(1986)
Zu
den Dead Kennedys kam ich auf Umwegen, metal-fixiert, wie wir damals waren.
1990 veröffentlichte die deutsche Thrash-Metal-Band Holy Moses ein Album
mit dem Titel "World Chaos", welches zurecht schon nach kurzer Zeit
bei einigen Mailorders für ein paar Mark verramscht wurde. Jedoch befand
sich als letzter Track auf dem Album der Song "Too Drunk To Fuck"
(wurde auch als unsäglich blöde Picture-Disc ausgekoppelt, zusammen
mit "Fight For Your Right" von den Beastie Boys), der aus dem üblichen
Geknüppel und Gegröhle heraus ragte. In den Credits war zu lesen,
daß er im Original von den Dead Kennedys stammte. Bald war also "Give
Me Convenience Or Give Me Death" angeschafft, die Compilation, die 1987,
nach dem Ende der Dead Kennedys, rauskam und frühe Singles und seltene
Tracks enthielt, unter anderem eben "Too Drunk To Fuck". Ich kann
mich noch an das Pärchen erinnern, das neben mir am "Independent"-Regal
der Plattenabteilung des örtlichen Drogenmüllers stand und nach
den Dead Kennedys suchte - weil sie die Coverversion auf "World Chaos"
gehört hatten.
Es folgten aus dem Second-Hand-Plattenladen "In God We Trust, Inc."
(von '81), "Frankenchrist" (von '85 - leider ohne das "Penis
Landscape"-Poster von H. R. Giger, das aufgrund von "distributing
harmful matter to minors" zu einem lächerlichen und schließlich
niedergeschlagenen Prozess gegen die Dead Kennedys in den USA führte
- und Hintergrund von "Eye Of The Beholder" von Metallica ist)und
zuletzt "Bedtime For Democracy".
Womit wir endlich beim Thema angekommen wären; man wirft mir ja manchmal
vor abzuschweifen - was bei der Klassiker-Rubrik ja durchaus beabsichtigt
ist.
Für viele stehen eher die frühen Alben der Dead Kennedys im Rang
eines Klassikers und nicht das Album, das als letztes entstand, denn schon
im Januar 1986 hatten die Dead Kennedys beschlossen, sich aufzulösen.
Allgemein werden DK unter Hardcore oder Punk geführt. Jedoch sind bei
vielen Songs Einflüsse von Easy Listening und 60er-Jahre-Sound auszumachen.
In einem Interview von '98 mit spricht Jello Biafra, Sänger und Hauptsongschreiber
bei DK, davon, daß "die Dead Kennedys stets eine Brutalisierung
von Easy Listening" waren. "Wer um die Originale unserer
Songs wüßte - und diese Originale gibt es oft im Verhältnis
Eins zu Eins - würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen."
Die Texte waren manchmal wenig "easy listening", weil sie ohne Textblatt
nicht zu verstehen waren - und inhaltlich alles andere als leichte Unterhaltung.
Mein Exemplar der "Bedtime For Democracy"-LP ist daher mit einem
abgewandelten "Parental Advisory - Explicit Lyrics" versehen(gibt's
die überhaupt noch? Oder haben sich die Grenzen für "explicit"
verschoben?): "Warning !!! Parental advisory - Explicit opinions.
If you want your kids to grow up as stupid, bigoted and conservative as people
who wish to censor records with stickers! DESTROY THIS RECORD BEFORE IT DESTROYS
YOU." Der Aufkleber war natürlich auch als Anspielung auf den
"Frankenchrist"-Prozess zu verstehen. Der LP liegt eine Zeitung
mit Hintergrund-Informationen zum Prozess bei und wie immer mit genialen Collagen
aus skurrilen Auswüchsen amerikanischer Kultur.
Jello Biafra und die Dead Kennedys verkörperten immer eine Art intellektuellen
Hardcore, der wenig gemein hatte mit einer "No Future!"-Einstellung
wie z. B. bei den Sex Pistols, ebenso wie mit "Harder Than You"-Hardcore-Bands
aus New York (DK kamen von der West-Küste, aus San Francisco). Man hatte
in der Jugend nicht hungern oder sich mit Bandenkriminalität herumschlagen
müssen (ob dies andere, die das vorgaben, mussten, sei dahin gestellt...),
man kam aus der Mittelschicht, und deren Jugend war die anvisierte Zielgruppe.
Bezeichnenderweise waren die DK in Europa und besonders in Deutschland immer
populärer als in den USA, von San Francisco abgesehen. Jello Biafra forderte
nicht die Revolution, nicht die Abschaffung des "Systems", sondern
Pluralismus, Demokratisierung, Meinungsfreiheit und Abrüstung (wir befinden
uns in der Reagan-Ära) und blieb damit nicht auf punkspezifische Themen
beschränkt. Für viele bekam er dadurch bis heute Gott-ähnlichen
Status.
