Amon Düül gab es immer. Wir haben natürlich auch Pausen gehabt, in denen jeder was anderes gemacht hat. Ich war mal in Australien, Chris hat irgendwelche ethnologischen Soloprojekte gestartet, die er bis heute verfolgt. Es verströmt sich so. Aber es ist immer alles aus der Familie Düül gewesen.

Was ist aus Amon Düül I geworden?
Weinzierl: Gab es nie.

Okay. Woher kommt dann die II?
Weinzierl: Die II war der Ausdruck für die professionell spielende Musikabteilung der Kommune Amon Düül. Die Kommune ist eigentlich, wenn man es genau nimmt, die richtungsweisende Lebensform für die Zukunft. Die Drei- oder Vier-Generationen-Familie ist ja eigentlich schon seit Jahrzehnten tot. Es gibt sie noch ein bisschen in Italien und an ein paar Plätzen im ländlichen Frankreich, ansonsten ist das weg. Was jedoch die wenigsten Leute mitkriegen, weil sie so verdammte Industriezombies sind: Ganz bestimmte Informationen werden nur in solchen Gemeinschaften weitergegeben. Also mindestens in einer Drei-Generationen-Familie. Die kannst du nicht in der Schule oder einer Ein- oder Zwei-Generationen-Familie weitergeben, das funktioniert nicht.

Es geht einfach um die Mehrfältigkeit des Bewusstseins, die sich in unserer heutigen Familienform nicht mehr entwickeln kann. Und das wird ja immer schlimmer: Jetzt werden die Kinder in der Gesamthochschule möglichst schon mit einem Jahr weg von der Mutterbrust in irgendwelche Krippen gepackt. Da kann man es ja gleich machen wie in Rumänien mit irgendwelchen Heimen ... Der Familienansatz, dieser menschliche Ansatz, ist absolut verloren gegangen. Als wir damals anfingen mit der Kommune, da haben wir nur gesehen: Was die Erwachsenen da machen, das ist der letzte Schrott. Das war nicht auszuhalten. Der gesunde Menschenverstand hat uns gesagt, dass das scheiße ist, deshalb sind wir weg, sind zusammengezogen und haben mal so gelebt, wie wir dachten, dass es richtig ist. Und das hat sich ja auch bewährt.

Wenn du dich umschaust, siehst du, dass wir uns immer mehr zu Großarschlöchern der Industrie entwickeln. Die Finanzkrise - jeder wischt sich da die Hände ab - ist gar keine Wirtschaftskrise. Die Wirtschaft ist gar nicht betroffen - die Industrie ist betroffen und zieht alle mit rein. Wirtschaft heißt "wir müssen täglich essen". Wir holen uns mittlerweile unsere Milch direkt vom Bauern: weil es da noch Milch gibt. Diese weiße Plörre, die sie im Supermarkt verkaufen, die hat ja mit Milch ja nichts mehr zu tun. Das ist völlig übererhitzt und tot gemacht. Wenn du mit so einer ganz normalen Vollmilch heute ein Kälbchen fütterst, dann stirbt das nach 14 Tagen. Diese Scheiße wird uns von der Industrie verkauft. Die ganze Gesellschaft ist auf Industrie ausgerichtet: Jeder hat sein Wohnklo, möglichst 30-Quadratmeter nur für sich allein. Dann braucht natürlich jeder eine Mikrowelle und einen Kühlschrank und ein Auto. Wenn du heute in einer Drei-Generationen-Familie oder einer Kommune lebt, was ich jedem nur anraten kann, dann brauchst du das alles nicht mehr. Da braucht es nur eine Mikrowelle und einen Kühlschrank für alle, und das ist natürlich nicht mehr industriekonform. Die Industrie, die Fotzenklöne da oben, die wollen doch gar nicht, dass wir menschlich leben!

Jetzt lebst Du aber gar nicht mehr in einer Kommune oder Großfamilie, sondern allein in einem schmucken Reihen-Mittelhäuschen mitten in München ...
Weinzierl: Kommune heißt ja nicht nur, dass Du soundsoviele Menschen in ein Häuschen reinmachst und sagt, "so, jetzt seid ihr eine Kommune und lebt als solche". Ich hab hier das Häuschen, und das wird auch gefüllt. Wenn wir arbeiten, dann sind hier überall Leute. Hier sitzen wir gerade am großen Dinner-Tisch im Erdgeschoss, hier machen wir unsere Beggar's Banquets. Im zweiten Stock ist ein Studio, im ersten Stock wird geschlafen - es läuft immer noch nach dem alten Prinzip. Wir treffen uns so, auch mit mehreren Generationen. Selbst wenn ich mich heute mit den Düüls treffe, reagieren wir anders als normale Leute, weil wir zig Jahre als Kommune gelebt haben und uns ganz anders kennen, ganz andere Sachen wissen, die normale Leute gar nicht mehr mitkriegen.

