Ich glaube, das erste Mal, daß ich von weiblicher Beschneidung gehört/gelesen habe, war irgendwann im Jahr 1987 im Buch "Der Frauenatlas" (englischer Originaltitel: "Women In The World. An International Atlas") von Joni Seager und Ann Olson. Tatsächlich ist weibliche Beschneidung ein sehr neutraler – oder sollte ich sagen euphemistischer – Ausdruck für das, was meiner Ansicht nach die schlimmste Tradition ist, die noch praktiziert wird (in vielen mittel- und nordafrikanischen Staaten und einigen Staaten des Nahen Ostens, ebenso wie – illegal – in westeuropäischen Staaten von einigen Einwanderern aus diesen Ländern): weibliche Genitalverstümmelung. Sie bedeutet das Herausschneiden der Klitoris sowie der gesamten inneren Schamlippen oder Teile davon, manchmal auch Teile der äußeren Schamlippen. Neben den körperlichen Schmerzen, welche durch diese Praxis selbst sowie oft nachfolgende Infektionen verursacht werden, kann man sich vorstellen, daß diese Praxis auch eine ernsthaft traumatisierende Wirkung auf ihre Opfer hat.
1990 kam ich in Briefkontakt mit Hannah Edemikpong, einer Frau in Nigeria, die gegen weibliche Genitalverstümmelung kämpft. Ich hatte ihre Adresse in einem Buch der Sängerin Nina Hagen gelesen und beschlossen, ihr zu schreiben und ihr – gelegentlich – auch ein bißchen finanzielle Unterstützung zu schicken. (Ich erinnere mich nicht mehr an den Titel des Buches, da es nicht mir gehörte, sondern einer damaligen Brieffreundin von mir.)
Ich weiß nicht, wie es in anderen europäischen Ländern aussieht, aber ich glaube, daß dank einiger Berichte im Fernsehen und in anderen Medien weibliche Genitalverstümmelung – zumindest in Deutschland – nicht mehr so unbekannt ist, wie es wahrscheinlich noch vor 10 oder 15 Jahren der Fall war. Da es immer noch ein wichtiges Thema ist, beschloß ich, ein schriftliches Interview mit Hannah zu führen, welches sich hauptsächlich auf ihre Arbeit, deren Bedingungen von der Vergangenheit bis heute sowie die Ursprünge weiblicher Genitalverstümmelung konzentriert.
Burkhard: Wann hast du zum ersten mal beschlossen, etwas gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung zu tun? Wurdest du von Verwandten, Freunden oder anderen Menschen ermutigt oder stieß dein Vorhaben (überwiegend) auf Widerstand?
Hannah: Weibliche Genitalverstümmelung ist eine traditionelle und kulturelle Praxis unter Frauen in diesem Teil der Welt. Im Alter von 10 Jahren, als ich beschnitten werden sollte, wie sie es nennen, machte mir meine Mutter diesbezügliche Andeutungen und half mir tatsächlich, in eine Stadt an der Grenze zu Kamerun zu fliehen, wo katholische Nonnen eine Station hatten. Dort war ich geschützt und es kam nicht zur geplanten Beschneidung. Ich schwor daher, daß ich den verbleibenden Teil meines Lebens dafür verwenden würde, gegen diese Praxis zu kämpfen. Seit die Aktion begann, bin ich sehr von Freunden und Verwandten ermutigt worden.
Burkhard: Als du mit deiner Arbeit anfingst, gab es da irgendwelche anderen Leute, die mit dir zusammen gearbeitet haben, oder war es eine Art "Eine-Frau"-Projekt? Wie und wann hast du tatsächlich begonnen?
Hannah: Es ist kein "Eine-Frau"-Projekt, es gibt andere Frauen und Freunde und Verwandte, die Teil des Projektes sind. Wir haben das Projekt 1985 begonnen, indem wir Frauen in Treffen und Seminaren mobilisiert haben, wodurch einige von ihnen freiwillig angeboten haben, an der Aktion teilzunehmen, die wir bezeichnet haben als: Bildungskampagne zur Ausrottung weiblicher Genitalverstümmelung. Wir druckten Handzettel, welche auf die Gefahren weiblicher Genitalverstümmelung hinwiesen, und verteilten sie auf Marktplätzen und überall, wo man Frauen traf. Wir hielten Frauen auf der Straße an und sprachen mit ihnen. Wir besuchten Häuser und wir besuchten entlegene Dörfer, wobei wir Lautsprecher benutzten, um zu den Frauen zu sprechen.