Die Texte von "Bedtime For Democracy" (fast ausschließlich
von Biafra) bilden nochmal eine Zusammenfassung all dessen, für das die
DK standen und haben auch anno 2004 volle Gültigkeit. Casting-Shows und
sogenanntes Format-Radio, da fällt einem sofort "Triumph Of The
Swill" ein: "Dance your problems away - GOVERNMENT MUSIC / Cheap
escape to that mind-controled beat - GOVERNMENT MUSIC / Mellow out - Life's
too hard / You don't even want to think" (OK, etwas Verschwörungs-Paranoia
gehört dazu...).
Und dann natürlich "Chickenshit Conformist" - ein Credo, ein
GLAUBENSBEKENNTNIS! Punk, Hardcore, alternatives Denken, wasauchimmer, hat
nichts mit einem Musikstil zu tun: "Hardcore formulas are dogshit
/ Change and caring are what's real / Is this a state of mind / Or just another
label? ... Who needs a scene / Scared to love and to feel / Judging evertything
/ By loud fast rules appeal". Musik ist mehr als die Zuschreibung
einer bestimmten Kategorie, mehr als Stereotypen: "The music's OK
when there's more ideas than solos / Do we really need the attitude too?".
Und Engagement darf sich nicht im Hören von Dead Kennedys-Platten erschöpfen:
"Music scenes ain't real life / The won't get rid of the bomb / Won't
eleminate rape / Or bring down the banks / Any kind of real change / Takes
more time and work / Than changing channels on a TV set".
Doch einfache Antworten gibt es nicht - "Where Do Ya Draw The Line":
"How many liberators / Really want to be dictators /Every theory has
it's holes / When real life steps in ... Where Do Ya Draw the Line / I'm not
telling you / I'm asking you". Menschen lassen sich nicht in Programme
und Ideologien einspannen: "What better way to turn people off / Than
to twist ideas for change / Into one more church / That forgets we're all
human beings / Where do ya draw the line?". Hm, eine Frage, die man
sich mit zunehmenden Alter scheinbar immer seltener stellt, weil man glaubt,
"aus dem Alter" raus zu sein, und daß das ja alles
wohl irgendwie seine Richtigkeit hätte und wenn nicht, dann könne
man auch nix dagegen tun.
Stimmt die Texte klingen sehr idealistisch und pathetisch, aber es soll Leute
geben, deren Leben durch die Dead Kennedys verändert wurde. Sagt Jello
Biafra; sie hätten ihm das in Briefen geschrieben.
Nach dem Ende der Dead Kennedys machte Jello Biafra mit diversen Projekten
mit Ministry (LARD), D. O. A., No Means No und anderen (sehr strange: "Prairie
Home Invasion" mit Mojo Nixon) weiter, die alle auf dem von ihm zu DK-Zeiten
gegründeten Alternative Tentacles-Label rauskamen. Von seinen Spoken-Word-Sachen
sei die Single "Die For Oil, Sucker!" erwähnt, die 1991 anlässlich
des ersten Golf-Kriegs erschien und auf der er sich einmal mehr in der Rolle
des "High Priest of Harmful Matter" gefällt. Da man sie fast
ohne Änderungen auch heute noch spielen könnte, wurde sie kürzlich
neu aufgelegt.
Seit 2001 kommunizieren Jello Biafra und die Rest-Mitglieder der ehemaligen
Dead Kennedys nur noch über ihre Anwälte. Diese werfen ihm vor,
sie bei der Abrechnung der Einnahmen aus dem Verkauf der DK-Platten beschissen
zu haben. Jello sieht das natürlich anders. Ein entwürdigendes Schauspiel,
auf das hier nicht näher eingegangen werden soll. Wen's trotzdem interessiert:
Auf der "Dead
Kennedys News"-Site stellen Jellos ehemalige Kollegen peinlich genau
den Prozess-Verlauf und ihre Sicht der Dinge dar, Jello hat sein Forum bei
Alternative
Tentacles. Im OX #43 (Juni/August 2001) kann man das auch als Interview
nachlesen, auch auf der OX-Homepage
(nach "Dead Kennedys" suchen). Die alten DK-Platten gibt's nun "remastered"
bei den Ex-Kollegen, Alternative Tentacles vertreibt sie nicht mehr. Und es
wundert kaum, daß die offizielle
DK-Homepage auch nicht von Jello ist.
Das ändert aber alles nichts daran, daß "Bedtime For Democracy"
ein - auch für mich persönlich - wichtiges Album ist und bleibt.
- Martin - 09/04