(Überlegt) Ich persönlich würde sehr gerne jederzeit wieder mit allen in ein kleines Schlösschen einziehen. Es ist einfach kreativer, und auch vom Leben her interessanter.

Wie muss ich mir die Band Amon Düül II heute vorstellen?
Weinzierl: Manchmal haben wir engeren Kontakt und arbeiten intensiver, manchmal ist es ein wenig loser. Im Augenblick treffen wir uns wieder öfters. Wir müssen ein neues Programm einüben, Lieder schreiben ...

Du darfst das nicht so sehen, dass wir nicht zusammen wohnen und deshalb in alle Richtungen verteilt sind. Das sind alles Außenstellen - wir haben uns erweitert. Aber natürlich ist es nicht einfach, als Kommune mit dieser Umwelt zu leben. Überhaupt wird das Leben den Leuten schwerer gemacht, als es sein müsste, und das ist natürlich auch für uns schwerer.

Das heißt, ihr schreibt auch neue Lieder?
Weinzierl: Klar. Ich mache jeden Tag neue Lieder, oben im Studio ...

Habt Ihr jemals von Euerer Musik leben können?
Weinzierl: Ja, es gab solche Zeiten ... Und die alten Platten verkaufen sich ja noch heute. Auf unserer Internetseite verkaufen wir ja auch selbst Musik, nicht nur von Amon Düül, auch Soloprojekte wie mein Trio oder Weinzierl meets Calvert. Bob Calvert war der Sänger von Hawkwind, ich war der letzte, der mit ihm gearbeitet hat, bevor er gestorben ist. Also da gibt es alles mögliche ...

Ich bin gerade dabei, die Amon Düül-Seite als Kommunikation auszubauen. Früher bist du dafür in die Clubs gegangen. Heute gehst du in die Clubs, um Chicks aufzureißen, aber es passiert nicht mehr. Dieser Sud, wo sich Menschen treffen - das gibt es nicht mehr. Das ist alles so oberflächlich geworden. Diese Internetkisten sind zwar auch unglaublich oberflächlich, aber du kannst über das Netz sehr viele Leute erreichen und Nischen bedienen. Ich kann mich oben an meinen Computer setzen und in fünf Minuten mit Spaniern, mit Australiern und mit Skandinaviern sprechen. Ich kann nachts ein Lied im Studio machen, es am Morgen ins Internet stellen und mir wenig später schon die ersten Kommentare der Leute durchlesen. Die müssen das nicht mal kaufen, sondern einfach nur anhören - dieses Kommunikationsding entdecken wir gerade für uns.

Direkte Kommunikation: Früher haben wir eine Platte gemacht, jetzt denken wir über eine Online-Single nach, die sich jeder herunterladen kann und dann selbst entscheidet, was er dafür zahlt. Die, die kein Geld haben, zahlen dann halt einen Euro, andere, die vielleicht arrivierte Leute sind, können die Truppe vielleicht mit 'nen 50er unterstützen. Und der landet dann halt direkt bei uns und nicht bei einer Plattenfirma.

Die alten Schallplatten von Amon Düül sind ja richtig gesucht ...
Weinzierl: In Japan zahlen sie zur Zeit 700 Euro für eine unterschriebene Düül-Platte. Ich habe noch zwei drei Sätze oben liegen.

Für die Rente?
Weinzierl (lacht): Nein, für die Enkel.

Was ich eigentlich sagen wollte: Es ist schwer, Düül-Vinyls zu kriegen ...
Weinzierl: Da kann man aber was machen. Ich bin gerade in Verhandlung mit Leuten, die unsere alten Sachen auf Vinyl neu auflegen möchten - in 2000er Auflagen. Es wird auch Düül-Tassen geben! In England gibt es so eine Künstlervereinigung, die machen das, und die kann man bequem übers Internet bestellen. Dieser ganze Kommerz-Verkaufsbereich ist aber nur ein "und", weil es die Leute wollen. Die Hauptschiene für uns ist heute aber: Raus aus diesem Middle Of The Road! Ein musikalisches Angebot machen, damit die Leute nicht völlig hypnotisiert werden von diesem ganzen Schwachsinn!

Ihr habt musikalisch alles anders gemacht als die Vorbilder aus England und Amerika. Witzigerweise habt ihr trotzdem englisch gesungen ...
Weinzierl: Nicht nur!

