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"Waren die Neunziger wirklich so schlimm?" titeln die Kollegen vom Deaf Forever auf dem Cover ihrer momentan noch am Kiosk erhältlichen aktuellen Ausgabe (bis zum 14. Februar, danach natürlich in deren Shop nachbestellbar). Echtmetaller werden die oben genannte Frage ohne allzu lange Bedenkzeit mit einem lautstarken "Ja!" beantworten, denn die Neunziger bestanden ja ausschließlich aus dem ganz schlimmen Grunge, der bekanntlich ganz allein den Metal ermordet hat, und dem noch schlimmeren Nu Metal à la Korn und Weichkeks (Limp Bizkit).

Lässt man das Fallbeil nicht ganz so schnell nach unten sausen, fallen einem aber doch diverse Alben ein, die vielleicht gar nicht so schlecht waren. In ihrem allseits bekannten "Listenwahn" stellten die DF-Redakteure eine Top-200er-Auswahl und eine zweite Garnitur mit weiteren zumindest erwähnenswerten Scheiben der Neunziger zusammen. Etliches war in sich stimmig, aber es gab auch Ausfälle und Versäumnisse, die dem "Bayernkurier des Heavy Metal" (als Verfechter der reinen metallischen Lehre) eigentlich nicht hätten passieren dürfen.

Da springt man doch gern in die Bresche, rückt unterbewertete Platten ins rechte Licht und stellt außerdem Werke vor, die im DF gleich komplett unberücksichtigt blieben. Einen Anspruch auf "Vollständigkeit" (wäre ein Irrsinn bei einem ganzen Jahrzehnt) gibt's natürlich auch bei uns nicht. Erboste Schmähbriefe oder grenzenlose Huldigungen bitte an die im Impressum aufgeführten Mailadressen und nun viel Spaß beim Lesen!

AUTOPSY - MENTAL FUNERAL (1991)

Bei diesem Titel wird's schon zu Beginn völlig finster: In die DF-"Nebenliste" wurde das Autopsy-Debüt gewählt, obwohl das noch aus dem Jahr 1989 stammt. Das tatsächliche Meisterwerk "Mental Funeral" hingegen blieb ganz außen vor, obwohl es ein zeitloses Death-Metal-Album mit herrlich abgedrehten Songs und fiesen Doom-Passagen darstellt. Das war bei den Kollegen aber schon in einem ihrer früheren Specials so: Selbst in einem Ranking, das sich nur mit Todesmetall aus dem Jahr 1991 beschäftigte, landete die mit Abstand beste Autopsy-LP auf einem absurd-unverständlichen Platz 14. Mehr die Richtung Zweite Liga also und das ist nun wirklich Kokolores.

 

BEHERIT - BEHERIT (EP, 1991)

"The devil have sons, they called Beherit!" - so lautete seinerzeit der Werbespruch in einer Anzeige des Plattenlabels dieser finnischen Krachcombo. Offenbar dachte man, sich mit Rudimentär-Englisch dem Niveau der Musik anpassen zu müssen. Sicher, es klingt schon reichlich dilettantisch, was die Herrschaften hier fabrizieren, jedoch vermag der aufgeschlossene Musikhörer hinter dem windschiefen Black-Metal-Getöse einen leidenschaftlichen Enthusiasmus aufzuspüren, den man sich freilich erarbeiten muss. Mir persönlich ist dieser Lärm über all die Jahre doch ans Herz gewachsen, was bis heute nicht vielen vermittelbar ist. Auch früher, als Beherit noch nicht als "Kult" galten, gab es im Kreise metalhörender Kumpels eher gemischte Reaktionen ("Etz mach amal den Scheiß aus!").

 

BLIND GUARDIAN - TALES FROM THE TWILIGHT WORLD (1990)

