(1984)
Als ich Metallica so etwa Anfang 1988 kennenlernte, waren sie für mich,
genauso wie für viele andere Fans zuvor, gerade auch mit diesem ihrem
zweiten Album schlicht und einfach zu nicht weniger als der besten Band der
uns bekannten Welt avanciert. Trotz des damals noch recht beschränkten
musikalischen Horizonts, den ich mir aus heutiger Sicht attestieren muß
(wie wird das wohl in weiteren 15 Jahren sein?), bleibt "Ride The Lightning"
- neben den kaum schwächeren "Kill 'Em All" und "Master Of Puppets" -
selbst in der Gegenwart des Jahres 2003 noch immer ein unantastbarer Klassiker.
Und ich glaube nicht, daß sich in den nächsten 1000 Jahren daran
Grundlegendes ändern wird.
Ein gutes Cover und - im Gegensatz zu den eher pubertär gefärbten
des vorjährigen Debuts - ebensolche Texte, ein Killersound und die in
jeglicher Hinsicht perfekte Verbindung von Härte und Spieltechnik, der
erheblichen Variation von Stimmung und Geschwindigkeit, sowie einem phänomenalen
Gespür für urmusterhafte, unmittelbar das kollektive Unterbewußte
eines jeden Hörers zu reflektieren scheinende Melodien, waren und sind,
skizzenhaft formuliert, einige der augenscheinlichsten Vorzüge von "Ride
The Lightning". Verglichen mit dem nicht nur für damalige Verhältnisse
sensationellen, stilprägenden Erstling (dessen Coverbild - das einen
schweren Hammer neben einer Blutlache liegend zeigt und in Verbindung mit
dem Titel "Kill 'Em All" natürlich ausschließlich die zuvor nicht
gekannte brutale Wirkung der Musik verdeutlichen soll - können wir mit
etwas gutem Willen dem Übermut Heranwachsender zuschreiben...) wirkte
das Album noch ein Stückchen ausgereifter und um einiges abgeklärter,
was am augenscheinlichsten für James Hetfields Gesang gilt, ohne durch
diesen Umstand allzu sehr an Esprit zu verlieren.
Neben Slayer, Iron Maiden, Judas Priest avancierten Metallica in den 80ern,
als der Heavy Metal Aufbruch und vollste Blüte erfuhr, zur vorbildhaftesten
und einflußreichsten Formation dieses Musikstils; ansonsten können
wir uns biographische Anmerkungen oder dergleichen Beiwerk gerade und besonders
in diesem tausende Male wiedergekäuten Karriereverlauf mal wieder getrost
sparen und gleich beim Wesentlichen einsteigen...
Kristalline Akustikgitarren leiten das Werk ein, bis nach kurzer Zeit die
Ruhe von dem Sturm abrupt endet und ein sonischer Flächenbrand namens
"Fight Fire With Fire" in eigenwilliger, jedoch terminativer Rhythmik wie
eine Feuerwalze heranbrandet, welche über die bis dato eher steppenhafte
Prärie meines damaligen Musikbewußtseins wütete, auf welcher
eben noch völlig unschuldig und ahnungslos Antilopen wie Bon Jovi, Dokken,
Bonfire oder Def Leppard vor sich hin grasten, Wühlmäuse wie Doro
& Warlock kurz ihr Näschen aus dem unterirdischen Bau reckten und
gleich wieder abtauchten oder Präriehunde wie AC/DC umherstreunerten.
Danach war nichts mehr so, wie noch kurz zuvor. Dieser aufbrausende
Auftakt und das, was noch folgen sollte, hinterließen sehr viel Asche.
Und ebensoviel neuen, fruchtbaren Boden, auf dem nicht nur in meiner, sondern
auch der allgemeinen metallischen Landschaft Unmengen an Saat keimen und aufgehen
sollte.
Das folgende Titelstück besticht gleich einmal mit einer brillanten Doppelleadgitarren-Melodie
und im Verlauf ebensolchen Harmonien und Tempiwechseln. Man höre nur
einmal den instrumentellen Mittelteil, den furioseste Soli krönen. Thematisch
wendet man sich der umstrittenen Anwendung der Todesstrafe zu, welche auch
in einem angeblich zivililisierten Land wie den USA noch immer praktiziert
wird. Einigermaßen geschmackssicher, ohne falsches oder reißerisches
Pathos, schildert James Hetfield die Gedanken eines zum Tode Verurteilten.