Aber meistens ...
Weinzierl: Klar. Wir waren eine internationale Truppe, da musst du natürlich englisch singen. Aber wenn du an die erste Platte denkst - da sind einige deutsche Sachen drauf. "Phallus Dei", dieser 20-Minuten-Riemen - damals war das eine Sensation: Ein Stück über eine komplette Plattenseite, so was gab es vorher nur in der Klassik. Das war uns aber ein Anliegen, das war wichtig! Auch, wenn wir das nicht extra gemacht haben, um aus dem Rahmen zu fallen - das hat sich so ergeben. Das waren Ergebnisse aus der Art zu komponieren, die wir hatten. Auf der anderen Seite hatten wir dann kürzere Nummern. Zwar nicht die klassischen Songstrukturen - vier Minuten Strophe, Chorus, Strophe - aber eben doch kurze Teile und Themenzeichnungen.

Wir wollten nicht nur konkrete Musik machen, sondern auch viel Klangmalerei. Das ist auch dadurch entstanden, dass nicht alle in einer Kommune Musiker sind. In den ersten Jahren haben wir Bongos und Tamburins ins Publikum geworfen, damit die Leute mitspielen. Oder die Menschen haben selbst ihre Trommeln mitgebracht, das war damals gang und gäbe. Wir waren nicht die Stars auf der Bühne und die da unten unsere Zuhörer - wir waren ein Volk, und wir waren halt die Lauten (lacht) ... Wir waren das Sprachrohr.

Das Gute war, dass wir uns Sachen getraut und gelebt haben, die viele wollten oder als Sehnsucht irgendwo hinten drin hatten. Das war das Ding, und das ist heute noch so. Im Bayerischen Rundfunk gab es kürzlich ein größeres Interview mit mir, in dem ich alle Rentner aufgerufen habe, auszubrechen aus den ganzen Wurstfabriken, in denen die abgestellt werden. Wenn du dir das mal überlegst: Miete dir zehn Rentner, von denen jeder 6000 Euro im Monat zahlt für so ein Wohnklo, in das er reingeschoben und zum Putzen wieder rausgezogen wird. Zehn Rentner, das wären 60.000 Euro im Monat. Dafür kannst du ein Schloss mieten, die mit Kaviar zuschütten und mit dem Rolls Royce um den Starnberger See herumfahren. Die Leute wären wacher, hätten eigene Interessen. Die Stärkere helfen den Schwächeren - das ist doch die ideale Lebensform der Zukunft! Die Leute würden nicht einfach aufs Abstellgleis geschoben, würden nicht irgendwo vor sich hindämmern und verblöden, nachdem sie ein ganzes Leben lang gearbeitet haben. Immer wenn man an Alter denkt, denkt man an alt und krank und alt und dumm - wo aber bleibt alt und weise? Das wird uns doch schon in den Märchen beigebracht!

Ja, aber das passt leider nicht in unsere Jugendwahn-Gesellschaft. Da darfst du doch gar nicht mehr in Würde altern!
Weinzierl: Das ist doch aber ein menschliches Bedürfnis. Ich jedenfalls sehne mich nach den ersten alten Weisen. In der Generation vor uns gibt es ganz wenige. Das mag mit dem Krieg zu tun haben, dass da unglaublich viele Werte verloren gegangen sind und es nur noch ums Überleben ging.

Wir sind in der Zeit nach den Nazis aufgewachsen und haben uns wieder nach diesen Werten gesehnt. Ich bin 1949 auf die Welt gekommen, da war der Krieg vorbei. Aber als ich angefangen habe zu denken, war das wie Krieg. Es war ja alles noch da - die ganzen Dünkel von der Generation vor uns. Das war auch der Grund, warum das damals alles losging an den Unis.

Ich glaube auch nicht, dass der Mensch so ist, das er jede Woche etwas neues erfindet und sich immer besser entwickelt. Ich glaube, je weiter man zurückgeht, umso mehr ist da alles schon da. Das ist heute nur alles verschüttet. Genauso, wie Atlantis der Sage nach in die Erde gefallen ist, ist das ganze Wissen, das ganze Bewusstsein in uns drin. Wir müssen gar nichts neues erfinden. Wir sollten uns gegenseitig erinnern können, an das, was eigentlich wichtig ist - menschlich wichtig. Zum Beispiel, dass wir gesund leben können. So, wie es im Augenblick läuft, gibt es keine Gesunden mehr. Schaut nur mal euere Haustiere an: Die Haustiere bekommen seit Jahrzehnten all die Scheiß-Krankheiten wie Krebs und Zucker, mit denen auch wir kämpfen. Warum? Weil sie diesen ganzen Scheißdreck fressen müssen, dieses ungute Fressen. Daran sterben die. Und wir fressen den selben Scheiß. Das ist alles totes Zeug. Wer Sachen bei Aldi kauft, kann ganz bestimmte Gedanken und Gefühle gar nicht mehr haben, weil es die Nahrung nicht hergibt.

