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Herzlich willkommen zum zweiten Teil unserer Spurensuche nach weiteren bemerkenswerten Platten der Neunziger, die es entweder verdient haben, aus der zweiten Garnitur noch einmal in die erste Reihe geholt zu werden oder überhaupt den Weg aus dem Archiv zurück ans Tageslicht zu finden. Und auch hier gilt: Das Ganze ist eine höchst subjektive Auswahl und selbstredend sind die ohnehin bei den Kollegen vom Deaf Forever präsentierten Klassiker der Neunziger hier nicht zu finden. Denn es geht uns ja in erster Linie um jene vergessenen Werke, die offenbar unter dem Radar geflogen sind.

MAYHEM - LIVE IN LEIPZIG (1993)

Was an persönlichen und verbrecherischen Abgründen von der Kirchenbrandstiftung bis hin zum Mord im norwegischen Black Metal der frühen Neunziger geschah, ist hinlänglich bekannt. Zum bemerkenswerten musikalischen Erbe dieser Ära gehört das erste Mayhem-Livealbum, mitgeschnitten im November 1990 im Eiskeller in Leipzig. Der längst legendäre, dabei aber gar nicht einmal besonders gut besuchte Gig zählt zu den Grundpfeilern eines Kults, mit dem sich bis heute auch qualitativ deutlich schlechtere Aufnahmen immer noch als x-te Neuauflage verkaufen lassen, wenn nur das klassische Line-up darauf zu hören ist. In sehr rauem, aber klarem Sound fräst und prügelt sich die Band durch ihr damaliges Live-Repertoire. Am Mikrofon ein wie entfesselt agierender Sänger, der sich nur wenige Monate später das Leben nehmen wird. Schon aus diesem Grund ist das Album ein Zeitzeugnis von historischem Wert. Songs wie "Funeral Fog" verströmen die Aufbruchsstimmung des sich damals neu formierenden Black Metal: klare Abgrenzung vom Death Metal, musikalisch radikal und leider streckenweise auch unfassbar hohl. Manchem aus der Szene war das Jahre später peinlich, andere waren zu jenem Zeitpunkt bereits tot.

 

MIASMA - CHANGES (1992)

Aus Österreich kamen diese Herren, die zweite Generation nach Vorreitern wie Pungent Stench (deren Gitarrist "Changes" produzierte) oder Disastrous Murmur. Das einzige Album wirbelte damals nicht sehr viel Staub auf, was weniger an der Qualität als am Überangebot der Konkurrenz lag. Die massive Produktion und die aus tiefsten Katakomben aufsteigende Stimme machen "Changes" zu einem Untergrund-Juwel für Freunde der richtig düsteren Klänge und die zahlen heute für ein Exemplar der alten LP durchaus hohe Sammlerpreise. Für den kleineren Geldbeutel genügt auch die 2017er-Neuauflage.


NAPALM DEATH - LEADERS NOT FOLLOWERS (EP, 1999)

Kein vollständiges Album, aber eine Scheibe, die mir damals die Band und auch den härteren Metal wieder schmackhaft machte. Mit viel Energie und Lautstärke jagen die Briten durch sechs fulminant gespielte Coverversionen von Raw Power, Slaughter (Kanada), Pentagram (Chile), Death, Repulsion und den Dead Kennedys. Von letzteren gibt es "Nazi Punks fuck off" zu hören, was die Band gelegentlich auch zusammen mit Jello Biafra live spielt und dann zu "Nazi Trumps fuck off" mutieren lässt. Das mag plakativ sein, aber für Argumente sind grenzdebile Vollhonks nun mal leider kaum empfänglich.

 

NEUROTIC OUTSIDERS (1995)