Seine inneren Qualen, als er auf das Unvermeidliche wartet und sich ihm schließlich
gegenüber sieht, und die seinerseits anklagende Frage an seine anmaßenden
Richter: "Who made you God to say, 'I'll take your life from you' ?!?". Ist
es möglich, ein begangenes Unrecht durch begehen eines weiteren Unrechts
sühnen? Ist das denn wirklich ein Akt der Gerechtigkeit?
Diese Frage stellt sich noch dringlicher, wenn man sich vor Augen führt,
daß so manch Unschuldigem durch das mitunter leichtfertige, schlampige
amerikanische Rechtssystem die schockierende und endgültige Rolle des
"dead man walking" aufgenötigt wird.
Mit dem schleppenden Midtempokracher "For Whom The Bell Tolls" folgt der nächste
stil- und stimmungsvolle Klassiker. Wie nahezu das gesamte Werk recht düster
und heavy, aber eben ausgewogen und genial wie selten kontrastiert durch Gesangs-
und Gitarrenmelodien, die man vom ersten Kontakt an glaubt schon immer gekannt
zu haben, durch die, wenn es sie nicht gäbe, wenn nicht eine begnadete
Band wie Metallica dahergekommen und sie irgendwann intonierte hätte,
einem die Welt schlichtweg unvollständig erschiene.
Auch dieser Song stellt die Frage nach einer Rechtfertigung für einen
verfrühten, sinnlosen, gewalttätigen Tod eines Menschen, welche
die verantwortenden, diesen befehlenden Machthaber zweifellos schuldig bleiben
müßten. Wieder wird auf allzu platte Parolen verzichtet und in
persönlicher Erzählperspektive die Hölle der einfachen Soldaten
dargestellt, die im Kriegseinsatz irgendeinen verdammten, allenfalls in den
Köpfen der Schlachtenstrategen wichtigen Hügel einnehmen sollen,
um dabei grundlos ihr Leben zu verlieren oder köperlich respektive seelisch
zu verkrüppeln. Natürlich könnte man hier den Einwand des Klischeethemas
vorbringen, das zu verwenden sich einem solch harten Sound eben geradezu anbietet.
Dies ist nicht so leicht von der Hand zu weisen. Nichtsdestotrotz bleibt es
dennoch zulässig. Was zählt, ist die Glaubwürdigkeit. Man sollte
unterscheiden, ob die Musiker ein Thema nur darum wählen, damit sie Gelegenheit
haben, eine derbe, gewalttätige Geschichte herausbrüllen zu können,
oder auch, um mit der Verbalisierung einer solchen Problematik plakativ die
eigene Rechtschaffenheit zu suggerieren - oder, ob es ihnen damit tatsächlich
ein echtes Anliegen ist.
Die Dramaturgie des Albums enthüllt in dem sich anschließenden
"Fade To Black" einen weiteren, diesmal eher getragenen, sensibel-gefühlvollen
Höhepunkt. Das bequeme Wort "Ballade" anzubringen scheint eine sehr schlichte,
ungenügende Klassifizierung zu sein, mir fällt indes kein besseres
ein. Wunderschöne klassizistische Akustikgitarren begleiten in den Strophen
Hetfields anrührenden, melancholischen Gesang (unglaublich, daß
sie angeblich noch zu dieser Zeit auf der händeringenden Suche nach einem
"richtigen" Sänger waren...), welcher aus den tiefsten Schlünden
der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wie ein letztes zu verlöschen
drohendes Bekenntnis emporzusteigen scheint. Immer wieder dynamisch unterbrochen
von aufwallenden E-Gitarreneinschüben und schließlich in einem
ausgedehnten Schußteil, mit phantastischsten Leadgitarren, mitreißenden,
an Violinen erinnernden Riffs sich in einen berauschenden, farbigen Melodienreigen
hineinsteigert, in welchem die Band klingt wie ein ganzes Symphonieorchester
und deutlich macht, daß das im Text angekündigte "Verlöschen
im Dunkel" nichts Endgültiges an sich hat, daß die Seele auch wieder
emporgetragen werden und erstrahlen kann. Nichts anderes geschieht hier, bei
diesem Hymnus über die Verzweiflung, welcher sich schließlich zu
einem des Trostes, dessen wir alle in solchen Momenten der Bedrängnis
bedürfen, wandelt.