Wurde diese Scheibe nur deshalb ausgewählt, weil Teile der Redaktion sie noch als Erstauflage auf CD oder Vinyl besitzen und spätere Releases vielleicht gar nicht mehr kennen? Keineswegs, sondern weil es ein richtig gutes Metal-Album mit einer sehr gelungenen Mischung aus Speed und mitreißenden Melodien ist, auf der auch mehr als 25 Jahre später noch kein Staub liegt. Und was war das seinerzeit 1990 für eine zweite Jahreshälfte gewesen, als neben diesem Klassiker die neuen Alben von Slayer, Sodom, Queensryche, Kreator, Iron Maiden, Megadeth, Annihilator, Black Sabbath, Nocturnus, Anthrax, Xentrix, Judas Priest, Obituary, Testament, King Diamond, Iced Earth, Psychotic Waltz und diversen anderen erschienen. Hier muss mitnichten die Nostalgie die Feder führen, denn damals reihte sich bis auf seltene Ausnahmen (siehe Maidens "No Prayer for the Dying") wirklich ein Hochkaräter an den anderen. Das gilt auch für Blind Guardian und die Fans der alten Tage werden diese Ära der Band vermutlich bevorzugen, weil sich hier der Bombast noch in Grenzen hielt und keine Mount-Everest-artigen Tonspurgebirge erschaffen wurden. Auch live war das sehr überzeugend - selbst miterlebt auf dem RH-Festival 1991, als Blind Guardian vor Tausenden von Fans mit einer spielerischen Leichtigkeit abräumten, als sei es das Einfachste der Welt.

 

BLOOD - O AGIOS PETHANE (1993)

Eine deutsche Krach-Institution, seit den Achtzigern aktiv und erst im letzten Jahr in alter Besetzung nach langer VÖ-Pause wieder mit einem neuen Longplayer in Erscheinung getreten. Das 2017er "Inferno" bewegte sich in bester Tradition des 1993 erschienenen BLOOD-Albums, bei dem man sich angesichts der herzerfrischend durch die Boxen rumpelnden Deathgrind-Eruptionen schon fragt, warum Blood abseits des Undergrounds hierzulande über so viele Jahre in der Presse eigentlich kaum einen Fuß auf den Boden bekamen. Das knapp halbstündige Gebretter hat nichts von seinem Reiz verloren und ist gut gealtert. Ja, es gibt Kapellen, die viel schneller spielen und auch in anderweitiger Hinsicht extremer sind, dafür jedoch an den Charme dieses Urgesteins nicht heranreichen.

 

CATHEDRAL - THE CARNIVAL BIZARRE (1995)

Irgendwie fällt dieses Cathedral-Album gerne mal durchs Raster, obwohl es einiges an interessantem Stoff darauf zu hören gibt. Bizarr ist ebenfalls so manches, da weist der Titel der Scheibe durchaus in die passende Richtung. Für Freunde kultiger B-Movies gibt es Verweise auf Genreklassiker wie "Der Hexenjäger" (mit Vincent Price) und die spanische "Reitende Leichen"-Filmreihe, aber auch Psychedelisches aus der Hippie-Ära hat hier definitiv seine Spuren hinterlassen. Die Band dürfte offensichtlich damals eine Menge Spaß daran gehabt haben, sich stilistisch auszutoben und was Sänger Lee Dorrian seinerzeit vor dem Videodreh zu "Hopkins (The Witchfinder General)" außer Earl Grey wohl sonst noch so alles in der Tasse hatte, darüber darf munter spekuliert werden.

 

PAUL CHAIN - ALKAHEST (1995)

Eine der auf Anhieb zugänglicheren Platten des Italieners, der sich musikalisch zwischen Doom Metal, Psychedelic Rock und Soundexperimenten bewegt, die eher abgedreht daherkommen. Lee Dorrian von Cathedral wirkte an diesem Album mit, das für den Einstieg gut geeignet ist, wenn einen der Weg vom Metal in Richtung Paul Chain geführt hat. Recht seltsam klingt es, wenn Chain häufig Texte singt, die im Grunde gar keine sind, sondern nur nach normalem Englisch klingen und eher wie ein zusätzliches Instrument eingesetzt werden.

 

COMECON - MEGATRENDS IN BRUTALITY (1992)

Eine seltsame Band oder doch wohl eher ein Projekt: drei Alben mit drei verschiedenen Sängern, die eigentlich bei anderen Gruppen hauptamtlich hinter dem Mikro standen (Entombed, Asphyx und Morgoth). Auf dem Erstling sang Lars-Göran Petrov, damals vorübergehend bei Entombed ausgestiegen, was der Anschaffung dieses Longplayers natürlich erhöhte Priorität verlieh. Comecon wichen trotz regionaltypischer Wurzeln vom bekannten Schweden-Sound anderer DM-Gruppen ab, was nicht zuletzt an der Verwendung eines Drumcomputers lag (ließ zwar Übles vermuten, schadete der Platte aber nicht). Auch die Gitarren und die Songstrukturen haben etwas Kühl-Distanziertes an sich, was manchem Hörer den Zugang erschweren könnte. Die Texte sind ebenfalls bemerkenswert, da vom Einmaleins der Metzgerlehre ausreichend weit entfernt und bisweilen sogar sozialkritisch. Dies konnte damals zum Problem werden, wenn einen die aufkeimende Black-Metal-Bewegung speziell in Norwegen als "Life Metal" deklarierte und man deshalb als nicht-linientreue Band sogar auf Todeslisten landete. Tja, so lief das seinerzeit, wenn neben den Cornflakes auch noch die Birne zu weich war und manch einer auf dumme Gedanken kam...

