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"Any attempt to reproduce these musical statements in our own words is necessarily doomed to failure."
(Aldous Huxley)

 

 


Ein wilder Ritt durch die Ewigen Jagdgründe der Pop-Musik
Teil 5

 

*** Die Meister geschmackvoller großer Gesten und erlesener epischer Dramatik in ihrer ersten Dekade, ließen seither nun wirklich nichts unversucht, ihre schrumpfende Fanbase auf alle nur denkbaren Arten zu enttäuschen. Daß neue, ungeahnte Tiefpunkte jedoch immer möglich sind, demonstrierten Queensryche 2011 eindrucksvoll mit "Deticated To Chaos". Die schiere inhaltliche Banalität, die unmaskierte kompositorische und harmonische Stumpfheit, sie lassen einen sprachlos und kopfschüttelnd zurück. Es tut fast körperlich weh, Geoff Tate dabei zu beobachten, wie er sich selbstquälerisch ein letztes bißchen Bedeutung und Ausdruck abzuringen versucht. *** Auch die unglaublich monotone Neue von Symphony X ist bestenfalls einfach nur "Meh". *** Seine subtilen rhythmischen Wellenbewegungen und lebhaften melodischen Verzweigungen induzieren, vor allem über die Distanz des gesamten Albums, eine beglückende, psychedelisch-trancehafte Wirkung. Ein komplexer Tanz durch wundervoll verwobene Schwingungsmuster. "The Quickening" von Remember Remember ist schwereloses musikalisches Dahingleiten für ungeübte wie fortgeschrittene Alphawellenreiter. Nebenbei dürfte "Scottisch Widows" vielleicht der schönste Song sein, der mir über das gesamte Jahr hinweg zu hören vergönnt war. *** Arena, noch 'ne Band, die ich früher mal gut fand. "The Seventh Degree Of Separation" ist gesichtsloser Bombast-Rock, thematisch düster, musikalisch banal. Ein verzichtbares Comeback, um all das entschlackt, was die Musik der Engländer mal aufregend und interessant gemacht hat. Omnipräsent Arenas standartisierte Gitarren- und Keyboardtexturen und die nun äußerst schablonenhaften Songaufbauten. Zumeist fokussiert man sich auf den okayen neuen Sänger. Das furiose Instrumentalbreak von "Catching The Bullet" sind eigentlich die einzigen drei Minuten, die tatsächlich mal aufhorchen lassen. Das laute zukleisternde Mastering versetzt der drögen Platte schließlich den endgültigen Todesstoß. *** Die fand' ich doch auch mal gut, #237: Mein Magen rebelliert noch immer ob des üblen Nachgeschmacks, den die neue Schlemmerplatte von Nightwish hinterläßt. Ja doch, Leute, nur zu, tischt uns maßlos auf! Mehr von jenem allzu gut abgehangenen und speckigen sinfonischen Größenwahn, dem musicalhaften Geknödel, und bitte nicht nur zum Nachtisch von der leichtverdaulichen, klebrigen, balladesken Zuckerwatte! Schenkt uns dazu zum Runterspülen aber ordentlich ein von dem künstlichen, gepanschten, schier niemals versiegenden Refrainwein!! Brrr. Mir wird plötzlich so schummerig... Wo immer die Nadel aufsetzt: Schwulst Deluxe, Kitsch Galore, Camp Premium, Maximum Cheese. Nahrhafte, naturbelassene, gesunde, geschmackvolle kulturelle Kost geht anders. Die Zutaten für "Imaginaerum" wurden sämtlichst auf sterilem Kunstrasen rund um eine dauerrotiernede Kirmesorgel herangezogen. Weil dieses Produkt all das an Zielgruppenorientiertheit, Berechnung, Aufgeblasenheit und Überambitioniertheit versinnbildlicht, was mir inzwischen recht zuwider ist, sollte es erlaubt sein, auf eigene Weise seinen Spaß damit zu haben. Eine Band von Nightwishs Format und deren Fans dürften ein wenig Herumgetrolle vertragen können. Andererseits, das bei weitem Unterhaltsamste, was das Album hervorzubringen vermochte, sind die ein und zwei Sterne Rezensionen der Nutzer auf Amazon.de und die dazu gehörigen brüskierten Kommentare. Ha, DAS sind doch mal echte menschliche Emotionen!! *** Petronella <3 *** Dustin O'Halloran macht wundervolle, zurückgelehnte, moderne Klassik. Auf dem aktuellen Werk "Lumiere" interagieren mit seinem Piano erstmals betörende Streicher. Wärmste Empfehlung. *** Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber Russian Circles verlieren mehr und mehr ihr Mojo. "Empros" ist gewiss kein schlechtes Album, aber der verwaschene Sound läßt einfach keine rechte Freude aufkommen und kompositorisch verliert sich zu vieles in Beliebigkeit. Mit dem fokussierten "Mladek" gibt's, selbst nach mehreren Durchläufen, nur einen einzigen Track der mich wirklich zu kicken vermag. Wenn ich RC auflege, dann kommen weiterhin größtenteils