Es gibt Platten, die altern nicht sehr gut. Mit "Fire and Gasoline", dem 1989er Soloalbum des Sex-Pistols-Gitarristen, geht's mir schon seit längerer Zeit so. Im Metal Hammer damals mit der Höchstnote geadelt, war die Scheibe definitiv ein Kind ihrer Zeit. Dummerweise hat das aber den Effekt, wie wenn man heute Fotos von pastellfarbenen Jackets mit Schulterpolstern sieht: Das war damals schon ziemlich "cheesy" und wurde mit den Jahren nicht besser. Klar waren Nikki Sixx von Mötley Crüe und W. Axl Rose von Guns n' Roses prominente Namen, aber das Ding klingt dennoch zu aufgeblasen und hält den Erwartungen auf Dauer nicht stand. Mitte der Neunziger formierten Steve Jones, Duff McKagan, Matt Sorum (beide GNR) und John Taylor (Duran Duran) die Neurotic Outsiders, die es lediglich zu einem Album brachten, das unverdienterweise schnell in Vergessenheit geriet. Zu hören gibt es flotten, punkigen Hardrock und einige getragenere Stücke wie etwa "Union", ein wehmütiger Blick auf alte Sex-Pistols-Zeiten. Bereits Anfang 1996 wurde dann tatsächlich die Pistols-Reunion verkündet, was ein weiterer Grund gewesen sein mag, warum diese Scheibe keinen größeren Langzeiterfolg hatte. Als sommerlicher Soundtrack für Autobahnfahrten und ähnliche Gelegenheiten macht sich das Ganze aber immer noch sehr ordentlich.

 

NOCTURNUS - THE KEY (1990)

Ein Highlight aus dem Earache-Katalog, wobei man sich als Fan melodischerer Musik da nicht abschrecken lassen sollte. Der singende Nocturnus-Drummer Mike Browning (Ex-Morbid-Angel) war zwar insgesamt eher auf der raueren Schiene unterwegs, klingt aber nicht nach lungenkrankem Schäferhund. Musikalisch ist das Album erste Sahne: exzessive Riff-Gebirge am laufenden Meter, die Gitarristen solieren um die Wette und als ungewöhnliche Zugabe gibt's Keyboards. Nicht bloß für ein Intro hier und da, sondern als durchaus gleichberechtigtes Instrument. Zeichner Dan Seagrave veredelte diese ungewöhnliche SF-Metal-Mixtur mit einem seiner damals beliebten Artworks. Und auch wenn es wie das Gewinsel unverbesserlicher Old-School-Fans klingt: Besser als auf ihrem ersten Album waren Nocturnus in der Tat später nicht mehr. In einem Genre, das sich bereits in den zwei, drei Jahren nach "The Key" schnell mit einer ganz erheblichen Menge an recht blassem Durchschnitt aufblähte, blieb das Nocturnus-Debüt bis heute ein herausragendes Album, das nicht in die zweite Garnitur verbannt werden sollte.

 

THE OBSESSED - THE CHURCH WITHIN (1994)

Auch diese Platte fristet für meinen Geschmack ein unverständliches Schattendasein, von einigen Reviews aus der Entstehungszeit mit höheren Punktewertungen einmal abgesehen. The Obsessed standen damals an der Schwelle zum (für ihre Verhältnisse) größeren Erfolg, hatten sie doch kurzzeitig einen Majordeal in der Tasche und mit ihrer dritten LP ein mächtig gutes Album vorzuweisen. Leider waren die Verkäufe nicht so gut wie erwartet und die Band löste sich bereits Mitte der Neunziger für viele Jahre erst einmal auf. Dabei stimmt hier eigentlich alles: Selbst wer sich von Doom eigentlich eher fernhält, weil ihm das zu langsam und getragen ist, wird hier auf Songs stoßen, die mit ordentlich Groove aufwarten können und für Obsessed-Verhältnisse sogar ziemlich flott gespielt sind. Es stellt sich also die Frage, warum "The Church Within" trotzdem nur zu den Geheimtipps des Genres gehört. Weil es aus irgendwelchen Gründen nicht als cool galt, die Band zu hören? Weil sie nicht allzu offensichtlich Black Sabbath kopierte und daher im Zuge diverser Retro-Revivals niemand auf sie aufmerksam wurde? Das klingt vielleicht plausibel, ist es jedoch bei näherer Betrachtung auch wieder nicht, denn The Obsessed hatten sehr wohl prominente Fürsprecher wie Henry Rollins. Wahrscheinlich war es einfach nur Künstlerpech...