 

DEVIL DOLL - DIES IRAE (1996)

Ein wenig beachtetes, aber von seinen Anhängern im Überschwang verehrtes Meisterwerk ist dieses bis dato letzte Album der Prog-Band Devil Doll, einer Kreation des mysteriösen "Mr. Doctor", der für die Kompositionen verantwortlich zeichnet und ansonsten nur sehr wenig bis gar nichts von sich preisgibt. Die Alben bestehen zumeist aus einem großen, symphonisch angelegten Stück von ausgedehnt langer Dauer, musikalisch die Grenzen sprengend. Mastermind "Mr. Doctor" singt, krächzt, flüstert, wechselt häufig binnen weniger Augenblicke von einer kinderliedartigen Stimme über Sprechgesang zu schier überbordender, opernhafter Theatralik. In Verbindung mit der enorm facettenreichen Musik ergibt dies ein unvergleichliches Juwel, das bei jedem erneuten Hören einen faszinierenden Sog aufzubauen versteht, dem zu widerstehen schwer möglich ist, wenn man das Universum des Mr. Doctor mit seinen zur Verfügung stehenden Sinnen erfasst hat. Daher ist einfaches "Reinhören" ein ausgesprochen ungeeigneter Weg, sich diesem einzigartigen musikalischen Kosmos zu nähern. Hier ist tiefes, ungestörtes Eintauchen gefordert, das im besten Falle mit einer außergewöhnlichen Erfahrung belohnt wird, die ihren Reiz über Jahre hinweg zu erhalten vermag. Ein echtes Kunstwerk!

 

DISHARMONIC ORCHESTRA - NOT TO BE UNDIMENSIONAL CONSCIOUS (1992)

Schon mit ihrem zweiten Album lösten sich die Österreicher zusehends aus dem Death Metal, dem sie gesanglich noch angehörten, während musikalisch schon vieles raffinierter und progressiver war als bei anderen Bands dieser Zeit wie Cannibal Corpse oder Obituary. Es sind die kleinen Details wie der Beginn von "Groove" (sehr guter Bass außerdem) oder der Einstieg in "Addicted Seas with missing Pleasure", an denen man die Sorgfalt beim Songwriting erkennen kann, auch wenn die Band hier insgesamt noch relativ verschachtelt zu Werke geht. Nach langen Jahren der VÖ-Pause erschien 2016 mit "Fear of Angst" ein neues Album, das ebenfalls hörenswert geworden ist.

 

EROSION - III (1992)

Eigentlich bin ich ja nicht so der Freund von brachialem Hardcore, sondern tendiere mehr zu den Dead Kennedys oder den Spermbirds. Aber die schon lange aufgelösten Erosion aus Hamburg bilden dann doch eine Ausnahme. Ihr drittes Album aus den frühen Neunzigern ist ein satt produziertes Brett mit fulminanten Metalgitarren, wobei die Nähe zum Thrash angesichts der sonstigen Stationen der Mitwirkenden (Warpath, Dew-Scented, Holy Moses) nicht verwundert. Der Gesang ist auf die lange Strecke betrachtet etwas eintönig, passt jedoch gut zur Musik. Erosion legten sehr viel Energie in ihre Musik, was live sicher gut angekommen sein dürfte. Für Kontraste und einen interessanten Ausklang sorgt das abschließende, über 13 Minuten lange und im Gegensatz zum vorherigen Thrashcore-Geballer schleppend inszenierte "Dead Europe". Ziemlich gute Platte, leider in Vergessenheit geraten.