"Trapped Under Ice" bietet dann wieder die absolute Vollbedienung. Kernige,
rakentenhaft beschleunigende Riffs fetzen zusammen mit der ungebändigten
Rhythmussektion gebildet von Bassist Cliff Burton und Schlagzeuger Lars Ullrich
durch die schemenhaft an einem vorbeifliegende Landschaft, eben noch im dreidimensionalen
Raum festgefügte, starre Gegenstände verlieren plötzlich ihre
Form, dehnen sich, unnatürlich wirkend und die alltäglich erfahrenen
physikalischen Gesetzmäßigkeiten verlachend, flächig scheinbar
bis ins Unendliche aus, zu einem verwaschen schimmernden Tunnel durch die
mit Blicken undurchdringliche Schwärze des Kosmos, welcher einen unzweifelhaft
in sich rasend dahinschlängelnder Reise im Augenaufschlag bis ans andere
Ende des Universums versetzen könnte. James Hetfield wühlt mental
abermals in der kalten, frostigen Verzweiflung, diesmal schreit er sich jedoch
den Frust rückhaltlos von der Seele, während Gitarrist Kirk Hammett
nach jedem Chorus kurze wild aufheulende Soli aufzucken läßt. Das
Ganze wird auch nach einem Break im glänzenden Mittelteil kaum gezügelt,
bevor diese ungemeine Energie freisetzende Speed-Orgie letztlich, wiederum
auf Warpgeschwindigkeit übergehend, zum Endspurt ansetzt.
Das gemäßigtere "Escape" ist jener Song des Albums, welchen man
als einzigen zuerst einmal Gefahr läuft zu übersehen. Zu unrecht,
denn ist dies doch eine famose kleine Hymne mit einem hochmelodischen Refrain
geworden, welche zwischen all den anderen spektakulären, ansonsten schlicht
und einfach alles wegrulenden Krachern immerhin nicht verblaßt. Zudem
bietet sich einem hier tatsächlich die einzige ausschließlich positive
Aussage von "Ride The Lightning" dar. Da ich mich mit selbiger weitreichend
identifizieren kann, scheint wieder mal ein Zitat fällig; und zwar heißt
es da etwa, in dieser Ode an Freiheit und Selbstbestimmung: "Out for my own,
out to be free; one with my mind, they just can't see; no need to hear things
that they say; life is for my own, to live my own way!" - yessss, da
kann man doch eigentlich nur noch voller Inbrunst mit einstimmen!
Dann ...... "Creeping Death".
Mehr muß man eigentlich nicht sagen. Alleine schon bei der Erwähnung
dieses Titels müßte jedem unserer Leser ein Funkeln in den Augen
glimmen und ein selig-abwesender Ausdruck ins Gesicht treten, während
aus seinem musikalischen Gedächtnis die markantesten Teile dieser archetypischen
Intonation eines fulminanten, totgeilen, in allen seinen Segmenten perfekt
aufeinander abgestimmten Speed Metal-Songs an die Oberfläche des Bewußtseins
empordrängen und ihn die kaum gebändigte, lebendig vibrierende Energie
spüren lassen, welche hier kometenhaft rauschend in die Grenzenlosigkeit
des schöpferischen Raumes abgeschossen wurde... Nach einer kurzen semi-orchestralen
Einleitung fliegt einem sogleich eines jener gigantischen Gitarrenriffs um
die Ohren, welche Metallica seinerzeit zuhauf schrieben und das einem geradeso
ins Gesicht klatscht wie die nassen Handtücher auf die blanken Hintern
in der Männerdusche. Das Tempo ist nicht übermäßig schnell,
doch die entfachte Energie und kompositorische Brillanz begeistert immer wieder
auf's neue - die gekonnte Aneinanderreihung der furiosen Riffs, auf denen
Hetfields aggressive Gesangsmelodien thronen, nach dem zweiten Refrain abgelöst
von erstklassigen Gitarrensoli, welche in einen geilen Break überleiten,
dem sich anschließend eine drückende, schwere Passage den Mittelteil
des Songs regiert, bevor wieder unaufhaltsam Fahrt aufgenommen wird und sich
die gewaltige Energieanspannung schließlich durch fantastische Leads
von Hammett gegen Ende entlädt, der Kreis sich schließt und nach
einem letzten kompositorischen Übergang der Anfangspart nocheinmal genüßlich
ausgedehnt zelebriert wird.
