(1984)
Mit
dem gleichnamigen Roman von George Orwell hat Van Halens "1984" rein gar nichts
gemeinsam. Dieses Album verkörpert, stellvertretend für so vieles
andere, was die Achtziger an albernen Nichtigkeiten zuhauf hervorbrachten.
Schmalspur-Stadion-Rock, wie man ihn sich durchschnittlicher, seichter, nichtssagender
kaum vorstellen könnte: Das Single-Zugpferd des Albums, die anbiedernde
Synthesizer-Hymne "Jump", seither beliebter Standard in Fußballstadien
oder auf Dorfmusikbesäufnissen, ist ja ganz nett und deren kommerzieller
Effekt absolut einsehbar (wenige Jahre später räumten die Föhnwellen-Rocker
Europe mit ihrem eigenen Synth-Fanfaren-Hit "The Final Countdown" ähnlich
ab; man erinnert sich...), spätestens beim dritten Durchlauf nervt einen
das gnadenlos ohrwurmige Tralala aber nur noch. "I'll Wait" bewegt sich dann
völlig schamlos auf das Terrain so richtig schlechter, schnulziger, valiumhafter
Popmusik. Dem gegenüber stehen kontrastierend die flotten Rocker "Hot
For Teacher", "Panama" und "Girl Gone Bad" - diese schaffen es über beliebige
kompositorische Belanglosigkeit allerdings genauso wenig hinaus (und was Produzent
Ted Templeman sich dilletierenderweise dabei dachte, hier die Gitarrenspur
nur auf den linken Lautsprecher zu legen, entzieht sich meiner Kenntnis),
während die grausigen "Top Jimmy" und "Drop Dead Legs" wirklich jeder
versuchten Beschreibung und Einordnung spotten.
Die exponierten Personen bei Van Halen waren damals David Lee Roth und Edward
Van Halen: ersterer ein eitler, egomanischer Selbstdarsteller, neben einer
nicht unbedingt unsympathischen klassischen Rock'n'Roll-Attitüde tatsächlich
ohne jeglichen Anflug eines wie auch immer gearteten gesanglichen Talents
ausgestattet (ernsthaft: was er auf "1984" so ablieferte, hätte ich mir
wohl auch noch zugetraut); der andere ein vielgerühmter Gitarrero, wobei
sich mir nach wie vor kaum erschließt, was sich tatsächlich dafür
verantwortlich machen ließe - sein Spiel war damals nix besonderes und
ist es heutzutage schon garnicht! Was müssen das für goldene (respektive
ärmliche) Zeiten gewesen sein, Ende der 70er, Anfang der 80er, als das
flinke Aneinanderreihen substanzloser Griffbrettläufe und die Popularisierung
des Tapping zur Manifestierung eines Rufes unsterblicher Legendenhaftigkeit
ausreichten.
Der Fastfood-Papphut wird dieser tonalen Nutzlosigkeit namens "1984" denn
schließlich noch mit der selbst für damalige LP-Verhältnisse
läppischen Spielzeit von 33'25'' aufgesetzt. Gut, man mag dagegenhalten,
daß beispielsweise "Reign
In Blood" quantitativ noch weniger bietet - jedoch dafür ein begeisternd
eindringliches, brachiales Inferno und eine Intensität, die einen bereits
nach einer knapp fünfzehnminütigen LP-Seite ausgepowert und zufrieden
in den Seilen hängend zurückläßt.
Noch nicht einmal für halbwegs intelligent klingende Songtitel zu sorgen
hielt man für notwendig. Dabei wäre die zumindest vordergründige
Verschleierung der totalen lyrischen Inhaltslosigkeit nun wirklich kein Luxus
gewesen. Aber halt!, wir wollen der Wahrheit die Ehre geben, denn es gibt
ja Inhalte, welche umgehend augenfällig werden. Als da wären:
Sex!, Gutdraufsein!, Sex!, Erfolgsgier!, Abfeiern an exotischen Orten!, Sex!,
Herzschmerz!, Sex!, Verlassensein! - und natürlich Sex!. Das musikalisch-textliche
Tourette-Syndrom sozusagen... Okay, okay, okay, zugegeben, das war jetzt wieder
mal gnadenlos übertrieben und der Joke inzwischen zudem nicht mehr der
alleroriginellste, aber ich mußte ihn halt einfach irgendwann, bei der
erstbesten Gelegenheit, selbst einmal bringen...
Erwähnt sei noch die recht witzige, einen verschmizt dreinblickenden,
zigarettequalmenden Kleinkinderengel abbildende Coverzeichnung. Deren inspirative
Verknüpfung zu Black Sabbaths drei Jahre zuvor erschienenen "Heaven And
Hell"-Werk erscheint allerdings augenscheinlich.