nur die ikonischen ersten beiden Platten in Frage. Oder vielleicht "Geneva", in das ich schließlich doch noch halbwegs hineinwachsen konnte. Mal schauen, wahrscheinlich hat "Empros" auch so eine versteckte Hintertür. Mann, jetzt ist es mir doch wirklich gelungen, mir selbst innerhalb weniger, einfacher, kurzer Sätze zu widersprechen. Dies führt mich zwanglos zur Formulierung einer zeitlosen kommunikativen Wahrheit, verschärft gültig seit dem Heraufdämmern des Heißluftgebläses Internet: Undifferenzierte Meinungen darf man gerne vertreten. Man sollte jedoch auch fähig sein, diese unzureichend argumentativ zu begründen. *** Wenn man beispielsweise Ludovico Einaudis "Divenire" mal direkt nach der aktuellen Nightwish laufen läßt, merkt man erst so richtig, was für eine billige orchestrale Effekthascherei, was für ein pompöser Kindergeburtstag mit gelegentlich eingeworfenen Rammstein-Gitarrenriffs diese doch ist. Hier haben wir ein auf lyrischer Klassik basierendes Werk, bei dem jeder einzelne Ton authentisch und inspiriert ist. *** Bei Erwähnung des Namens Metallica kommt inzwischen nur noch das ganz große Gähnen auf. Bei dem, was ich bislang hören konnte von der Kollaboration Lou Reed & Metallica, "Lulu" betitelt, tun sich allerdings ganz neue Abgründe auf. Schon zwei Tracks hintereinander sind kaum auszuhalten. Die monotone Rezitation eines Textes, der vor einem Jahrhundert vielleicht mal sein Publikum schockieren konnte, untermalt von nicht minder monotonen Gitarrenriffs. Von einer lustlosen Band, die keine Ahnung zu haben scheint, wie zur Hölle sich eine zwei Dekaden andauernde Sinnkrise überwinden lassen könnte. *** Da wir gerade so schön beim Thema sind: über drei Jahre habe ich benötigt, um zu einer einigermaßen gesicherten Einschätzung von "Death Magnetic" zu gelangen. Vor allem, weil es jedesmal Überwindung kostete, das spröde Teil aufzulegen. Um's kurz zu machen: ist so mittelprächtig. Kann man sich mal anhören. Torpediert wird der eventuelle Genuß aber vor allem von drei Elementen: dem Mastering, Hetfields Gesang und gelegentlich Ulrichs Getrommel. *** Followed By Ghosts haben mit "Still, Here" 2011 ein exzellentes Comeback hingelegt. Klassischer gitarrenbasierter Post Rock, tolle Instrumentierung, mitreißende Songs. *** Übertroffen in ihrem Genre wurden die von Geistern Gefolgten einzig von The End Of The Ocean. Wie grandios "Pacific.Atlantic" eigentlich ist, wurde mir erst völlig klar, als der entsprechende Eintrag in der Jahresendliste von thesilentballet.com mich daran erinnerte. Der Sound auf diesem begeisternden Debut ist organisch und atmosphäisch dicht, die Darbietung lebendig und anrührend. Dem komplexen, vielschichtigen und doch allzeit zugänglichen Zusammenspiel von Drums und Bass, den Gitarren und Keys, ist eine wahre Freude beizuwohnen. Erhabenheit und Melancholie verknüpfend, sich flüssig von stiller Introvertiertheit zu episch aufwallender Katharsis und wieder zurück wandelnd, nehmen sie den Hörer mit auf eine Reise durch eine Fülle von Seinszuständen. Grundsätzlich sollte man hier keine Einzeltitel hervorheben, da das Album eine in sich abgerundete homogene Einheit bildet, aber Mann, vom abschließenden Epos "We Always Think There is Going to be More Time...", bei dem bereits die langformige, nachdenkenswerte Titelgebung ja sowas von postrockt, kann ich einfach nicht genug bekommen. Dieses elfminütige Finale ist wie auf einem Berggipfel zu stehen, im Ozean umherzutauchen, in einer Supernova zu verglühen, sich gegen Ende in der grenzenlosen Weite vibrierender Leere auszubreiten, zu verdünnisieren, sich willig in unsagbarem Wohlgefallen aufzulösen. *** "Deaden The Fields" von Tangled Thoughts Of Leaving ist mein persönliches Album des Jahres 2011. So. Jetzt hab' ich's gesagt. *** Anathema streben auch auf "Weather Systems" nach wie vor hin zu den ganz großen Gefühlen. Sie tun das inzwischen aber über weite Strecken so kontrolliert, glatt und wohlgefällig, daß es zumindest mir schwer fällt, mich angesprochen und einbezogen zu fühlen. Die meist stimmlich vorgetragenen grandios-symbolträchtigen Gesten wirken zunehmend substanzloser und beliebiger, aufregende Instrumentalbreaks sind auf ein Minimum heruntergedimmt. Die Höhepunkte sind bezeichnenderweise die drei Tracks mit den längsten Laufzeiten. *** Gazpacho - "March of Ghosts": Himmel! Geht's denn noch banaler, einfallsloser