Der "Schleichende Tod" ist einer alttestamentarischen Geschichte entlehnt,
wonach der jüdische Gott allen erstgeborenen Söhnen der Ägypter
über Nacht den Tod schickte, weil sie sich trotz dessen Androhung widersetzten
das versklavte jüdische Volk augenblicklich freizugeben. Die Juden schützten
sich vor diesem Schleichenden Tod, indem sie als vereinbahrtes Zeichen das
Blut eines Tieres (die armen Hammel waren's, glaube ich) auf ihre Türen
auftrugen, damit eben diejenigen markierten Häuser verschont bleiben
sollten. Diese Erzählung hat sicher jeder schonmal gehört. Metallica
nahmen nun in ihrem Stück die Perspektive jenes unpersönlichen Wesens
ein, das unsichtbar und doch todbringend durch das Land zieht. Nette, durchaus
originelle und alles andere als unangemessen blutrünstig umgesetzte Idee.
"Creeping Death" bleibt für alle Zeiten einer der genialsten Metalsongs,
der je geschrieben wurde. Untoppable.
Den krönenden Abschluß eines Maßstäbe setzenden Albums
begeht schließlich ein gut neunminütiges Instrumental mit dem Titel
"The Call Of Ktulu". Mit seinen tollen, einmal mehr streicherartigen Gitarrenfigurationen,
seinem geschickten sich langsam und mehrmals steigernden Aufbau, den abermals
beeindruckenden Soli in der Mitte, kommt erneut die Assotiation zum Symphonieorchester
auf und die Komposition hätte wohl durchaus auch einem Mahler, Mussorgski
oder Schostakowitsch zur Ehre gereicht. (Nicht, daß ich die erwähnten
klassischen Komponisten nun tatsächlich eingehend kennen würde ...
man will halt auch mal'n bißchen angeben...) Ansonsten entzieht sich
dieses mächtige, monolithische Klanggebilde jeder weiteren Beschreibungsversuche.
Versuchte man es in kleingeistiger menschlicher Anmaßung doch, wäre
es nicht verwunderlich, fände man sich nach kurzer Zeit gedanklich umherirrend
und ohne zwischen auf allen Seiten riesig aufragenden schwarzen Granitmassiven
einen gangbaren wortreichen Weg erkennen zu können, inmitten dieser tonalen
Berge des Wahnsinns wieder...
Ach ja, Lovecraft. Zieht man den Namen des Stückes in betracht, dürften
die Musiker sich unzweifelhaft durch eine Story des literarischen Meisters
subtilen kosmischen Horrors, wie ebensolch versierten, tiefgründigen
Beschreibers philosophischer Einsichten und paradiesischer Gestade ("Das Weiße
Schiff", "Celephais", "Der Silberschlüssel", "Durch Die Tore Des Silberschlüssels"
- zusammengefaßt im Band "Die Katzen Von Ulthar", dessen Kernstück
"Die Traumsuche Nach dem Unbekannten Kadath" hingegen eigentlich pure abgefahrene
Fantasy ist, sieht man einmal von dem Umstand ab, daß sich alles im
tiefen geistigen Land der luziden Träume abspielt) haben inspirieren
lassen. Leider kenne ich von Lovecrafts Oeuvre (noch) nicht soviel, wie es
seiner Bedeutung nach wohl angemessen erschiene; somit weiß ich nicht
drauf hinzuweisen, in welcher Geschichte eben jene - wahrscheinlich absonderliche,
grauenerregende, im Dunkel des Weltenraums unsäglich nagende - Wesenheit
Ktulu seinen Auftritt bekommt. Vielleicht kann diesbezüglich ja
einer unserer Leser mit einem Hinweis dienlich sein?
"The Call Of Ktulu" bildete den Auftakt einer (beabsichtigten?) Trilogie großartiger,
überlang-elegischer Instrumentalstücke, weiterhin gebildet durch
"Orion" ('86, total sssssssuuuper, unfaßbar der ruhige Mittelteil -
diese Gitarren!!!) und "To Live Is To Die" ('88 - cooler Titel, haha! Na,
aber wer sagt's denn...).