Burkhard: Hat sich der Schwerpunkt deiner Arbeit im Laufe der Jahre verändert? Wie sieht deine Arbeit derzeit aus? Ich weiß aus deinen Briefen, daß du bereits in andere afrikanische Länder gereist bist, wo weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird, um zu Frauen über all die negativen Aspekte dieser Praxis zu sprechen, um sie davon abzubringen, ihren Töchtern anzutun, was ihnen angetan wurde. Diese Art der vorbeugenden Arbeit ist vielleicht der wichtigste Teil deiner Arbeit, aber gibt es auch Wege, wie du denjenigen Hilfe anbieten kannst, die bereits Opfer weiblicher Genitalverstümmelung wurden?
Hannah: Unser Schwerpunkt hat sich in der Tat im Laufe der Jahre geändert, da wir andere Probleme angeschnitten haben, die das Leben unserer Frauen bedrohen. Die Verbreitung von HIV/AIDS ist in der Tat verbunden mit den Praktiken weiblicher Genitalverstümmelung, weshalb wir auch gegen die Verbreitung von AIDS zu Felde ziehen. Ja, wir bieten uns bekannten Opfern weiblicher Genitalverstümmelung Hilfe an, indem wir ihnen helfen, dringend benötigte medizinische Behandlung zu bekommen, und Notunterkünfte für diejenigen bereithalten, die sich vor den Praktiken retten. Inzwischen tragen wir die Kampagne in angrenzende Länder in Zentralafrika.
Burkhard: Wie sehen derzeit die Bedingungen deiner Arbeit aus? Wie sahen sie in der Vergangenheit aus? (Ich könnte mir vorstellen, daß sie wahrscheinlich am restriktivsten waren während der Jahre unter Diktator Abachas Regime, oder?)
Hannah: Unsere Arbeit ist schwierig, schwierig, riskant und gefährlich. Nur diejenigen, die freiwillig bereit sind, ihr Leben für den Dienst der Menschlichkeit hinzugeben, können sie verrichten. Denn es ist nicht einfach, eine jahrelange Tradition oder Kulturen zu ändern, die verbunden sind mit der Religion der Völker. Daher ist unser Leben immer in Gefahr, wenn wir hinaus zu Felde ziehen. Unsere Männer sind ebenfalls nicht erfreut über uns, sie betrachten uns als Agenten des Kolonialismus, die gekommen sind, um ihre Kultur zu zerstören. In anderen afrikanischen Staaten, die wir besucht haben, ist es nicht einfach gewesen, offen zu Frauen zu sprechen; sobald die Stammeshäuptlinge unsere Mission kennen, unternehmen sie alles, um sie zunichte zu machen, und gehen sogar soweit, daß sie mit den Sicherheitsbeamten unter einer Decke stecken, um uns in Haft nehmen und in die Heimat zurückführen zu lassen. Während seiner Militärdiktatur in Nigeria, als er von den westlichen Staaten isoliert wurde, zeigte Abacha uns seine Fangzähne und stempelte uns als westliche Agenten ab und sah uns für die strafrechtliche Verfolgung vor. Ich "erntete" Haft und Folter für das Verfassen eines Artikels über nigerianische Frauen in einer britischen Frauenzeitschrift im Jahr 1996. Allerdings seit der Rückkehr der Demokratie 1999 gilt wieder das Gesetz.
Burkhard: Hast du Kontakt zu Frauen/Organisationen in anderen Teilen von Nigeria/anderen Ländern, die auch gegen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung kämpfen? (Gibt es bereits eine Art Netzwerk or zumindest die Aussicht, ein solches in Zukunft zu errichten? Wie wichtig ist das Internet für dich und deine Arbeit?)
Hannah: Ja, wir haben Kontakte zu anderen Gruppen in Nigeria und der westafrikanischen Region, die gegen diese Praxis kämpfen. Wir haben keine Art Netzwerk, obwohl es eine Hoffnung geben mag, es in Zukunft zu errichten. Wir haben kein Internet and wir haben derzeit noch nicht einmal einen einzigen Computer. Wir können nur die Nutzung eines Computers mieten, wenn solch ein Bedarf entsteht und falls und wenn wir Mittel dafür haben.