PESTILENCE - TESTIMONY OF THE ANCIENTS (1991)

In diesen Tagen ist wieder einmal eine neue Platte von Pestilence erschienen und auch wenn es wahnsinnig originell ist, werden sicher etliche Reaktionen nicht ohne den Verweis auskommen, dass der letzte wirklich überzeugende Longplayer der Band von 1991 stammt und das ist dann doch viele Jahre her. Auch in den Userreviews bei "Metal Archives" zieht sich diese Einschätzung durch alle Kommentare zu den Releases seit "Testimony of the Ancients" (und das sind ebenfalls nicht wenige). Pestilence hatten im Jahr 1991 eine mit Death vergleichbare musikalische Entwicklung hinter sich, also auf dieser Platte den Bogen von eher rauen Anfangstagen zu einem technisch anspruchsvollen Sound gespannt. Was danach kam, kenne ich nur zum Teil, aber es klang lediglich wie eine uninteressantere Variation des bereits Bekannten, ohne das auf "Testimony of the Ancients" erreichte Niveau noch einmal toppen zu können.

 

PSYCHOTIC WALTZ - INTO THE EVERFLOW (1992)

Wenn eine Prog-Metal-Scheibe aus den Neunzigern in dieser Zusammenstellung nicht fehlen darf und nicht in die zweite Reihe abgeschoben werden sollte, dann ist es natürlich das zweite Waltz-Meisterwerk, welches im Nonkonform und dann später auch auf diesen Seiten wahre Heiligsprechungen erfuhr. Auch wenn ich für meinen Teil nicht gleich ins Sakrale abdriften würde: Es ist schon beeindruckend, auf welchem Niveau sich die Band hier bewegte und wie es ihr gelang, ausgeklügelte Songstrukturen nicht künstlich "progressiv" wirken zu lassen, sondern immer auch Härte und Melodien mit einzubinden ("Little People", "Hanging on a String"). Nach zwei weiteren Studioalben wurden dann 1997 die Bandaktivitäten für viele Jahre zunächst eingestellt, es folgten noch diverse Compilations mit Demos, Livetracks und Neuauflagen der bis dato erschienenen LPs. Da Psychotic Waltz jedoch seit geraumer Zeit wieder auf Tour sind, darf man auch Hoffnungen in neues Material setzen. Die Konzertreviews aus dem vergangenen Jahr lassen jedenfalls darauf schließen, dass die Band live noch in genauso guter Form ist wie in den Neunzigern.

 

PUNGENT STENCH - BEEN CAUGHT BUTTERING (1991)

Trotz betont grausiger Artworks auf den ersten beiden Platten hatte auch rabenschwarzer Humor bei Austria's Finest immer seinen Platz. Zumindest bevor sich die Herrschaften irgendwann einmal komplett zerstritten, wodurch ein bereits aufgenommenes Album seit einer halben Ewigkeit im Archiv schlummert und Gitarrist/Sänger Martin Schirenc heutzutage unter verändertem Bandnamen und mit neuer Besetzung die alten Songs live zum Besten gibt. Im Jahr 1991 war dieser Ärger noch weit entfernt, wie "Been caught buttering" beweist. Das Holzhacker-Gerumpel früherer Veröffentlichungen ergänzte sich wunderbar mit Siebziger-Einflüssen, die man vor allem bei einigen Gitarrensoli und Bass-Passagen heraushört. Herrlich absurde Songtitel wie "Happy Re-Birthday", "Brainpain Blues" oder "Splatterday Night Fever" runden das gelungene Bild ab. Auch wenn es später zeitweise zur Mode wurde, Death Metal mit rockigen Sounds zu koppeln, hatte das nicht den originellen und abstrus-kaputten Touch wie hier. Auf ein Finale wie in "Games of Humiliation" mit Röchelstimme und Flamenco-Gitarren muss man erst mal kommen.

 

ROSTOK VAMPIRES - TORMENT OF TRANSFORMATION (1991)

Es gab tatsächlich mal eine Zeit, da war es undenkbar, dass auf einem allseits bekannten Donzdorfer Label ("Nukular, es heißt Nukular!" - Homer Simpson) einmal Bands wie Slayer oder Manowar unter Vertrag stehen würden. Die Rostok Vampires mixten Thrash-Härte mit melodischem Hardcore und brachten es damals auf drei Longplayer (ein vierter erschien 2005), die zu den heimlichen Highlights im NB-Repertoire der frühen Jahre zählen. Ich würde nicht gleich von einsam strahlenden Klassikern sprechen wollen, aber Geheimtipp-Status haben sich die Platten auf jeden Fall verdient.