Damit haben wir günstigerweise gleich eine Überleitung zu den neueren
Kreationen, welche Metallica, diese einstigen unantastbaren Innovatoren, nach
ihren ersten drei klassischen Werken ablieferten. Ich kann's mir einfach nicht
verkneifen, die Gelegenheit zu nutzen und ganz kurz noch meine Meinung zum
weiteren Werdegang der San Franciscoer abzudrücken.
Beginnen wir mit dem umstrittenen "...And Justice For All". Aus damaliger
Sicht konnte man das Aufstöhnen der Enttäuschung, das allenthalben
einem Gutteil der Fans sich entrang, die Metallica mit ihren Frühwerken
für sich gewannen, absolut nachvollziehen. Die zusehends gemäßigtere
Musiziergeschwindigkeit wurde bemängelt, der zu trockene Sound, wie auch
eine gewisse Langatmigkeit, hervorgerufen durch die weiter vorangetriebene
Tendenz zu überlangen Stücken - besonders augenscheinlich beim 10minütigen
Titelsong. Gleich ganz in die Tonne kloppen, wie einige allzu radikale Kritiker
meinen, möchte ich "Justice" andererseits keineswegs, denn alles in allem
ist es aller eventuell berechtigter Bemängelung zum Trotz, dennoch eine
gute Scheibe geworden. Außer dem maßlos öden "Harvester Of
Sorrow" gibt es eigentlich keinen wirklich schwachen Song zu vermelden. Demgegenüber
mit - logisch - "One", "Dyers Eve", "Frayed Ends Of Sanity", vielleicht noch
"The Shortest Straw", oder natürlich dem bereits erwähnten "To Live
Is To Die" zweifellose Höhepunkte.
1991 brachte schließlich den endgültigen internationalen Durchbruch
zum Multi-Platin-Seller für die Band, durch den langerwarteten Longplayer
"Metallica". Anfangs war ich ebenfalls recht enthusiasmiert, so wie sicherlich
die meisten anderen der Millionen zählenden Käufer, als ich in einer
regionalen HM-Radiosendung ein paar der neuen Songs zu Hören bekam (es
wurden selbstredend gleich drei oder vier gespielt), tags darauf im Laden
wurde das Werk verlockenderweise im Sonderposten für lässige DM
21.99.- angeboten und somit gleich abgegriffen. Nach wenigen Durchläufen
setzte zwar leichte Ernüchterung ein, ich stehe dem Teil andererseits
noch heute unverhohlen wohlwollend gegenüber. Für diejenigen Leute
aber, deren Selbstbildnis das des wissend-elitären Undergroundkenners
ist, war es spätestens mit diesem Erfolg, wenn nicht nur auf den kommerziellen
Musiksendern die Videos in Heavy Rotation laufen, sondern in jedem
McDonalds im Hintergrund "Enter Sandman" vor sich hinplätschert und jeder
besoffene Proll "The Unforgiven" (überhaupt: Balladen!!!) mitgröhlen
kann, mehr als en vogue Metallica, und eventuell zudem ihre unzähligen
neuen Anhänger, zu verachten. Etwas, das so viele ahnungslose, in ihrem
Konsumverhalten von der Industrie indoktrinierte Idioten sich zu eigen machen,
kann doch einfach nicht gut sein, oder? Klar doch, man muß sowas schon
aus dem Grunde ablehnen, um es sich selbst gefühlsmäßig zu
ermöglichen, sich von der grauen, einfältigen Masse da draußen
abheben zu können. Musikalisch läuft der Vorwurf sie hätten
sich verkauft, jedoch nach meiner bescheidenen Meinung relativ ins Leere.
Zwar wurden sie zugänglicher, die dünkelhafte Intention einer kommerziellen
Verwertbarkeit beim Komponieren, kann ich allerdings nicht wirklich wahrnehmen.
Konnte man diesen enormen Reibach mit dem Schwarzen Album denn vorausahnen,
gar vorausplanen, wo doch schon das Cover es absichtlich in normalerweise
hemmende, nicht eben verkaufsfördernde, unkenntlich machende Schwärze
hüllt? Eher nicht. Metallica hatten damals die Tendenz dazu, richtig
"groß" zu werden und dies war halt einfach die richtige Platte zur richtigen
Zeit. Na ja, etwas Kalkül könnte sich unter diesen Umständen
vielleicht doch beigemischt haben, wer weiß, wer weiß. Die deutliche
Mehrzahl der zwölf Stücke jedenfalls ist wirklich gelungen, vor
allem die beiden epischen und anrührenden Balladen "The Unforgiven" und
"Nothing Else Matters" sind Weltklasse. In seiner Gesamtheit kann, wie schon
beim Vorgänger, eine gewisse Langatmigkeit dennoch nicht verleugnet werden.