Was tust Du dagegen? Du lebst hier mitten in der Großstadt ...
Weinzierl: Ich habe hinterm Haus einen kleinen Garten, wo ich selbst anbaue. Und dabei ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass es seit einigen Jahre keine Erbsen mehr gibt - nur noch in der Dose oder im Glas. Jetzt kommt das wieder. Hier vorne bei mir an der Straße gibt es einen Gemüsehändler, der hat eigene Gärtner an der Hand, die das extra für ihn, seinen Stand und seine Kunden anbauen. Das geht gar nicht mehr über den Großmarkt oder die Industrieschiene.

Ich habe bestimmt sechs verschiedene Arten von Beeren im Garten. Ich pflanze Paprika, Zucchini, Bohnen, Erbsen selbst an und esse das - und das ist ein Höllenunterschied. Wenn ich etwas aus meinem eigenen Garten esse, dann habe ich ein ganz anderes, ein mehrfältiges Erlebnis, wie mich das nährt. Es ist wirklich ein Lebensmittel - ein Nahrungsmittel und nicht nur Essen oder ein Fressen, wie man es bei den ganzen gierigen Geldleuten kriegt.

Ich glaube, dass wir im Augenblick das Ende des Kapitalismus erleben, genauso, wie wir schon den Untergang des Sozialismus und des Kommunismus oder was für einen Scheiß-ismus auch immer erlebt haben. Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin nicht gegen Kapitalismus, sondern nur dagegen, wenn die Leute das falsch benutzen. Es liegt immer am Menschen, nicht am System. Ich glaube auch nicht an links oder rechts, sondern nur an menschlich und unmenschlich. Deshalb denke ich ja auch, dass Amon Düül gerade wieder wichtiger denn je ist. Als wir in den 60er Jahren angefangen haben, ging es um genau diese verlorengegangenen Werte, die wir auch jetzt vermissen. Auch damals wollten wir kein Plastik, sondern richtige Sachen.

Ich bin ehrlich überrascht, wie politisch ihr seid. Noch immer ...
Weinzierl: Wir finde das gar nicht politisch, ich finde das menschlich. Der Mensch muss leben! Wir werden politisch, indem wir auf eine Bühne steigen und das laut sagen.

Bei Euerem letzten Nürnberg-Gastspiel hat Renate Knaup mitten in einem Song plötzlich ins Publikum gerufen: "Vergeßt uns nicht! Wir sind noch nicht tot!"
Weinzierl: Von uns sind ja schon einige tot. Man könnte jetzt lapidar sein und sagen, wir haben 30 Prozent Verluste im Jahr. Aber: Na klar. Du kennst unser Logo, den Sensenmann - das ist eigentlich der Krischke gewesen. Der ist gestorben. Er hatte sich in ein Bürgermädchen verliebt, aber die Eltern wollten natürlich nicht so einen Langhaarigen für ihre Tochter haben. So einer galt damals als kriminell. Also hat er aus Liebeskummer einen LSD-Trip genommen, ist in den Wald gegangen und ist da gestorben. Als sie ihn gefunden habe, hatten ihn die Tiere schon angefressen. Der letzte ist Peter Leopold, unser alter Schlagzeuger, der im November 2006 gestorben ist. Ein paar sind schon tot - aber wir noch nicht.

 

Wie wichtig waren Drogen für Amon Düül? Anders gefragt: Funktioniert die Musik von Amon Düül auch ohne Drogen?
Weinzierl: Klar. Drogen war damals eine Sache, die groß rauskam. Das war die Zeit, in der die Leute nach einem Weg raus gesucht haben. Man hat gemerkt, dass dieses äußere Leben ein bisschen ein Gefängnis ist. Heute wissen wir: Man kann davon aufwachen und kann den Schritt weitergehen. Das wussten wir damals noch nicht. Wir wussten nur: Es muss irgendwo raus- und weitergehen. Das kann nicht sein, dass das schon alles ist.

Schon mit fünf Jahren waren mir die Erwachsenen suspekt. Damals ist mir schon klar geworden, dass Kinder erst mal die besseren Menschen und Erwachsene eigentlich gefährlich sind.