SAMAEL - WORSHIP HIM (1991)

Man kann ihn schon mal aus dem Auge verlieren, diesen frühen Meilenstein der zweiten BM-Welle zu Anfang der Neunziger. Schließlich hatten die Schweizer (nach allem, was wir heute wissen) keine Kirchen angezündet, niemanden umgebracht und keine unschönen Ausflüge nach politisch ganz rechtsaußen unternommen. Da muss man doch glatt mit der Musik vorlieb nehmen und die ist brillant: schleppender Schwarzmetall, streckenweise mit einigen schnelleren Ausbrüchen aufgelockert, fieser Gesang, düstere Keyboards als gelegentliche atmosphärische Zugaben. Bereits 1990 eingespielt und ein Jahr später als erste Veröffentlichung von Osmose Productions auf den Markt gebracht, galt "Worship Him" zunächst mitunter noch als Death Metal, obwohl das Album tiefschwarz daherkommt. Die beiden Nachfolger waren eher lauwarm, was die Mehrheit zwar anders sieht, aber an die finstere Intensität des Debüts reichten sie nun einmal nicht heran. Wenn es Black Metal sein muss, dann genau so wie hier.

 

SICK OF IT ALL - JUST LOOK AROUND (1992)

Jetzt sind wir mittendrin im Zeitgeist der Neunziger: Alles wird vermischt, Hardcore trifft auf Metal-Sound und reichert sich mit Hip-Hop-Grooves an. Das mit "Reign in Blood"-Länge sehr kompakt gehaltene Album kommt schnell auf den Punkt und positioniert sich mit den einleitenden Zitaten aus der Iran-Contra-Affäre auch mit einem politischen Thema. Es war unproblematisch, sich der Band anzunähern, wenn man mit dem Hardcore/Crossover der späten Achtziger (Leeway, Excel, Cro-Mags etc.) ohnehin schon vertraut war. Denn urplötzlich in den Neunzigern vom Himmel gefallen oder von findigen Trendscouts der Plattenfirmen konstruiert waren Gruppen wie Sick of it All ja nun gerade nicht.

 

DIE SKEPTIKER - HARTE ZEITEN (1990)

Die einzige ostdeutsche Band in dieser Liste, noch zu DDR-Zeiten gegründet und bis heute aktiv. Der Punk der Skeptiker war immer etwas Ausgefallenes, auch wegen der Texte und des theatralischen Gesangs von Eugen Balanskat (der zweigeteilte Meinungen hinterlässt). Mein Erstkontakt erfolgte im "Zündfunk", einer Sendereihe im BR-Kulturradio, die auch härtere Musik bis hin zum Death Metal in ihrem Programm unterbrachte. "Harte Zeiten" ist eine der bemerkenswertesten Rockplatten in deutscher Sprache und hat im Gesamtwerk der Band immer noch einen besonderen Stellenwert.

 

SLAYER - DECADE OF AGGRESSION (1991)

Der kompakt auf zwei CDs bzw. vier LP-Seiten zusammengefasste Abschluss der goldenen Ära bis "Seasons in the Abyss", obwohl natürlich jedem halbwegs mit der Slayer-Diskografie vertrauten Metalfan aus dem Stegreif weitere Tracks einfallen werden, die es nicht auf dieses Live-Dokument geschafft haben. Aber das wird natürlich mit Leichtigkeit dadurch aufgewogen, die klassische Slayer-Besetzung mit einer Vielzahl ihrer Klassiker auch dann noch hören zu können, wenn die Band ihre kürzlich angekündigte "Final Tour" beendet haben und tatsächlich Geschichte sein wird (falls es denn wirklich so kommt).

 

SLO BURN - AMUSING THE AMAZING (EP, 1997)

Was hätte aus dieser Band, entstanden nach dem Ende von Kyuss, alles werden können. Bis heute jedoch hat es nur zu einer EP gereicht, obwohl ja noch weiteres Material in musikalisch gleichrangiger Qualität als Bootleg kursiert. Live sind die Herren zumindest wieder aktiv und es klingt erfreulicherweise nicht nach aufgewärmtem Quark von vorgestern. Wenn das keine gute Gelegenheit wäre, tonträgertechnisch mal die Archive zu entrümpeln und die Menschheit daran teilhaben zu lassen...

 

SODOM - BETTER OFF DEAD (1990)

Nach dem Erfolg von Agent Orange und der damit verbundenen Erwartungshaltung fiel "Better off dead" etwas durchs Raster, auch wenn die LP sehr wohl ihre Highlights hat ("Shellfire Defense", "Stalinorgel") und sogar ungewöhnlich melodische Songs darauf zu hören sind. Die Auswahl der Coversongs (Tank, Thin Lizzy) wurde unter Fans durchaus kontrovers diskutiert, aber selbst wenn Sodom hier nicht in Bestform zu hören sind, spricht nichts dagegen, die Platte gelegentlich mal wieder aufzulegen.