Persönlich bin ich mittlerweile u.a. eh schon in ganz andere, aufregendere,
experimentellere, freiere, weiträumigere klangliche Dimensionen vorgestoßen
(Isildurs Bane, Sigur Ros, Godspeed You Black Emperror! und vieles vieles
unterschiedliches anderes), zudem mußten im Laufe der eigenen inneren
Entwicklung die düsteren Schattierungen von Aggression, Zorn und Leid
auf meiner schwingend-emotionalen Palette helleren, lichteren Farbtönen
zum Großteil weichen, die musikalische Affinität verlagerte sich
merklich, weshalb ich so etwas wie das Schwarze Album (oder allgemein härtere,
brutale Spielarten) eher selten höre, finde es aber nach wie vor sehr
ansprechend.
Nach diesem ihnen absolut gegönnten Erfolg, nachdem sie sozusagen zum
Household Name avancierten, konnten Metallica mittlerweile wirklich
nahezu alles veröffentlichen, was auch immer sie wollten - es würde
sich verkaufen. Dessen müssen sie sich wohl bewußt gewesen sein.
Sie hielten ihren alten Stil offenbar für ausgereizt und verfolgten zukünftig
die Hingezogenheit zu einer gewissen neuen Lässigkeit. Man will sich
im Alter eben nicht mehr mit allzu komplizierten Griffen, durchdachten Tempiwechseln
und rasanten Rhythmen abplagen und der exorbitante Erfolg läßt
einen gleichgültiger, abgehobener werden gegenüber der eigenen einstigen
Anspruchshaltung, wie auch den Erwartungen seiner Fans. Oder wie anders sind
absolute künstlerische Rohrkrepierer wie "Load" und "Reload" zu erklären?
Scheinbar erkannten sie, daß ihnen simplere Sachen, ob im Probenraum
oder auf der Bühne, einfach mehr Spaß zu spielen bereiteten, da
man damit seinen Energien ungezügelteren Lauf lassen kann. Wie auch immer,
jedenfalls hielt irgendein obskurer, undefinierbarer, fieser Rock'n'Roll-
Punk-Virus in ihre Musik einzug und bemächtigte sich dieser. Seinen Stil
zu modifizieren ist durchaus berechtigt, ein Künstler darf und sollte
sich selbst und damit sein Publikum auch gerne einmal überraschen können,
dann allerdings bitte positiv und nicht wie diesem Falle bodenlos negativ.
Wenn dabei solch ein ungeheuerlicher Mist herauskommt, bleibt einem als baldig
mental geschädigter Hörer letztlich eigentlich nur noch übrig,
selbstschutzmotivert abzuwinken. Denn ständig wird man mit den selben
unglaublich lahmen, sperrigen, "groovenden" Rhythmen gefoltert, ständig
mit nichtssagendem, teils schrägem Riffing, ständig mit Hammetts
identisch mit ordentlich wahwah daherjaulenden Soli. Nicht zu fassen, diese
Monotonie. Selbst wenn mal etwas Gas gegeben wird wie bei "Fuel", bleibt das
Ergebnis unbefriedigend. Hörbar sind eigentlich nur die ruhigeren Stücke
wie "Until It Sleeps", "Mama Said", "Bleeding Me" (von "Load", auf "Reload"
konnte ich gar nur zwei gute ausmachen...), welche mit der allgegenwärtigen
Antimelodik brechen. Schön, daß ich beide Alben bei unseren Büchereien
entleihen konnte, denn Geld hätte ich für diese qualvolle Ödnis,
die sich nicht mal nebenbei laufend ertragen läßt, sicher keines
ausgegeben. Zudem bekommt man jetzt erst so richtig vor Augen geführt,
wie gut "Justice" und "Metallica" an sich und in Relation dazu, tatsächlich
waren und sind. Bassist Jason Newstead, der von den einstmals hoffnungsvollen
und zumindest auf den ersten vier Scheiben guten Flotsam & Jetsam 1987
abgeworben wurde, um den auf der "Master Of Puppets"-Tour während eines
Busunfalls tödlich verunglückten Cliff Burton zu ersetzen, empfand
die Entwicklung der Band wohl ähnlich desaströs, und da er über
all die Jahre - wie an den Composer-Credits abzulesen ist - zudem sowieso
nur minimalen Einfluß auf deren Musik zugesprochen bekam, zog er die
Konsequenzen und verließ das havarierte ehemalige HM-Flaggschiff, um
seine eigene Formation zu gründen.