Die anderen mir bekannten VH-Werke, um das noch unterzubringen, sind nur unwesentlich
hörbarer: "VH II" bleibt als ebenso belanglos wie "1984" in Erinnerung,
nach Roths Aus- und Sammy Hagars Einstieg hob sich das kompositorische Niveau
zwar ein wenig an, was Scheiben wie "OU812" oder "F.U.C.K." nichtsdestotrotz
noch immer von einer meinerseitigen Empfehlungsweihe unberührt läßt.
Ed und seine Jungs werden's wohl verschmerzen können.
Möglicherweise bringens ja das, von einschlägigen Kreisen unumwunden
Klassikerstatus zugeschrieben bekommende Debutwerk bzw. mir bislang entgangene
Songs wie "Eruption", "Cathedral" oder "Tora! Tora!"? Allerdings würde
ich darauf keinesfalls meine Stereoanlage verwetten wollen...
Daß jedenfalls vor allem hohle, charakterlose Dutzendware und künstlich
aufgeblasene Nichtskönner mediale Aufmerksamkeit und dadurch zweifelhaften,
kurzlebigen Ruhm, sowie - in einigen Fällen unzweifelhaft schnell durchgebrachte
- massive Kohle absahnen, ist, wie wir alle wissen, kein Phänomen allein
der Achtziger geblieben. Anstatt befürchteter Überwachung und Unterdrückung
durch einen orwell'schen Big Brother, kam es vielmehr zu einer angenehm
betäubenden Tyrannei der Mittelmäßigkeit, zur Installation
einer daueramüsierten, infantilen Spaßgesellschaft. In welcher
Schein wichtiger ist als Sein. Es maskierte sich als unverfängliche Unterhaltung
eine weite Teile der Medienlandschaft beherrschende, verzerrte Imitation von
kreativem, tiefempfundenem Ausdruck und wirklicher Lebendigkeit. Die kulturelle
Hegemonie der Seichtheit.
Sowas wie Van Halens "1984" muß man zu diesem Komplex unabdinglich hinzuzählen.
Für mein Empfinden war, ist und bleibt das Album auch zukünftig:
absoluter Bullshit!
Oberflächlich lebt es sich, diesen Gedanken muß man abschließend
zugestehen, - zumeist - eben doch auch leichter.
- Heiko - 11/04
Innerhalb der Redaktion war Heikos Klassiker-Text zu "1984" nicht
unumstritten. Deshalb erstmal ein paar objektive Fakten.
Ob "1984" nun Ende 1983 oder im Januar 1984 erschien, ist anhand
der mir vorliegenden Quellen unklar; es hängt wahrscheinlich auch vom
jeweiligen Land ab. In England schaffte es das Album bis auf Platz 15 der
Charts, in den USA bis auf Platz 2. 10 Millionen Stücker wurden von dem
Ding verkauft. David Lee Roth, der seit dem ersten Album (1978) dabei war,
verließ die Band nach "1984" im Juni '85.
"Jump" findet sich in der Liste der 500 einflußreichsten Songs
in der "Rock and Roll Hall of Fame", in die es auch an zweiter Van
Halen-Song geschafft hat, nämlich "Runnin' With The Devil"
vom Debüt-Album. Nachlesen kann man das hier.
So, damit verlassen wir den sicheren Hafen der Fakten.
Als "Jump" permanent im Radio lief, war ich dreizehn. Für Heavy
Metal oder Hard Rock habe ich mich damals nur am Rand interessiert, nämlich
dann, wenn es ein Stück bis in den Bayerischen Rundfunk geschafft hatte.
Daß Eddi van Halen das Tapping als Solotechnik populär gemacht
hat, hätte ich damals unter "na und?" (etwa zur gleichen Zeit
entdeckte ich das MAD-Magazin) eingeordnet. Auf die Idee, mir das komplette
Album zu kaufen, wäre ich 1984 nie gekommen.
Stefan G. hat mir in der Diskussion vor Veröffentlichung von Heikos Artikel
vorgeworfen, "Trendjunkie und Mitläufer" zu sein, weil ich
"1984" als "grauenhaftes Beispiel stumpfdummen 80er-Jahre-Hardrocks"
bezeichnet habe, und sich am gleichen Tag mit Abspielen von "Hot For
The Teacher" in seiner Radiosendung "Zosh!"
revanchiert. Damit hättest du 100% Recht bei Leuten, die damals Van Halen
"total geil" fanden, sich die Platte kauften, vielleicht sogar auf
Konzerte gingen und in David Lee Roth ein erstrebenswertes männliches
Rollenvorbild sahen - und das heute alles lächerlich finden. Solche Menschen
finde ich auch zum Bemitleiden und bin darauf auch in meinem Klassiker-Text
zu Nirvana eingegangen.