und wattig dahindümpelnder? "Night" war damals ein großartiges, inspiriertes, atmosphärisches Werk. Das bislang einzige völlig überzeugende der Norweger. "March of Ghosts", ein Konzeptalbum über Geister, ist leider stellenweise unfreiwillig gruselig (v.a. den Gesang betreffend) *** Autolux sind auf "Transit Transit" gegenüber dem hinreißenden Debut "Future Perfect" nicht nur die arschkickenden dissonanten Rock-Elemente, sondern auch diese absolut unwiderstehlichen Hooks abhanden gekommen. Nur noch netter schräger Art-Pop, mehr nicht. Leider. *** Wenn auch der Epic "The Fisherman" so richtig knorke ist, vermögen auch RPWL mit ihrer aktuellen Veröffentlichung den Trend nicht umzukehren, daß mir persönlich Prog Rock immer egaler wird. Liegt wahrscheinlich daran, daß einem der Rest so dermaßen glatt, konfektioniert und leidenschaftslos erscheint. *** The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble faszinieren seit Jahren mit ihrer eindringlichen Mischung aus Dark Ambient, Trip Hop und Jazz. Die live mitgeschnittenen Interpretationen auf "I Forsee the Dark Ahead, If I Stay" sind exzellent und verleihen den ausgewählten Stücken tatsächlich noch eine erweiterte Dimension an Lebendigkeit und Atmosphäre. Manches erfährt gegenüber der Studioversion eine komplette Überarbeitung, wie etwa das abschließende "The MacGuffin", welches es locker auf die doppelte Länge bringt und zu einem einschüchternden, ehrfurchtgebietenden, düster-schroffen Klangquader mutiert. *** Jacaszek wurden auf "Glimmer" noch eine Ecke introvertierter, zurückgenommener als auf ihrem Wehmut transzendierenden Meisterwerk "Treny". Die Absenz des weiblichen Soprans und die verschwiegene Dezenz könnten einen dazu verleiten, das Werk zu unterschätzen. Deshalb rät sich, in diesem Fall ganz besonders, vorschnelle oberflächliche Einschätzungen zu vermeiden. Denn "Glimmer" führt in verborgene Tiefen. Allsagende Stille findet neben sturmwindhafter Dissonanz, sorgsam gewählte Struktur neben Sehnsucht nach Auflösung und Formlosigkeit hier ein Zuhause. Die vielschichtigen Ströme an orchestraler Kammermusik und elektronischer Sounds vermischen sich barrierefrei zu einem höchst subtilen und zugleich mitreißenden, repetitiv-hypnotischen und zugleich sich in permanenter Wandlung befindlichen Fluß, der dem geneigten Hörer mehr und mehr und mehr und mehr einen vagen seligen Schimmer, einen wonnigen Vorgeschmack, eine greifbare Ahnung von der grenzenlosen Weite des Ozeans vermittelt. *** Birds of Passage ist eine solitäre Künstlerin, die in ihren eigenen vier Wänden melancholische Poesie vertont. Weltabgewandt, minimalistisch, hauchzart, zerbrechlich, surreal, bezaubernd. *** Das neue selbstbetitelte Album von The Samuel Jackson Five ist, erwartbar, sehr hörenswert geraten. Der im Bandkontext ungewohnte Gesang bei zumindest zwei Stücken, dürfte für viele langjährige Anhänger des jazzigen Post-Rocks der Schweden allerdings eine schwer zu schluckende Pille sein. *** Wunderbar, Leech nach fünf Jahren wieder zurückkehren zu sehen; wußte gar nicht, ob die Schweizer überhaupt noch aktiv sind. Das gewaltige "If We Get There One Day, Would You Please Open the Gates" setzt jedenfalls die Meßlatte, die es zu übertreffen gilt, wenn sonst irgendwer den Titel der besten Veröffentlichung 2012 im Bereich des instrumentalen (Space-, Post-) Rock abräumen möchte. Himmel, was für Sounds, was für Kompositionen! *** Mit "Red Forest" reichen If These Trees Could Talk allerdings schon mal verdammt dicht heran. Vorzüglich, wie gewohnt. *** Mir wurde kürzlich etwas klar. Keine Band verstand es konstant über Jahrzehnte hinweg meine klangräumlichen Vorlieben so multipel zu verwöhnen wie die Ozric Tentacles. Selbst wenn die letzten beiden Platten des (inzwischen) Familienunternehmens Wynne nicht mehr völlig zu überzeugen wußten, bleiben deren seit Mitte der 1980er in den Äther gesandten überirdischen Sounddesigns und tranceinduzierenden Rhythmusstrukturen eine Singularität. Weltmusik, die sich von aller stilistischer und stofflicher Gebundenheit bereits von Beginn an herausgelöst hat. Wenn man überhaupt eine unter tausenden nennen kann und möchte, dann sind die Ozrics mittlerweile ziemlich sicher genau dies geworden: meine Lieblingsband. So. Jetzt hab' ich's gesagt. ***

- Grumpy Old Heiko - 05/12
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