 

EYEHATEGOD - TAKE AS NEEDED FOR PAIN (1993)

Das zweite Album der kaputten Sludge-Doom-Band aus New Orleans zu unterschlagen, geht eigentlich gar nicht. Sicher war ihr Debüt radikaler, aber die besseren Songs und die überzeugendere Band-Performance hat zweifellos diese Scheibe vorzuweisen. Und nur weil das Material zugänglicher ist, wirken Eyehategod hier keineswegs milder als auf ihren sonstigen Alben. Die Mischung aus Doom, Hardcore und textlichen Abgründen, die mit verzweifeltem Schreigesang ausgelotet wurden, war stilprägend, auch wenn der damit verbundene Lebensstil alles andere als gesund zu sein scheint. Aber vielleicht ist das allzu naheliegend, wenn man solche Musik spielt bzw. es können angesichts grenzüberschreitender Lebensumstände voller Depression, Alkohol und Drogen auch nur diese Klänge zustande kommen. Ausgeglichene Zeitgenossen schreiben Songs wie diese vermutlich nicht...

FETISH 69 - ANTIBODY (1993)

Zugegeben, besonders oft habe ich diese CD zunächst nicht gehört. Sie war günstig und vermutlich einer dieser Restposten, der im Mailorder preisgünstig verscherbelt wurde. Aber der kürzlich nach vielen Jahren erfolgte Neukontakt zeigte, dass die Scheibe gar nicht schlecht ist, im Gegenteil. Industrial Metal nannte man diesen Sound mangels besserer Kategorien und Produzent Colin Richardson (Fear Factory, Machine Head) verlieh dem Album einen modernen, harten Klang, der auch 25 Jahre später noch funktioniert. Was die Band außerdem veröffentlichte (es gibt unter anderem drei weitere Longplayer), ist spurlos an mir vorbeigezogen, doch "Antibody" mit seinen Bezügen zur Wiener Aktionskunst von Günter Brus (siehe Front- und Backcover) ist besser als bislang abgespeichert. Mal hart und rhythmisch, dann wieder langsam und schwer - eine gelungene Mischung.

 

FILTHY CHRISTIANS - MEAN (1990)

Ein früher Earache-Release aus der guten alten Zeit (damit diese Floskel endlich auch zu ihrem Recht kommt). Die einzige LP der Schweden abseits von Demos und EPs ist geprägt von punkigem Grindcore, bei dem aber nicht der sinnlose Lärm regiert. Im ersten Stück ist sogar ein Cover von Donna Summers "Hot Stuff" versteckt, ansonsten dürften sich hier vor allem Fans von Gruppen wie Extreme Noise Terror wohl fühlen. Wohlwollend zu registrieren ist "Dom ljuger", ein Cover der Landsleute von Mob 47, einer bis heute unermüdlich ackernden Hardcore-Band mit Schlagzeugunikum Chrille, der scheinbar stets gutgelaunt und jung geblieben seinen D-Beat klopft, wie er das auch in den vergangenen 35 Jahren getan hat (Rehearsal-Videos bei YouTube anschauen!).

 

GODFLESH - SELFLESS (1994)

Der November 1989 ("Streetcleaner"-VÖ) ist zwar knapp dran an den Neunzigern, muss aber trotzdem draußen bleiben. Da hatten die Kollegen vom DF wohl das falsche Zielwasser erwischt. Macht nichts, dann nehmen wir halt "Selfless" mit in die Auswahl, definitiv in den Neunzigern entstanden und ein feines Album. Godflesh liefen damals häufig in der Übergangsphase zwischen Zivildienst und Studium und bilden in meiner musikalischen Welt das, wofür bei anderen vielleicht eine Band wie Voivod steht: Manches ist sperrig und muss in der entsprechenden Stimmung gehört werden, nicht jedes Album würde man spontan als unverzichtbar einstufen. Und doch ist da dieses gewisse Etwas, dieser ganz spezielle Sound, den eigentlich nur diese Band hat. Während Songs wie "Crush my Soul" ziemlich brachial sind, zeigt Justin Broadrick sich in "Black Boned Angel", "Empyrial" oder im 24 Minuten langen "Go spread your Wings" von einer melodischeren, aber auch düsteren Seite. Schwere Kost, aber die Geduld wird belohnt, wobei andere Godflesh-Anhänger im Direktvergleich "Pure" von 1992 bevorzugen.

 

GRAVE - INTO THE GRAVE (1991)

Schön brutaler Schwedentod der ganz alten Schule - betont simpel und effektiv eingetrümmert. Während andere Bands aus der Region filigraner wurden oder stilfremde Elemente einbauten, blieben Grave ihren Grundsätzen treu. Nach diversen Demos und einem Labelsampler erfüllte das Debutalbum die Erwartungen, auch wenn ihm hier und da etwas die Luft ausgeht. Stilistisch ist der Sound halt relativ begrenzt und quasi das musikalische Äquivalent zu Bratkartoffeln: Die wären auf Dauer auch eintönig, sind aber von Zeit zu Zeit genau das Richtige.