Wer mich kennt, weiß, daß ich, was LPs, CDs und Bücher angeht,
(fast) nix wegwerfe. Irgendwie werden solche Sachen auch Teil der eigenen
Biographie - und die peinlichen Kindheitsfotos (mit fünf mit roten Backen
in der Badewanne, oder das Kommunionsfoto, wo der Friseur wenige Tage zuvor
gepfuscht hatte) schmeißt man ja auch nicht weg.
Van Halen waren nie Teil meiner Biographie, wobei ich damals bei "Formel
1" sicher nicht umgeschaltet habe, wenn "Jump" oder der Nachfolgehit
"Why Can't This Be Love" (dann schon mit Sammy Hagar) gelaufen ist;
gab' ja auch nicht viele Möglichkeiten. Hätte ich mir die
Platte gekauft, dann stände sie sicher noch bei mir im Schrank, anhören
würde ich sie mir wohl nur noch selten.
In dem Punkt gebe ich Heiko recht: Van Halen haben mich nur oberflächlich
berührt; beinflußt haben mögen sie die Leute, die die "Rock
And Roll Hall Of Fame" betreiben, mich nicht.
- Martin - 12/04
Wie schon erwähnt, gab es innerhalb der Redaktion einige Diskussion zu Heikos Van-Halen-Text. Darum hier sein abschließendes Statement zu dieser Sache:
Hallo allerseits...
Da ich zuletzt, um meine Antwort auf den Schirm knallen zu können, allenfalls
fünf Minuten zur Verfügung hatte, möchte ich doch noch ein
zusätzliches Wort zum "Van Halen-Zwischenfall" verlieren und den allgemeinen
Diskurs weiter vorantreiben.
Okay, klar, für Eddie selbst gäbe es zusätzlich der erwähnten
Möglichkeit, die Sache einfach mit Humor zur Kenntnis zu nehmen, natürlich
noch die, mir eine auf's Maul hauen zu wollen, haha! Das wäre genauso
legitim und verständlich, wenn auch ein bißchen unzivilisiert.
Neben der Gelegenheit, meinem persönlichen inneren, sarkastischen, unnachsichtig-fiesen,
bulldoggengesichtigen Kritikerschweinehund ein wenig Auslauf zu gönnen,
war die dringlichste und eher unterbewußte Motivation für diese
Attacke wohl die, zu erfahren, ob ich mein Zeug eigentlich nur für mich
selbst verfasse, oder ob es da draußen in den Winkeln des Cyberspace
noch von zumindest ein paar weiteren Individuen wahrgenommen wird. Man muß
es wohl bejahen... Wenngleich ich doch ein wenig davon überrascht wurde,
daß es tatsächlich Leute gibt, zumal in unserer Redaktion, welche
es der Mühe wert finden, dieses Album ernsthaft zu verteidigen.
Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Dachte ich zumindest. Ansonsten war
das vorhergehende, konkret inhaltsbezogene Echo auf die ernsthafteren Beiträge,
über die Jahre hinweg doch als sehr dürftig bis kaum vorhanden zu
bezeichnen, und ein verspürter Mangel, ein leises aber stetiges Zurückgehen
an allgemeiner Motivation ließ mich zu dieser kurzen "ächtz-wüt-knurr-Phase"
(oder wie hast du's nochmal witzigerweise genannt, Martin?) hinreißen
und diese markant-provokante Einschätzung bezüglich Van Halen hinkotzen.
Normalerweise hätte ich's bei meiner eigenen, Martins wohl ähnlichen
Gleichgültigkeit gegenüber Van Halen belassen, sie waren aber leider
irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort und boten sich als geradezu exemplarisches
Betrachtungsobjekt für meine möglicherweise etwas zu einseitige
These aufdringlich an; selbst wenn ich sie grundsätzlich für eine
durchaus integere Band halte, die tatsächlich hinter dem steht, was sie
tut und tat. Vielleicht kann ich ganz einfach nur mit dem von Stefan sogenannten
leichtlebigen "Partyfeeling" kaum was anfangen. Aufgesetztes Gutdraufsein
und bierselige Fröhlichkeit sind mir eher zuwider. Und "1984" empfinde
ich halt als durch und durch hohl. Der typische testosterongesteuerte Soundtrack
zum gröhlen, saufen, thekenschlampenabschleppen. Sorry, aber genau das
meine ich da weitgehend herauszuhören, damit zu assoziieren. Ansonsten
bleiben nichts weiter übrig als bedeutungslose Chiffren. Natürlich
ist das alles noch ein kleines, aber entscheidendes Stückchen entfernt
von solch wirklich nervenzerfetzend schlimmen und hirnverbrannten Phänomenen
wie etwa einer jeden beliebigen, durchschnittlichen Faschings- bzw. Karnevalsveranstaltung,
oder - wer nahm es noch nicht mißbilligend zur Kenntnis? - all dieser
künstlichen, telegen(eriert) aufgeblasenen Popstars-Scheisse.