Jetzt bist Du selbst erwachsen.

Weinzierl: Nein, ich bin nur groß. (Lächelt) Meine Mutter sagt auch immer "Junge, du musst erwachsen werden". Aber ich weiß, ich muss nicht erwachsen werden; weil so ein Arsch möchte niemand werden. Was uns als erwachsen vorgesetzt wird, ist einfach bodenlos. Das sind Leute, die jede Vernunft, jeden gesunden Menschenverstand abgelegt haben und irgendwo formatiert und in irgendeiner Karriere kristallisiert sind, in der sie auch krepieren werden. Ohne jemals aufgewacht zu sein, ohne jemals irgend etwas verstanden zu haben ...

Erich Kästner schrieb einmal: "Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie erwachsen, aber was sind sie nun? Nur, wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch."
Weinzierl: Ganz genau. Aber wir waren bei den Drogen stehengeblieben ... Diese Geschichte wurde durch die Presse damals unglaublich hochgespielt. Ich erinnere mich: Irgendwann kam mal die Brigitte auf uns zu - schon damals der absolute Gegenentwurf zu Amon Düül, das totale Plastikmedium, die andere Seite.

Da kam eines Tages ein Redakteur zu uns nach Kronwinkl und wollte ein Interview mit Düül machen. Ein Typ von der Bürgerklitsche, der kam rein, hat uns gesehen und ihm wurde schlecht. Man hat regelrecht gesehen, wie er dachte: Das sind also die Männer unserer Töchter ... Ich war damals sehr präpotent drauf, ging mit einem Glas voll Champagner mit Orangensaft auf ihn zu und meinte zu ihm "Du darfst nur rein, wenn Du das hier trinkst. Da ist ein Trip drin." Und der hat das getrunken. Da war natürlich kein Trip drin, aber das Beispiel zeigt schön, wie Drogen damals eben auch als Schock verwendet wurden.

Es war nicht die hoffnungslose Drogenzeit, wo du morgens aufgestanden bist und dir alles eingeworfen hast, was gerade so da war. So war das nicht. Es wurden auch nicht ständig Drogen genommen, ganz im Gegenteil. Wir suchten damals nach einem Ausweg aus dem Gefängnis, und eine Weile dachten wir, dass Drogen eine Tür sein könnten. Man sprach viel von bewusstseinserweiternden Drogen, deshalb haben wir das ausprobiert - um zu schauen, ob es da weitergeht. Die ganzen harten Sachen gab es damals aber gar nicht, da sind wir nie rangekommen. Das Interessante war LSD, und ich muss sagen, dass ich einige Dinge in meinem Leben niemals kapiert oder gesehen hätte, wenn ich kein LSD genommen hätte. Ich würde auf der anderen Seite aber auch niemandem empfehlen, LSD oder überhaupt Drogen zu nehmen. Ich bin entsetzt, dass sich die Kinder heutzutage Drogen reinschmeißen, um sich zu betäuben - nicht, um einen Weg raus zu finden. Das ist der entscheidende Unterschied! Die Orgien, von denen man sich erzählt hat, die liefen in der Zeitung - nicht bei uns.

Tja, wieder so ein Klischee futsch.
Weinzierl: Heute kriegst du gar kein richtiges LSD mehr, das ist alles nur noch so ein Kunstzeug. Plastik halt wieder. Hat Aldi schon LSD? (lacht) LSD ist eine dermaßen gefährliche Droge, schwierig herzustellen und ein sehr flüchtiger Stoff, der, wenn er nicht korrekt im Kühlschrank aufbewahrt wurde, über Nacht weg war. Heute gibt es da irgendwelche Pillen - das soll LSD sein? Das kann nicht sein. Das ist irgendein anderer Schwuchtelschmarrn.

Was ist aus dem Brigitte-Interview geworden?
Weinzierl: Der Redakteur hat das Glas tapfer getrunken und dann sein Interview gemacht. Danach erschien ein mehrseitiger Artikel in der Brigitte, in dem wir eigentlich ganz gut weggekommen sind.

Welchen Einfluss hatte München auf Amon Düül?
Weinzierl: Die Stadt an sich, meinst Du? Von den Stadtvätern haben wir jedenfalls keine Unterstützung erfahren. Wir haben aber meistens eh in der Peripherie gewohnt, am Ammersee oder in Kronwinkl, das ist 60 Kilometer von München weg. Was München angeht, erinnere ich mich an eine Geschichte: Wir haben damals in Landshut in diesem Schlösschen gewohnt, und ab und zu mussten wir nach München rein. Das war jedes Mal eine Tortur, weil das so nach Abgasen gestunken hat. Heute merkt man das gar nicht mehr, obwohl es viel schlimmer geworden ist - unglaublich, oder? Wie man das damals noch merken konnte ...