 

GRIEF - COME TO GRIEF (1994)

Hier muss ein kurzes Zitat aus unserer Herbstmusik vom Dezember 2014 genügen: "...in der richtigen Stimmung gerät "Come to Grief" in seiner erschlagenden Eintönigkeit zu einem beeindruckenden Monument - geformt aus Verfall, Hässlichkeit, Nihilismus und Weltekel." Ja, es ist ein Widerspruch, wenn einerseits in dieser Liste das Debüt von Eyehategod wegen des eingängigeren Nachfolgers entfällt, aber Grief hatten mich in ihrer radikalen Monotonie genau im richtigen Moment erwischt. Dennoch bleibt eines klar: Diese Platte ist nicht so nebenbei mitzunehmen, sonst kann sie einem auch tierisch auf die Nerven gehen. Für geladene Gäste sozusagen!

 

HELLACOPTERS - SUPERSHITTY TO THE MAX! (1996)

Irgendjemand schrieb mal (es war wohl im Rock Hard), dass auch die Hellacopters wie andere ihrer skandinavischen Kollegen vom Kiss-Virus befallen worden seien, vom Gaspedal gingen und deutlich gefälliger wurden. Auf dem Erstling, eingeleitet und abgeschlossen mit Samples aus THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2 mit Dennis Hopper, ist der Sound dagegen noch deutlich rauer und verzerrter, was die LP für jene empfehlenswert macht, die das spätere Schaffen der Band ist etwas zu glatt empfinden.

 

HOLY MOSES - REBORN DOGS (1992)

Irgendwann zogen Kreator, Sodom und Destruction an den anderen deutschen Thrash-Bands vorbei und wurden später zu Ikonen für jüngere Gruppen, etwa aus dem Black-Metal-Zirkel. Auch Holy Moses sind (zumindest nach meiner Wahrnehmung) dabei ins Hintertreffen geraten, obwohl "Reborn Dogs" von 1992 eine ziemlich gelungene Scheibe war und geblieben ist. Der megabrutale Gesang von Sabina Claassen macht keine Gefangenen und auch die brachiale Produktion unterstützt das nach Kräften. Während Kreator damals (gelungen) experimentierten, blieben Sodom und Holy Moses auf Kurs. Damals gab es für die Band aus Aachen noch ziemlich gute Kritiken dafür, aber heutzutage scheint es mir so, als stünde diese Bandphase in merklich geringerem Ansehen. Wiederentdecken kann sich lohnen!

 

INCUBATOR - McGILLROY THE HOUSEFLY (1992)

Todesmetall kann hier nur als Oberbegriff dienen, denn ebenso wandelbar wie der Gesang von Chris Mummelthey ist auch der Sound der Band. Kein stumpfes Gebolze, sondern eine verwegene Stilmischung mit Exkursionen in diverse Gefilde, die von hardcore-metallisch bis melodiös reichen. Das war seinerzeit schon notwendig, um sich von der Flut an vergleichweise uniformen Genreprodukten abzusetzen, aber ob sich der Mut zu Vielfalt und Risiko ausgezahlt hat, vermag ich nicht einzuschätzen. Mehr als ein Geheimtipp für Freunde des Entlegenen wird dieses schräge Album sicher nicht mehr werden, aber die sollten definitiv danach Ausschau halten.

 

INCUBUS - BEYOND THE UNKNOWN (1990)

Im Metal Hammer schrieb seinerzeit Robert Müller, dass diese Platte ein totaler Slayer-Klon sei. Eigenartiger Vergleich, aber warum nicht. Incubus zählten damals zu einer Handvoll Bands, mit denen Nuclear Blast nach ihren Anfängen im Hardcore-Bereich erstmals auch nennenswerte Absatzzahlen mit Metal erreichten (neben Incubus waren das unter anderem Master, Atrocity oder Pungent Stench). Incubus, die sich später in Opprobrium umbenennen mussten, waren kein Variabilitätswunder, manches klingt doch etwas gleichförmig. Trotzdem hatte ihr sehr rauer Thrash mit Death-Anleihen damals so einige Fans. Wem die alten Ausgaben (vergriffen) zu teuer sind, der kann auch nach der Neuauflage Ausschau halten (gleiches Artwork, neuer Bandname).