 

SOILENT GREEN - SEWN MOUTH SECRETS (1998)

Eine richtig schöne "Nervplatte" haben wir hier vorliegen, denn was die Band mit hektischen Stilwechseln häufig innerhalb eines einzigen Songs anstellt, kann schwerlich als Easy Listening durchgehen. Zwischen Sludge, Hardcore und Grind zu pendeln ist aber auch reichlich verwegen und so dürfte das Album wohl nur in der richtigen Stimmung funktionieren. Also nicht gleich beim ersten Versuch aufgeben, es kann dauern! Erwähnenswert ist auch das schön gestaltete Booklet mit Bildern von Alfons Mucha.

 

SOUNDGARDEN - DOWN ON THE UPSIDE (1996)

Das letzte Album vor dem zwischenzeitlichen Split ist nicht unbedingt eine LP, die sich sofort zu einer Einheit formt. Von zerfahren oder unstrukturiert kann aber kaum die Rede sein, wenn man sie mehrmals hört und auch das Material abseits der eingängigeren Songs auf sich wirken lässt. Die Stücke sind häufig recht melancholisch, teilweise auch düster ("Applebite"), während sie in der zweiten Hälfte im direkten Vergleich etwas "schwieriger" werden. Der Songaufbau wirkt sperriger, aber schlecht ist auch das nicht. Es könnten vielleicht noch etwas leichtere, griffigere Stücke am Start sein, wie sie zu Anfang prominenter vertreten sind. Allerdings zieht einen die Stimmung auch etwas runter, wenn Chris Cornell im letzten Stück singt: "There must be something else, there must be something good, far away from here". Bleibt zu hoffen, dass er dies nach seinem eigenen Ende gefunden hat...


 

SPERMBIRDS - COMMON THREAD (1990)

Ein Meisterwerk der frühen Neunziger und wer kennt's? Hervorragend waren die Spermbirds damals ja schon auf ihren ersten beiden Platten gewesen, aber "Common Thread" setzte dann noch mal einen drauf. Eine melodiöse Hardcore/Punk-Hymne nach der anderen, was zur "Heavy Rotation" in Walkman und Tapedeck führte. Der unvergleichliche Gesang von Lee Hollis und eine perfekt aufeinander eingespielte Band ergeben eines dieser Alben, die bleibenden Wert besitzen. Später in den Neunzigern gerieten die Spermbirds allerdings zeitweise auf Abwege, als sie mit einem neuen Sänger zwei hörbar trendbeeinflusste Platten aufnahmen. Verweise auf Pantera, Biohazard, Clawfinger und Co. wurden in zeitgenössischen Reviews als musikalische und optische Bezugspunkte gelobt. Wer die früheren Alben besser fand, galt (wenn man sich die RH-Besprechungen ansieht) als rückwärtsgewandt, aber es hatte schon seine Gründe, warum sich die Band dann recht bald auflöste und es Jahre später doch wieder mit dem alten Sänger versuchte.

 

SUPER$HIT 666 (1999)

Anspruchsvolle Rockmusik kann, in Zimmerlautstärke genossen und in sauberem Sound produziert, ein Ohrenschmeichler sein, der die Gehörgänge des geneigten Publikums nicht mit unorganisiertem Krach belästigt. So wie ihn etwa die Herren Dregen (Backyard Babies), Ginger (The Wildhearts), Nicke Andersson (The Hellacopters) und Tomas Skogsberg (ein bekannter Death-Metal-Produzent aus Schweden) auf dieser Mini-LP spielen. Da wird viel zu aggressiv ins Mikrofon gebrüllt, es gibt Verbeugungen vor Motörhead und verzerrte Gitarren bis zum Abwinken. Zum Glück ist das Vinyl heute vergriffen und die Jugend unserer Tage hört lieber Gefälliges wie unsere Schlagerkönigin Helene Fischer. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sich die "Musik" dieser schwedischen Krawallbrüder durchgesetzt hätte!