Burkhard: Was ist bekannt über den Ursprung und die Gründe weiblicher Genitalverstümmelung? Nach einer Karte im Buch "Der Frauenatlas" von Joni Seager und Ann Olson ist weibliche Genitalverstümmelung weit verbreitet in den Ländern Zentralafrikas (vom Senegal im Westen bis Somalia im Osten) und in einigen arabischen Staaten (Jemen, Oman, Vereinigte Arabische Emirate), so daß man auf den Gedanken kommen könnte, daß weibliche Genitalverstümmelung vielleicht eine Art traditionelle Praxis in diesen Ländern ist, aber wann und von wem wurde sie eingeführt? Sind dir irgendwelche Untersuchungen/Bücher über dieses Thema bekannt?
Hannah: Es gibt keine schriftlichen historischen Aufzeichnungen von
Afrikanern über die sogenannte weibliche Beschneidung, aber Archäologen
haben bei Ausgrabungen in Gräbern Mumien von Frauen im alten Ägypten
und Sudan gefunden, die beschnitten waren. Herodot, der römische
Historiker (486-424 v. Chr.), stellte fest, daß die Ägypter männliche
und weibliche Beschneidung praktizierten, als er ihr Land im fünften
Jahrhundert v. Chr. besuchte, und berichtete darüber. Strabo, der
berühmte griechische Geograph, berichtete ebenfalls über die
Beschneidung von Mädchen als Brauch, als er Ägypten 25 v. Chr.
besuchte. Also wurde die Beschneidung von sowohl Mädchen als auch
Jungen Mode, lange bevor Islam und Christentum in vielen verschiedenen
Teilen Afrikas praktiziert wurden. Carsten Niebuhr, der deutsche
Reisende und einzige Überlebende der ersten europäischen
wissenschaftlichen Expedition nach Arabien, Ägypten und Syrien,
berichtete über die Praxis der Beschneidung 1767, und stellte sie fest
im Oman, an den Küsten des persischen Golfs unter den Christen von
Abessinien und in Ägypten unter Arabern und Kopten.
Wir kennen und lesen Bücher über dieses Thema und eine von uns hat auch
schon an solchen Büchern mitgewirkt, die sowohl in den USA als auch
Kanada veröffentlicht worden sind; wir kennen also einige Bücher über
dieses Thema.
Burkhard: Soweit ich weiß, wird weibliche Genitalverstümmelung normalerweise von Frauen an Mädchen vorgenommen, was sehr schwer zu verstehen ist, denn man sollte meinen, daß Frauen am besten all den Schmerz und das Leiden kennen, welches diese schreckliche Praxis bei ihren Opfern hervorruft. Weißt du zufällig, inwieweit Männer daran beteiligt sind, diese Praxis aufrechtzuerhalten? Besteht, um es provokant zu formulieren, die Mehrheit der Männer in den Ländern, wo weibliche Genitalverstümmelung allgemein praktiziert wird, aus Sadisten, die es mögen, wenn ihre Ehefrauen nichts als Schmerz empfinden, wenn sie Sex mit ihnen haben? Oder ist es so, daß es Männern einfach egal ist, weil sie denken, daß sie nicht daran beteiligt sind, wenn ein Mädchen von einer Frau beschnitten wird? Gibt es (in Nigeria) auch Männer, die sich in den Medien oder zumindest privat gegen weibliche Genitalverstümmelung aussprechen?
Hannah: Männer für ihren Teil unterstützen und dulden stillschweigend diese Praxis, da die traditionelle Gesellschaft Afrikas eine polygame Gesellschaft ist, in der die Heirat vieler Frauen ihr Gewohnheitsrecht ist. Sie glauben, daß die Klitoris ein agressives Sexualorgan ist, welches, wenn es nicht entfernt wird, bei ihren Frauen einen großen Sexualdrang hervorrufen wird und, da es zu viele für sie sind, um sie gleichzeitig zu befriedigen, zu außerehelichem Sex und Prostitution führen könnte. Eine traditionelle Hebamme, die einmal gefragt wurde nach dem wahren Grund, weshalb Genitalverstümmelung weiterhin in einigen Teilen Afrikas praktiziert wird, sagte: "weil Männer es verlangen. Einige Männer weigern sich, Mädchen zu heiraten, die nicht operiert wurden. Sie betrachten ein infibuliertes Mädchen als eines, dessen Jungfräulichkeit nicht zerstört wurde." Allerdings gibt es viele Männer, die sich gegen diese Praxis ausgesprochen haben und die sich dem Kreuzzug, diese Praxis zu verdammen, angeschlossen haben.