Überhaupt ist es ein trauriges Bild, das die einstigen Speed- & Thrash-Heroen
aus den 80ern mittlerweile abgeben. Die meisten hat man inzwischen ohnehin
aus den Augen verloren, aber vor kurzem hörte ich spaßeshalber
mal in ein neueres Overkill-Machwerk namens "Bloodletting" hinein - also,
das war unübertrieben ausschließlich monotones Geklopfe, Gewummere
und Gekreische, bei dem es über kurz oder lang tatsächlich zu Blutverlust
kommen muß: und zwar aus den Ohren! Dann drang mir weiterhin ein Stückchen
von Slayer an selbige - "I Hate You" von einem Album namens "Undisputed Attitude".
Solch einen lausigen Punkrock-Song würden The Offspring nichtmal wagen
auf eine Single-B-Seite zu packen, harhar! Ebenfalls erschütternd schlecht.
Ich glaube, nach "Seasons In The Abyss" ('90) haben die auch nichts Gescheites
mehr zustande gebracht. Na, und mit Anthrax (war da nach dem Debut von '83
überhaupt nochmal ein so richtig gutes Album zu vermelden? Not really...),
Testament (die eine zeitlang durchaus als Metallicas prominenteste Coverband
durchgehen konnten, harhar!), Megadeth ("Risk" - gaaaaaanz schwach) wollen
wir lieber erst gar nicht anfangen uns heute noch abzugeben...
Wenn ihr ein Werk hören möchtet, auf dem der Sound von Metallicas
ersten dreien konsquent weitergedacht scheint, lohnt sich unbedingt die Suche
nach "Victims Of Deception" ihrer Bay Area-Kumpels von Heathen. Ironischerweise
erschien es im selben Jahr wie deren "Schwarzes", und während die einen
verkaufstechnisch abgingen wie eine Jupiterrakete, schluckte die anderen,
noch bevor sie so richtig vom Boden abheben konnten, der unbarmherzige Schlund
des Vergessens. Zu unrecht, denn besser kann man solche Musik wirklich nicht
spielen - vom fulminanten Brecher "Fear Of The Unknown", vor allem dessen
rasendes zweiminütiges Finale man einfach gehört haben muß,
bis zum ausladenden, sich ständig steigernden epischen Monumentalstück
"Heathen's Song" wird auf den weit über 60 Minuten die gesamte Bandbreite
abgedeckt. Was das kongeniale Gitarrenduo Doug Piercy und Lee Altus zusammen
mit Klassesänger David White-Godfrey hier an spielerischem wie kompositorischem
Feuerwerk abbrennt, ist restlos begeisternd!
Metallica hingegen haben bei mir auch den allerletzten Rest an Interesse und
Kredit verspielt. Mitte 2003 wird ein neues Album der Topseller den Weg in
die Geschäfte und sicher trotz allem seine Käufer finden, aber mal
ehrlich: selbst wenn diese satten, gelangweilten Millionäre nichts auf
einen Tonträger Preßbares mehr zustande brächten (haben sie
ja eigentlich seit '91 schon nicht mehr - was sie natürlich nicht daran
hinderte, das Zeug trotzdem pressen zu lassen!) empfände ich darüber
ebenso viel Bedauern, wie wenn der in seinem beherrschten Bereich noch nervigere,
da nicht ignorierbare F.C. Bayern München wieder einmal dankenswerterweise
die deutsche Fußballmeisterschaft nicht gewönne...
Macht letztlich aber nichts aus, wie sehr Metallica auch immer in Zukunft
noch versuchen sollten, ihren eigenen Legendenstatus zu beschädigen,
denn mit "Ride The Lightning" und einigem anderen, haben die Jungs bereits
maßgeblich lebendige Musikgeschichte mitgestaltet, haben sie ihren Namen
längst in die Annalen der Unsterblichkeit eingebrannt, und werden auf
immer einen Platz finden, in den Herzen ihrer Hörer.