 

TANKWART - HIMBEERGEIST ZUM FRÜHSTÜCK (1996)

Jetzt hat's ihm endgültig den Hauptschalter rausgezimmert, unserem Rezensenten. Deutscher Schlager im Metalgewand, geht's noch? Aber selbstverständlich, denn in meiner Sammlung reicht die Bandbreite von richtig üblem Getöse bis hin zu Dschingis Khan und Rudi Carrell. Auf "Himbeergeist zum Frühstück" werden Klassiker aus den Untiefen deutscher Sangeskunst von Tankard (alias Tankwart) in rasanter Metal/Punk-Manier zum Besten gegeben. Das kann ich mir nicht in jeder Stimmung reinziehen, aber von Zeit zu Zeit muss ein bisschen Spaß einfach sein. Ob "Viva Espana" oder "Dschingis Khan", hier geht's richtig zur Sache und das übrigens auch gut gespielt sowie produziert (Harris Johns!). Klamotten und Booklet präsentieren sich als Explosion der Farben, ganz im Stil der geschmacklosen Siebziger, und Frontmann Gerre wurde mit diesem Album zur Pril-Blume unter den Metalsängern. Hossa!


 

TROUBLE - PLASTIC GREEN HEAD (1995)

Blättert man das Booklet durch, mutet diese Platte wie die reinste Kifferscheibe an. Oder war es vielleicht doch reiner Zufall, dass inmitten einer Gras-Anpflanzung ein Foto von Königin Beatrix der Niederlande (!) abgebildet ist? Musikalisch präsentieren sich Trouble hier jedoch bis auf ein abgedrehtes Beatles-Cover nur stellenweise psychedelisch, sondern kredenzen hochklassigen Doom Metal. Zwar nicht über die volle Strecke makellos perfekt, aber in seinen besten Momenten von außerordentlicher Qualität. Die Weltklasse-Soli ab Minute 2:45 im Monkees-Cover "Porpoise Song" sind großartig, ebenso wie Text und Musik in "Requiem". Auf der Zielgeraden schwächelt "Plastic Green Head" dann leicht, aber dafür gab's in der US-Version noch den Bonustrack "Till the End of Time". Der wiederum ist eine Hymne der Extraklasse und auch auf den späteren europäischen Neuauflagen (CD und Vinyl) enthalten.

 

TRUST - LIVE (1992)

Zugegeben, viel Neunziger steckt nicht in diesem Album, denn es handelt sich um einen Livemitschnitt aus den frühen Achtzigern, der 1992 veröffentlicht wurde und damit eine kleine Trust-Renaissance auslösen konnte, denn das Rock Hard (der Band ohnehin verbunden) interviewte Sänger Bernie und bewies damit, dass Trust eben nicht in Vergessenheit geraten waren. Allerdings war zehn Jahre zuvor die Situation für die Franzosen weitaus vielversprechender dank einer Tour mit Iron Maiden und eines Auftritts im Rockpalast. Mit diesem Livealbum erreichten sie hierzulande nur mehr den harten Kern ihrer Fans, die mit einem mitreißenden Dokument aus jener Ära belohnt werden, als Trust in ihrer Heimat (wo sie noch heute sehr gut besuchte Konzerte spielen) auf dem Höhepunkt ihres Schaffens waren. "Das Teil knallt ohne Ende" hieß es einst im Nonkonform und wer wollte dieser Einschätzung widersprechen?

 

TURBONEGRO - ASS COBRA (1996)

Ein Blick aufs Cover macht klar, dass mit diesen Herren nicht gut Kirschen essen ist: Messerstechermusik der finsteren Sorte, kein kalorienarmer Fencheltee-Rock. Räudig heruntergerödelte Highlights wie "Denim Demon", "Mobile Home" oder "Hobbit Motherfuckers" machen auch 20 Jahre später noch Laune, selbst wenn man konstatieren muss, dass der Nachfolger "Apocalypse Dudes" (1998) sicher die bessere Platte ist, der wiederum der kaputte Charme von "Ass Cobra" abgeht. Die Zeit zwischen beiden Alben lässt sich in einem Viva-TV-Special nachvollziehen, als Turbonegro im Sommer 1997 auf einer winzigen Club-Bühne in Solingen auftraten und bereits Stücke des kommenden Albums spielten - großes Tennis dabei auch die völlig sinnfreien Fake-Interviews ("Ich heiße Hans. Ich arbeite hier in Solingen").

- Stefan - 02/2018