Burkhard: Ich hatte deine Adresse 1990 zufällig in einem Buch von der deutschen Sängerin Nina Hagen gefunden. Wie seid ihr miteinander in Kontakt gekommen? Wußtest du, wer sie war? Ich meine, hat sie dir gesagt, daß sie eine bekannte deutsche Sängerin ist, die ihre musikalische Karriere in den 70ern in einer deutschen Punkrock-Band begann? Hast du sie je persönlich getroffen und hast du noch immer Kontakt zu ihr?
Hannah: Die deutsche Sängerin Nina Hagen las meinen Artikel in der deutschen Frauenzeitschrift "Emma" und kontaktierte mich und beschloß, mir etwas finanzielle Unterstützung zu schicken. Sie sagte mir, daß sie ein Buch schreiben würde, in welchem sie auch meinen Namen und meine Adresse erwähnen würde, so daß Leute, die dies wollten, mit mir in Kontakt treten und mir Unterstützung schicken könnten. Leider hat sie mir das Buch nicht geschickt, aber jemand in London schrieb mir, daß sie meine Adresse in Nina Hagens Buch gesehen habe, als sie nach London kam. Da ich allerdings kein Deutsch verstehe, überlege ich, wie ich das Buch verwenden könnte, wenn es niemanden gibt, der es mir übersetzt. Seitdem habe ich den Kontakt zu Nina verloren. Kannst Du mir helfen, meinen Kontakt mit Nina wieder herzustellen? Ich werde sehr dankbar sein.
Burkhard: Weißt du von irgendwelchen anderen (bekannten) Künstlern/Musikern – in Nigeria oder anderen Ländern – die offen den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung im allgemeinen oder deine Sache im besonderen unterstützen?
Hannah: Mir sind keine anderen bekannten oder unbekannten Musiker bekannt, die offen den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung und die uns im besonderen unterstützen.
Burkhard: Wie gehen Politiker/politische Parteien in Nigeria mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung um? Behandeln sie es überwiegend wie eine Art Tabu und versuchen, es zu ignorieren, als ob es nicht wirklich existierte? Hat es, seitdem du mit deiner Arbeit begonnen hast, irgendwelche gesetzgeberischen oder irgendwelche anderen politischen Maßnahmen in Nigeria gegeben, um der Praxis weiblicher Genitalverstümmelung ein Ende zu bereiten? Falls ja, haben diese Maßnahmen zu irgendeiner Verbesserung geführt oder ist die Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung so tief in den Köpfen der Leute verwurzelt, daß gesetzgeberische Maßnahmen kaum irgendeine praktische Auswirkung haben?
Hannah: Viele Politiker und politische Parteien in Nigeria haben begonnen, diese Praxis zu verurteilen wegen der Mißbilligung dieser Praxis auf internationalen Ebenen und in internationalen Abkommen, aber sie machen es nicht im Rahmen offizieller Politik ihrer Parteien. Ja, die Diskussion über Sex und Sexualität ist ein Tabu in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft, aber wir und andere Frauengruppen, die sich daran beteiligten, die Praxis zu stoppen, sind dabei, das Unheil zu durchbrechen und haben zusammen mit vielen gebildeten Frauen viel Druck ausgeübt auf Mitglieder gesetzgebender Versammlungen, und in der Tat gibt es einen Durchbruch in vielen Staaten in Nigeria, in denen Gesetze verabschiedet werden, die Genitalverstümmelungen für illegal erklären, aber das Problem ist, wie man dieser Gesetzgebung Geltung verschafft. Selbst in den USA, Großbritannien und Frankreich, wo weibliche Genitalverstümmelung verboten ist, wird diese immer noch heimlich von Afrikanern und Asiaten an ihren Kindern vorgenommen.
Burkhard: Nach der Wiedereinführung der Demokratie in Nigeria vor
einigen Jahren schien es Hoffnung zu geben auf eine bessere und
friedliche Zukunft in Nigeria. Nun scheint es, daß diese Hoffnung
ernsthaft erschüttert und bedroht wird durch die wachsenden
politischen/religiösen Konflikte zwischen dem Norden Nigerias, der sich
unter wachsenden starken islamischen Einflüssen befindet, und dem
vorwiegend christlichen Süden. Insbesondere die Einführung der Sharia
in einigen Regionen im Norden Nigerias hat viel Aufruhr verursacht.