- Heiko - 04/03
Hm, tja, da gibt es eigentlich nichts mehr hinzu zu fügen. Eine Tape-Kopie
von "Ride The Lightning" fahre ich seit über 12 Jahren im Auto
spazieren (und genauso hört sie sich auch an). Bei mir muß es so
um 1989 gewesen sein, als ich mir "Ride The Lightning" auf Vinyl
kaufte, nachdem mir ein Arbeitskollege mit Vokuhila-Frisur, die damals unter
Will-aber-darf-aus-beruflichen-Gründen-nicht-Metallern recht beliebt
war, "Kill 'Em All" auf Kassette überspielt und damit den Virus
übertragen hatte. Als meine Haare die Grenze zum für die Firma nicht
mehr Tragbaren erreicht hatten (war ein ehrwürdiger Traditionsbetrieb,
der vor ein paar Jahren in Konkurs gegangen ist), hatte ich schon gekündigt.
Wenn ich aus meiner Sammlung alle Metal-Alben wegwerfen müßte,
und sagen wir mal gnädigerweise 10 behalten dürfte, wäre "Ride
The Lightning" sicherlich dabei, neben "Blessing In Disguise"
von Metal Church, "Nothingface" von Voivod und eben "Victims
Of Deception" von Heathen. Zugegeben, müßte ich alles bis
auf 10 Alben, egal welcher Stilrichtung, dem Feuer übergeben, dann wäre
weder "Ride..." noch eines der anderen Alben bei dieser Auswahl.
Sich als Metal-Band "Metallica" (soll eine Verbindung von "Metal"
und "Alcoholica" sein) zu nennen, erscheint erstmal unglaublich
einfältig und läßt eher auf eine Lokalband aus Kleinraigering
schließen - aber der Name hatte Programm und wurde für mich damit
früh zu der Metal-Band überhaupt, nachdem ich mich für
Bands wie Motörhead oder Judas Priest nie begeistern konnte und deren
Alben bestenfalls als Tape-Kopie besitze. Wen interessiert, woher die frühen
Metallica (also bis etwa '89) ihre Inspiration bezogen, sollte sich bei den
Bands der NWOBH umhören, insbesondere bei Diamond Head, die durch einige
Coverversionen ("Am I Evil?" von der "Creeping Death"-Maxi,
"Helpless" von der "$5.98 E. P.", "The Prince"
von der "Harvester Of Sorrow"-Maxi) verewigt wurden. Oder nach dem
Doppelalbum "New Wave Of British Heavy Metal '79 Revisited" welches
1990 von Lars Ulrich zusammengestellt wurde. Meine damalige Begeisterung gipfelte
in meiner FOS-Facharbeit zu "Metallica und ihren Texten", welche
mit einer 1 benotet wurde, im Gegensatz zum damit verbundenen mündlichen
Referat, das aufgrund hemmungsloser Zeitüberschreitung, zu häufiger
Verwendung des Wortes "praktisch" und dauerndem Aufstützen
auf dem Overhead-Projektor mit 3 bewertet wurde. Meine ersten Schritte in
Richtung Fanzine-Herausgeber. Anfragen sind zwecklos, das noch mit der elektrischen
Schreibmaschine getippte Teil bleibt bei mir im Schrank.
Von Lovecraft kennt Heiko natürlich nur die Fantasy-Sachen, "The Call Of Ktulu" geht auf "Cthulhus Ruf", enthalten in "Cthulhu - Geistergeschichten", zurück, wobei sich ein Großteil von Lovecrafts Phantasik-Stories um diesen "Großen Alten" drehen. Mit "The Thing That Should Not Be" auf "Master Of Puppets" kamen Metallica nochmal zu Lovecraft zurück.
Spästestens nach dem "Schwarzen Album" (welches es zeitlich gerade noch in oben erwähnte Facharbeit schaffte), wurden Metallica für mich uninteressant. Die Nachfolger entlieh ich entweder in der Stadtbücherei oder bei Mitbewohnern; die Mühe, mir den Krampf in irgendeiner Weise zu kopieren, machte ich mir nicht mehr.
Jason Newsted, soll nun, wie ich kürzlich hörte, bei Voivod eingestiegen sein, bei denen er wohl nur einen Bruchteil seines Gehalts bei Metallica verdienen, aber nicht mehr nur der "new fucker" (so nach seinem Einstand von Hetfield vorgestellt) am Bass sein wird.
- Martin - 04/03