 

IRON MONKEY - IRON MONKEY (1997)

Mittlerweile sogar wieder aktiv, auch wenn der frühere Sänger leider verstorben ist. Iron Monkey waren damals hörbar im gleichen Genre wie Eyehategod unterwegs, nur mit massiverem Gitarrensound. Das Kreischen des Sängers man Fans klassischer Heldentenöre schnell auf den Wecker gehen, passt aber wie die Faust aufs Auge. Musikalisch ist das eines jener Kinder der Neunziger, die auch heute im Sludge/Doom-Underground fortleben. Andere Geschichten entwickelten eine sehr kurze Halbwertszeit und waren bald wieder verschwunden.

 

KREATOR - RENEWAL (1992)

Gleich zu Beginn das Unvermeidliche: Das ist die vielleicht beste Kreator-Platte. Fans der alten Schule sind jetzt vermutlich schon mit Atemnot ins Rettungsboot gefallen, aber das muss man in Kauf nehmen. Der Vorgänger "Coma of Souls" war auch sehr gut, verfeinerte aber mehr den bis dahin gegangenen Weg. Mit "Renewal" fand die bereits im Titel angesprochene Erneuerung statt, auch wenn sich Band im Nachhinein betrachtet musikalisch gar nicht so extrem veränderte. Einzelne Songs sind dabei weniger hervorzuheben, es ist schon die Gesamtleistung, die "Renewal" aus der Kreator-Discographie heraushebt (was leider nur wenige so sehen). Einen weiteren "Sündenfall" gab's gegen Ende des Jahrzehnts, als 1999 auf "Endorama" der Gothic Metal markante Spuren hinterließ: Kreator hatten den Weichspüler entdeckt, aus Mille wurde Miele. Das mochte damals auch nicht jeder.


LAIBACH - JESUS CHRIST SUPERSTARS (1996)

Ein außergewöhnliches Künstlerkollektiv aus Slowenien, schon in den Achtzigern eine Zielscheibe für Gerüchte und Fehlinterpretationen aller Art. Nachdem die Frage der Fascho-Propaganda irgendwann zu Laibachs Gunsten geklärt war, überraschten sie nach zwei elektroniklastigen Alben in den frühen Neunzigern mit dieser CD, die ganz prominent nun auch harte Metalgitarren einsetzte. Für Unwissende mag dies nach Rammstein-Anbiederei geklungen haben, aber Laibach waren auch in dieser Zeit wie gewohnt auf ihrem eigenen Planeten unterwegs.

 

MASSACRA - ENJOY THE VIOLENCE (1991)

Ja, in den frühen Neunzigern gab es viel Todesmetall zu hören. Wie bei jedem aufstrebenden Genre wurde das Ganze bald zum Trend, der später wieder abebbte. Von den zwischenzeitlichen DM-Revivals hatten die Franzosen Massacra (super Bandname) nichts mehr, ihr letztes Album erschien Mitte der Neunziger. Unterbewertet finde ich bis heute die zweite Scheibe, die handwerklich sauber gemacht ist - da kann man nicht meckern. Gut produzierter Death-Thrash mit starken Riffs und Semi-Hits wie "Gods of Hate" hinterließen einen ordentlichen Eindruck, auch wenn die kompositorischen Finessen etwas fehlen. Kein Klassiker also, aber doch recht gut gealtert.

 

MASTER - MASTER (1990)

Paul Speckmann hat einen der kultigsten Namen im Metal und ist seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Thrash-Death-Rumpel-Ursuppe, auch wenn es Zeiten gab, in denen einfach zu viele Platten unter seiner Mitwirkung auf den Markt kamen. Das musste auch milde gestimmte Anhänger überfordern, denn so locker saß einem die Brieftasche damals ja nicht. Musikalisch regiert effektiver Minimalismus mit reichlich Durchschlagskraft nach dem Motto "Stumpf ist Trumpf". Stellenweise übertreibt die Band es damit ein wenig, aber unterhaltsam ist das Album auf seine Art dennoch. Der Titeltrack, das schrullige Bass-Solo und die Coverversion von "Children of the Grave" stellen einige der erinnerungswürdigen Momente dar. Nichts für Schöngeister, aber schön eingängig.

- Ende des ersten Teils -

- Stefan - 01/2018