Es gab internationale Berichterstattung in der Presse über die
Fälle zweier junger Frauen, die durch Sharia-Gerichte zum Tode durch
Steinigung wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs verurteilt worden
waren. Soweit ich mich erinnere, wurden beide Frauen angeklagt, weil
sie ein Kind zur Welt gebracht hatten, nachdem sie länger als ein Jahr
geschieden oder verwitwet waren. (Ich meine, zumindest eine von ihnen
war von einem Verwandten vergewaltigt worden, was beweist, wie
"ungerecht" Sharia-Recht ist, denn – zumindest in diesem Fall –
bestraft es das Opfer, während der Täter frei herumläuft.) Im ersten
Fall wurde das Todesurteil vom Berufungsgericht aufgehoben, während
dies im zweiten Fall nicht geschah. Würdest du in Anbetracht der
gegenwärtigen politischen Situation in Nigeria sagen, daß es eine
ernsthafte Bedrohung der demokratischen Entwicklung in diesem Land gibt
wegen der religiösen und/oder politischen Konflikte zwischen dem Norden
und dem Süden, und daß diese Konflikte – im schlimmsten Fall – zu einer
bürgerkriegsähnlichen Situation wie z.B. derjenigen im Sudan führen
könnten, die bereits seit vielen, vielen Jahren andauert (überwiegend
ohne daß die Länder der "ersten Welt" Notiz davon nehmen –
wahrscheinlich weil es nicht um Öl geht)?
Hannah: Was die zweite Frau, Amina Lawal, angeht, die zum Tode durch Steinigung durch das Sharia-Gericht verurteilt wurde, so hat das Berufungsgericht vor einigen Wochen das Todesurteil aufgehoben und die Entscheidung des Scharia-Gerichtes annulliert, es wurde also in beiden Fällen niemand getötet. Allerdings gibt es eine Bedrohung des friedlichen Zusammenlebens im Land wegen religiöser Intoleranz. Manchmal heikle internationale Ereignisse oder Konflikte wie der "Miss World"-Wettbewerb 2002 und der Irak/USA-Konflikt erfahren immer eine religiöse Interpretation, die in religiös motivierten Unruhen gipfelt. Während des "Miss World"-Wettbewerbs 2002 in Nigeria schrieb eine Journalistin einen Zeitungsartikel, von dem die Moslems behaupteten, daß er blasphemisch gegenüber ihrem Propheten sei, was zu Unruhen führte. Viele Christen und Nicht-Muslime wurden getötet und einige Kirchen und christliche Einrichtungen wurden niedergebrannt. Die Invasion des Irak durch die alliierten Truppen wurde als Invasion eines muslimischen Staates durch den christlichen Westen interpretiert und im muslimischen Norden wurden einige Kirchen zerstört und Christen getötet. Wenn also dieses Land geeint werden muß, sollte es ein säkularer Staat sein. Denn es ist immer schwierig, eine Lösung für religiöse Konflikte zu finden. Beispiele sind der Nordirland-Konflikt und der Sudan-Konflikt.
Burkhard: Denkst du, die Konflikte zwischen dem Norden und Süden Nigerias sind echte religiöse Konflikte oder könnte es sein, daß einige regionale "Clanführer" Religion nur als Mittel verwenden, um ihre politischen Interessen zu verstecken (bei denen es sich tatsächlich um private Interessen handelt, nämlich eine Art örtlichen Diktator zu spielen)?
Hannah: Einige Konflikte sind nicht wirklich religiöser Art, sondern politisch motiviert durch politische Führer, was sollte ansonsten der USA/Irak-Konflikt mit Nigeria zu tun haben, was die Nigerianer dazu provozieren sollte, Landsleute zu töten und Kirchen niederzubrennen?
Burkhard: Ich kann mir vorstellen, daß deine Arbeit sehr hart und ermüdend, manchmal gefährlich ist und viel Energie kostet. Was hilft dir – metaphorisch gesprochen -, die "Batterien wieder aufzuladen"?
Hannah: Ja, die Arbeit ist hart, ermüdend, gefährlich und braucht viel Energie. Manchmal werde ich von meinen Ärzten gezwungen, eine Pause zu machen.