München war uns immer ein Heim. Wir sind hier aufgewachsen. Ich bin zwar heute der einzige Münchner in der Gruppe, die anderen sind alle Allgäuer. Ich bin auch im Allgäu aufgewachsen, in Füssen, genauer gesagt in Hohenschwangau. Trotzdem hat München für unsere Wahrnehmung nie so eine große Rolle gespielt, obwohl ich sagen muss, dass die Stadt schon einen bestimmten eigenen Charme hat. Wie heißt dieser Versager-Kommunarde aus Berlin gleich noch?

Rainer Langhans?
Weinzierl: Genau. Wenn wir in Berlin gespielt haben, dann waren wir in der K1. Da war der Langhans zwar eine ganz kleine Nummer und hatte nix zu sagen, aber er war da. Und da haben die halt gemerkt, dass unsere Mädels anders waren. Die Mädels aus Berlin ... liebe Mädels aus Berlin, dies ist keine pauschale Verurteilung ... aber damals waren das alles Politgören. Die waren so wie Kumpels: "Ach, du darfst mich jetzt mal nehmen ..." (schlägt auf den Tisch) Bäh! Da ist es dir schon vergangen! Unsere Münchner Mädels waren viel charmanter, mädchenhafter, fraulicher. Und das ist dem Herrn Langhans dann auch aufgefallen, als die Uschi Obermaier da mal mit oben war. Übrigens war die Uschi nie bei Düül - das ist auch so ein Gerücht, das sich beständig hält. Sie wollte immer gerne, aber sie war es nie.

In München gibt es halt dieses Prinzip "Leben und leben lassen". Es hat hier schon etwas gemütliches, auch mit der ganzen Seenlandschaft ... Obwohl viele Menschen sagen "Bayern, CSU - alles ganz schwierig und schlimm!", haben wir das eigentlich immer anders gesehen. Es war doch immer eine relative Freiheit da. Klar hatten wir viel Kontakt mit der Polizei. Ein paar Mal haben ganze Hundertschaften die Kommune überfallen und durchsucht, meistens nach Waffen oder so was. Aber auf dieser Waffenschiene waren wir überhaupt nicht unterwegs, das hat uns nie interessiert. Das war damals schon dieses Baader-Meinhof-Ding. Wenn wir in Frankfurt gespielt haben, da saßen die alle im Publikum, übrigens auch der (Joschka) Fischer. Damals gab es dort zwei große Blocks, und da wurden dann auch die großen Reden geführt: "Ja, wir sind so toll, doch keiner richtet sich nach uns und keiner nimmt unsere tollen Ideen an. Deshalb müssen wir jetzt mal" - O-Ton Andreas Baader - "irgendwas anzünden." Woraufhin wir immer nur gesagt habe: "Bist Du blöde? Wir sind da, wir spielen. Wer kommen will, soll kommen, wer uns nicht will, will uns halt nicht."

Ein Feind ist immer auch eine Vielfalt - der muss auch leben. Das ist wichtig. Aber die haben dann halt diesen Scheiß durchgezogen ... Okay, hätten es die nicht gemacht, hätte es jemand anders gemacht. Aber das Leben ist dadurch mieser geworden. Die haben mit ihrem Terrorismus schon einiges zerstört und kaputt gemacht.

Ist es für Amon Düül ein Heimspiel, wenn ihr in München spielt?
Weinzierl: Wir spielen ganz selten in München. Eigentlich, weil wir auch denken, dass man in der Stadt, in der man wohnt, gar nicht so oft spielen muss. Es genügt, wenn man überall anders spielt. Letzten April sind wir im Atomic Café aufgetreten, die Peter Leopold-Gedächtnis-Veranstaltung, und das war irre, wer da alles da war. Quer durch alle Generationen kamen die Menschen, es war super, die alle zu sehen. Auf der Tour jetzt werden wir sicher auch wieder in München auftreten. Ich würde ja gerne im Circus Krone spielen, aber da muss man schauen, das muss man gut vorbereiten. Der ist groß.

Ihr spielt auch auf dem Roadburn-Festival in Holland …
Weinzierl: Ich kenne den Walter, der da oben bucht, und war letztes und vorletztes Jahr schon dran. 2009 hat's endlich geklappt.

