Solltet
ihr den Film noch nicht gesehen haben, dann kann ich euch nur empfehlen, sich
nicht von meinem oder einem anderen Text spoilern zu lassen und umgehend ins
Lichtspielhaus eures Vertrauens zu laufen, um ihn auf der großen Leinwand
in 3D und mit Ultrasound zu genießen, solange das noch möglich
ist.
Jep, Alfonso Cuaron zeigt diesen ganzen bekackten Amateuren mit ihren frenetischen
Schnitt-Stakkatos mal eben, wie man einen mitreißenden Action-Thriller
dreht. Wie bereits in "Children Of Men" demonstriert, schafft er
es wie kaum ein zweiter Regisseur, den Zuschauer von eben diesem objektiv
gefärbten Zuschauen loszulösen und rückhaltlos in den gegenwärtigen
Augenblick der Handlung hineinzuziehen, ihn ganz unmittelbar an den Ort und
die Protagonisten heranzuführen, ihn subjektiv teilnehmen zu lassen.
Ihn völlig einzutauchen.
Technisch ist der Film ein Wunderwerk. Da dürften wir uns alle einig
sein. Die Bildkompositionen und Kamerafahrten, das fantastische 3D, das Sounddesign
und der Score, die brillanten Animationen, denen man ihren künstlichen
Ursprung so gut wie überhaupt nicht ansieht.
Beim Drehbuch und den Darstellerleistungen kann man geteilter Meinung sein.
Ersteres fand ich zweckdienlich und angenehm ökonomisch, letzeres mehr
als nur solide. Es gibt nur zwei Charaktere und man fiebert mit beiden mit.
Unberührt von mitunter etwas schlichteren Dialogen oder Backstorys. Als
der Schorsch sich schließlich abseilte, trauerte ich tatsächlich
ein wenig um ihn und etwas in meiner Brust verkrampfte sich und lies mich
für Momente schwerer Atmen. Noch mehr beschlich mich jedoch die Befürchtung
und Verzweiflung, wie, um Himmels willen, Sandra und ich denn ohne seine souveräne
Führung aus diesem ganzen Schlamassel je wieder herauskommen sollten.
So gänzlich alleine und ausschließlich auf uns selbst gestellt.
"Gravity" ist nicht nur ein spektakulärer und atemberaubender
Blockbuster, nicht nur ein unterhaltsamer Katastrophenfilm mit unglaublichen
Schauwerten. Nein, er besitzt auch noch Herz und Tiefgang.
Der Film bedient sich dabei einer der grundlegendsten der menschlichen Ängste:
jener vor völliger Einsamkeit und Isolation. Jener, vollkommen von einem
endlosen Abgrund, einer bodenlosen, allumfassenden und unentrinnbaren Dunkelheit
verschluckt zu werden.
Das gesamte Geschehen befördert und einige Einstellungen illustrieren
die innere Evolution von Ryan Stone. Wir sind immer ganz dicht bei ihr und
ihren zunehmend verzweifelten Bemühungen ins lebendige Dasein zurückzukehren,
den Anschluß an die Erde und den Rest der Menschheit wiederzugewinnen.
Man könnte die Ereignisse, so man denn möchte, als Spiegel ihrer
psychischen Verfassung interpretieren. Als Allegorie für Trauer, Sinnlosigkeitsempfindungen,
Frustration. Als Depression und Überwindung derselben.
Wir alle müssen etwas finden, das uns trotz aller Widrigkeiten und Schicksalsschläge
kämpfen und immer wieder aufstehen läßt. Etwas, für das
es sich zu leben lohnt.
Okay, zugegeben, jetzt werde ich genauso pathetisch wie Alfonso beinahe am
Ende seines Werkes.
Es war jedenfalls ein höllischer Ritt. Aber ebenso ein prachtvoller.
Ich bin froh, an ihm teilgenommen zu haben. Jeder Film, der mich so effektiv
in seine Handlung hineinzuziehen versteht, der mich die existenzielle Bedrohung
spüren läßt, der mich bis an die Grenze, bis dicht an die
im Dunkeln lauernde Präsenz von Tod und Vergänglichkeit heranführt,
hat mich eigentlich schon gewonnen (letztes Jahr war's "The Grey";
siehe Besprechung). Da
sind mir ein paar lausige Klischees dann doch herzlich egal. Vor allem, wenn
sie mit dazu beitragen, die immersive Erfahrung nicht zu behindern. Als ich
aus dem Kino stolperte, hatte ich für den Abend und darüber hinaus
eine leicht veränderte Perspektive auf die Welt. Ich wußte plötzlich
den festen Boden unter meinen Füßen, die frische Atemluft in meinen
Lungen ganz neu zu würdigen. Und den Menschen an meiner Seite mit noch
einem Spürchen mehr Dankbarkeit als zuvor. Das Leben, die singuläre
Existenz. Was für eine total irre und doch unendlich schätzenswerte
Sache.
Ansonsten überlasse ich, wie immer, gerne den klügeren Leuten das Wort:
http://science.time.com/2013/10/01/what-gravity-gets-right-and-wrong-about-space/
http://badassdigest.com/2013/10/07/a-short-note-on-the-simplicity-of-gravity/
- Heiko - 11/2013