Burkhard: Hast du irgendwelche Hobbies? Liest du gerne oder hörst du gerne Musik? Gibt es irgendwelche Bücher oder Künstler/Bands (aus Nigeria, Afrika oder sonstwo her), die du gerne empfehlen möchtest?
Hannah: Ja, ich lese, schreibe, reise und höre Musik, aber ich habe kein Buch über Musik. Es gibt einige Musiker in Nigeria, Südafrika und anderen Teilen Afrikas. Ein nigerianischer Künstler, dessen Musik ich liebte, war Fela Anikulapo Kuti (der vor einigen Jahren starb), weil er seine Musik dazu benutzte, die Übel der Gesellschaft zu bekämpfen.
Burkhard: Während all der Jahre, die du gegen weibliche Genitalverstümmelung gekämpft hast, was war die schlimmste/frustrierendste und was war die positivste/ermutigendste Erfahrung?
Hannah: Während der Jahre des Kampfes gegen weibliche Genitalverstümmelung waren die Jahre unter Abachas diktatorischer Militärherrschaft die frustrierendsten für uns und die positivsten und ermutigendsten waren von 1999 bis heute, als einige Staaten in Nigeria begannen, Gesetzgebung gegen weibliche Genitalverstümmelung zu verabschieden.
Burkhard: Falls jemand dich/deine Arbeit unterstützen möchte, welche Art von Hilfe wäre am wichtigsten für dich? Wie können Leute mit dir in Kontakt treten?
Hannah: Wir brauchen moralische, materielle und finanzielle Unterstützung, wir brauchen dringend einen Computer und eine Kopierer, Schreibwaren, Bücher über verschieden Themen einschließlich Recht und Menschenrechte. Wir brauchen Kleidung, Stoffe, Schuhe, Strümpfe und Kopftücher. Vor allem brauchen wir Geld für die Versorgung und die Unterstützung von Opfern weiblicher Genitalverstümmelung. Unsere Kontaktadresse ist: Hannah Edemikpong, Box 185, Eket, Akwa Ibom State, Nigeria, West Africa.
Burkhard: Irgendwelche letzten Worte? Irgendetwas, was du gerne den Lesern des Interviews sagen möchtest?
Hannah: Meine letzten Worte
"NENNE ES"
Nenne es Sunna
Nenne es Exzision
Nenne es Infibulation
Nenne es Pharaonische Beschneidung
Nenne es Tradition
Nenne es Antikolonialismus
Nenne es Ihre Kultur
Nenne es Nicht unsere Angelegenheit
Afrikanische Frauen nennen es "monkey de work baboon de chop" und es bedeutet, Männer stehlen unser Geschlecht so wie sie unsere Arbeit stehlen.
Afrikanische Frauen organisieren sich, um das Wegschneiden zu stoppen, auf die Art und Weise, wie Frauen sich immer organisiert haben, von Haus zu Haus, auf dem Marktplatz, eine Frau hält die andere auf der Straße zum Gespräch an.
Nenne es – erzähle einer Frau
Afrikanische Frauen brauchen dieses Gedicht nicht
Sie könnten finanzielle Hilfe gebrauchen, um die Betriebskosten für Radio-/TV- und Zeitungswerbung zu bezahlen
Sie könnten materielle Hilfe gebrauchen, einen Computer, Kopierer, Projektor, Lautsprecher
Sie könnten eine Videokamera gebrauchen
Sie brauchen ein nettes Wort. Wie deine Freundin, die den Vergewaltigungsnotruf betreibt (Falls Hannah hier mich angesprochen haben sollte, liegt dem offensichtlich ein Mißverständnis zugrunde: In einem meiner Briefe vor einigen Jahren erwähnte ich, daß eine meiner Lieblingssängerinnen, Tori Amos, eine Organisation namens RAINN gegründet hat, welche Vergewaltigungsopfern Hilfe anbietet. Allerdings ist Tori Amos keine Freundin von mir – leider! – Burkhard)
Brauchen ein nettes Wort. Sie brauchen einer Schwester, die es bemerkt.
Nenne es unsere Angelegenheit.
Danke
Burkhard: Ich danke dir dafür, daß du dir die Zeit genommen hast, alle meine Fragen zu beantworten.
Interview: Burkhard; Herbst 2003
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INTACT e. V.
(mehr englischsprachige Links findet ihr in der englischen Fassung dieses Artikels)