Wo ist Düül noch angesagt? Von woher kommen Anfragen?
Weinzierl: Das geht quer durch alle Länder. Viel kommt im Moment aus dem anglophilen Raum, die ganze Prog-Szene in Amerika ist eine gute Nische. Heute erst habe ich mit Griechenland verhandelt. Wir haben viel in Skandinavien gespielt, oft zu den Mittsommerfesten in Schweden ... eine Englandtour wird es bestimmt auch wieder geben. Und ich würde ja gerne mal in Amerika spielen, da waren wir noch nie.

Bist Du verblüfft, dass es nach all den Jahren noch immer gut für Euch läuft? Dass da noch immer eine Nachfrage nach Euerer Musik, nach Euerer Kunst ist?
Weinzierl: Überrascht? Naja ... Eigentlich nicht. Aber ich habe da auch noch nicht groß darüber nachgedacht. Früher sagte man ja immer, es gibt ein Rock'n'Roll-Leben. Heute ist das glaube ich zwei oder drei Jahre lang, so ein Rock'n'Roll-Leben ... (lacht)

Eben. Am Ende sind es dann doch wieder die alten Helden, die aus- und durchhalten ...
Weinzierl: Kennst Du noch die Mothers Of Invention?

Frank Zappa halt ...
Weinzierl: Ganz früher Frank Zappa. Heute spielen sie als die Grandmothers Of Invention (lacht). Was Düül angeht: Wir sind halt keine Musikkarriere, keine Plattenstars, die mal einen Hit hatten und dann wieder weg waren. Wir sehen uns immer noch so ein bisschen als Sprachrohr für die Dinge, die unterdrückt werden. Und das ist ja seit den 60er und 70er Jahren nicht besser, sondern immer schlimmer geworden.

Es zählt nur noch das Materielle. Unglaublich viele Menschen veröden, werden depressiv. Die verhungern innerlich - auch, auch wenn sie es nicht merken. Das Problem ist: Es gibt heute kaum mehr Proteste. Ich glaube, dass so was vom Fernsehen kommt. Ein gutes Beispiel: Früher war Fernsehen im Gefängnis verboten. Heute gibt es im Knast überall Fernseher. Warum? Weil sie gemerkt haben: Wenn die Häftlinge Fernseher haben, gibt es keine Aufstände, weil alle wie Deppen vor der Maschine sitzen und sich hypnotisieren lassen. Die Leute werden träge und verzagt - die allgemeine Verzagtheit, eine große Krankheit zur Zeit! "Ach, das lohnt sich ja nicht", "ach, das hilft doch alles nichts ..." - alles hilft! Genau an der Stelle bohren wir: Nicht einschlafen - aufwachen! Es ist tatsächlich möglich, aufzuwachen.

Hast Du einen Fernseher?
Weinzierl: Natürlich habe ich einen Fernseher. Keinen zum Fernsehgucken, sondern einen zum Videos reinstecken, damit ich dazu meine Musik machen kann. Fernsehen ist natürlich Gift. So gesehen habe ich natürlich keinen Fernseher.

Gibt es eigentlich Coverversionen von Amon Düül-Liedern?
Weinzierl: Ja. Jede Menge.

Mir ist noch nie eine Amon Düül-Coverversion untergekommen ...
Weinzierl: Echt nicht? Ich kann mich erinnern ... und das ist erst ein paar Jahre her ... wie wir nach einem Konzert in Darmstadt oder Frankfurt in der Stadt herumgelaufen sind und aus einem Kellerclub heraus eine Band haben spielen hören, die tatsächlich "Archangel's Thunderbird" gezockt hat. Und das irre war: Bei dem Song ist ja ein Schlagzeugfehler drin. Damals haben wir auf einer Zwei-Spur-Bandmaschine aufgenommen und uns gesagt "Ach komm', das lassen wir so, da machen wir einen Gong drüber, dann passt das." Die aber haben den Fehler mitgespielt. Das war sehr interessant.

Spielt Ihr den Fehler heute noch mit?
Weinzierl: Nein. Seit Peter Leopold gestorben ist, spielen wir den Fehler nicht mehr mit (lacht)

Stell Dir vor, Du feierst eine Gartenparty und hast drei Musiker frei, die für Dich und Deine Freundinnen und Freunde aufspielen. Leichen willkommen, das heißt: Bands, die es nicht mehr gibt oder Musiker, die schon tot sind, dürfen für diesen Abend zurückkommen. Wer würde auf John Weinzierls Gartenparty spielen?
Weinzierl: Das wären alles Klassiker. Ich höre im Augenblick fast nur Klassik. (Überlegt) Ja, ich würde gerne mal Mozart, Bach und Beethoven treffen. Drüber hinaus gibt es bei Bach, bei Mozart und teilweise auch bei Beethoven eine Attitüde, wo Musik nicht nur Unterhaltung ist, sondern auch zum Informationsträger wird. Es ist tatsächlich so, dass du über die Wahl der Tonfolge bestimmte Informationen preisgeben kannst, die mit hohen spirituellen Wahrheiten zu tun haben.