Das ist dann aber wirklich das unrühmliche Ende einer jeden vorstellbaren
Dümmlichkeits- und Seichtheits-Skala. Was allerdings populäre, eingängige,
leichte Unterhaltungsmusik angeht, hat, verglichen mit "1984", meiner bescheidenen
Meinung nach sogar - um mal ein an dieser Stelle vielleicht überraschendes,
jedoch allseits geläufiges Beispiel zu bringen - ein Robbie Williams
desöfteren so einiges an kompositorischem und inhaltlichem Mehrwert zu
bieten.
Tut mir leid, wenn mein kleiner polemischer Ausbruch irgendjemandes Gefühle
verletzt haben sollte, laßt euch dadurch den Spaß an Van Halen
und speziell ihrem populärsten Album nicht vermiesen...! Und bevor es
noch zu schwer ausräumbaren Mißverständnissen kommt, denn
ich höre den Vorwurf bereits auf mich zubranden: nein, ich wollte jetzt
keinesfalls zum Ausdruck gebracht haben, alle Van Halen-Hörer für
geistig minderbemittelte Idioten und ausschließlich triebgelenkte Neandertaler
zu halten. Diese Band, man merkt es hier abermals, scheint, bei näherer
Beschäftigung mit ihr, problemlos nur das Unleidlichste und ansonsten
tief in mir Vergrabene, an die Oberfläche zu schwemmen...
Bei nochmaligem Überdenken muß allerdings sogar ich zugeben, daß
ein gelegentliches, gepflegtes Die-Sau-Rauslassen der Psychohygiene absolut
förderlich sein kann, und nun wirklich nicht zu verachten ist. Wie die
Erfahrung zeigt, scheint die dazu beitragende musikalische Beförderung,
je banaler und tralalaesker, desto wirkungsvoller. Das kann dann eigentlich
gar nicht doof genug sein. Ich erinnere mich da an eine lange zurückliegende
Silverterfeier in meiner Bude, irgendeiner der Gäste stellte, meine zaghaften
Proteste zurecht vollkommen ignorierend, unseren wirklich schauderhaften regionalen
Schlagersender im Radio ein - und plötzlich ging die Stimmung durch die
Decke und eine wilde Polonäise quer durch die gesamte Wohnung (u.a. auch
die Badewanne), ja, das ging richtig wüst ab. Oder damals ... - halt!,
genug der biographischen Geständnisse, denn ich merke gerade, mich auf
gefährlich dünnem Eis zu bewegen, schließlich habe ich nach
wie vor ein langjährig gehegtes Image als intellektueller New Age-Poet
zu verlieren... Dieser Effekt erklärt by the way auch gleich den enormen,
nur zu gut verständlichen Erfolg von Dieter Thomas Kuhn, Gildo Horn &
Co. mit ihren aufgetunten Schlagerparties gegen Ende der 90er. Der profane
Stimmungsrausch als Bauernweg ins temporäre Selbstvergessen. Solange
es nicht ausnahmslos darauf hinausläuft, muß man dem sinnfreien
Spaßevent, dem besinnungslosen Partyfeeling durchaus einen elementaren
Bedürfnischarakter einräumen.
Möglicherweise wagte ich mich also, eingedenk dieser beinahe grenzrevolutionären
Erkenntnisse, an "1984" einfach unter gänzlich falschen Voraussetzungen
- bei Tageslicht; alleine; ohne Alk oder andere Rauschmittel hinzuzuziehen
- heran.
Bei dem von Martin erwähnten Singlehit dürfte es sich übrigens
(wie er, merke ich gerade, selbst bereits feststellte) um "Why Can't This
Be Love" vom 85er "5051"-Album handeln, welcher mir damals eigentlich sogar
recht gut gefiel.
Das noch als zusätzliche, abschließend vielleicht noch ein wenig
versöhnlicher stimmende Anmerkung.
Also, nix für ungut,
- Heiko - 01/05