Das ist eigentlich das, was mich am allermeisten interessiert und was auch mit meinem musikalischen Werk zu tun hat. Nicht nur diese Frontgeschichte, sondern eine profundere Angelegenheit, und die würde ich gerne auf meiner Gartenparty haben. Gerade bei Bach in der Matthäus-Passion, da sind wirklich Informationen drin, die höhere Zentren ansprechen. Bei Mozart weiß man es ja, dass er in einer Oper Freimaurerinformationen preisgegeben hat - das sind Sachen, die wichtig sind. Die äußere Muzak, die Plätschermusik zum Gefallen, die gehört auch dazu, aber darum geht es nicht. Musik ist schon auch eine höhere Sprache, und leider leider hat auch hier die Industrie vieles zugeklopft und flachgemacht, so dass unglaublich viele Leute programmiert sind und nur noch konsumierbare Musik anhören.

Bei Dir im Studio: Arbeitest Du analog oder digital?
Weinzierl: Beides. Ich mische das. Ich haben oben ein sehr fettes 24-Spur-Analog- und ein 32-Spur-Digitalpult stehen. Beim großen Analogmischpult steckt in jeder Spur an sich die gleiche Elektronik drin, trotzdem klingt jede Spur, klingt jeder Filter ein bisschen anders. Beim digitalen ist das absolut identisch. Da ist es gut, dass ich, wenn ich etwas digitales aufgenommen habe und das so schön und sauber klingt, dass man es noch mal über das analoge Pult zieht und einen anderen Klang reinbringt.

Aber das ist eine gute Frage, die mich auch immer beschäftigt hat: Analog oder digital? Man weiß ja selbst nicht genau, was da los ist. Ich persönlich glaube, dass analog mehr Inhalt hat als digital. Digital ist zweifältig, analog kann mehrfältig als nur 0 oder 1 sein. Ich saß mal in einem Auto mit zwei Toningenieuren, der eine war der Tonmann von Xavier Naidoo, der andere ein sehr guter Produzent aus München; der eine ein Analogmann, der andere ein Digitalmann. Da habe ich die beiden gefragt, ob sie mir denn nun den Unterschied zwischen analog und digital erklären können. Und dann ging das los - blablabla. Lauter technischen Zeug. Nee nee, sagte ich: Das ist es nicht. Daraufhin hat der eine dann gemeint: "Weißt du, digital ist so eine Geschichte: die muss man sehr gut einstellen. Analog, da kannste du vorne alles voll auffahren. Da wird hochgezogen, und du fährst an der Grenze. So leben wir, und deshalb stehe ich auf analog." Das war die beste Erklärung, die ich bisher bekommen habe.

Amon Düül haben ja seit längerer Zeit nix Neues aufgenommen ...
Weinzierl: Stimmt gar nicht. Die ganzen alten Platten, die jetzt bei SPV wiederveröffentlicht wurden, da sind ja Bonustracks drauf. Früher hatte eine Schallplatte 40 Minuten - eine CD hat 70 Minuten. Das ist eine halbe Stunde mehr. Und du kannst ja den Leuten nicht einfach leere Rillen verkaufen ... Da haben wir gesagt: Wir machen Bonustracks. So haben wir in den letzten drei Jahren immer mal wieder ein bisschen was produziert und das dann als Bonus mit auf die Wiederveröffentlichungen draufgepackt.

Witzig. Ich dachte, das seien alles alte Aufnahmen gewesen ...
Weinzierl: Nein, eben nicht. Das sind neue Bonustracks, die sind neu gemacht - und das war ja auch der Kick bei der Sache. Natürlich hat die Plattenfirma gesagt, dass wir alte Lieder dafür ausgraben müssen, weil sich die Leute sonst verscheißert fühlen. Aber wir fand, dass es viel besser sei, etwas Neues zu machen, anstatt das Ausschussmaterial, das wir schon damals nicht mit auf die Platten genommen haben, den Leuten nun doch noch zu verkaufen. Wir nehmen lieber neue Sachen auf, dann hören alle, das wir lebendig sind und noch immer Musik machen.

Interview: STEFAN GNAD, April 2009
Graphikbearbeitung: der andere Stefan, August 2011
Bildquelle: somewhere on the internet