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ATROX - Terrestrials (2002)

atrox terrestrialsDas (Metal) Album des Jahres! Obwohl man im Hause Season of Mist gehörig selbigen bei der Veröffentlichung dieses Albums gebaut hat (überlange Pausen und ein ganz leises Brummen zwischen den Stücken, massenweise Knackser bei den beiden letzten Songs, die den Eindruck eines zerkratzten Vinylalbums erwecken, der Drummer wird im CD-Booklet nicht genannt, und auf den Längsseiten der CD-Box steht als Titel "Trrestrials" - anscheinend hatte man nicht mehr genug Geld, um noch ein "e" zu kaufen!), haben Atrox mit ihrem neuen Werk für mich nicht nur das beste Metalalbum seit dem 1991 erschienenen "Within The Veil" von Fear of God, sondern zusammen mit diesem auch das bislang beste Metalalbum überhaupt veröffentlicht! Der Vorgänger "Contentum" war ja schon nicht schlecht, aber mit "Terrestrials" ist Atrox in meinen Augen bzw. Ohren die perfekte Mischung aus Aggressivität, Originalität, Abwechslungsreichtum und Melodie gelungen. Auffallend ist im Vergleich zum Vorgänger der deutlich härtere Gitarrensound (manche Passagen könnten dabei durchaus auf einem Death oder Black Metal-Album zu finden sein). Die cleanen Gitarren erinnern mich stellenweise etwas an Sieges Even (auf ihren Alben "A Sense Of Change" und "Sophisticated"). Bei einigen Songs kann man erfreulicherweise auch mal den Baß heraushören, was ja sonst bei Metalalben nicht unbedingt üblich ist, und der Drummer dürfte einer der originellsten sein, die ich bisher gehört habe. Mit welcher Lockerheit er teilweise wirklich vertrackte Rhythmen sowie plötzliche Tempo- und Rhythmuswechsel spielt, ist schon beeindruckend (z.B. beim zweiten Song "Ruin"). Erstaunlich finde ich, daß ich mir die Songs, obwohl sie vor Tempo- und Rhythmuswechseln oftmals nur so strotzen, nicht nur konzentriert über Kopfhörer, sondern auch gut nebenbei, etwa beim Autofahren, anhören kann. Was, wie schon auf "Contentum", Atrox von allen anderen "progressiven" Bands abhebt, ist natürlich Monikas unvergleichlicher Gesang, an dem sich weiterhin die Geister scheiden werden. Was Variabilität angeht, so dürfte Monika mit ihrer Stimme auf "Terrestrials" ein Spektrum abdecken, wofür andere Bands mindestens 4-5 verschiedene Sängerinnen benötigen würden und bei dem mir als Vergleich im Ansatz allenfalls noch Kate Bushs Leistung auf ihrem Meisterwerk "The Dreaming" einfällt. (Insoweit könnte man "Terrestrials" in gewisser Weise als das Heavy Metal-Pendant zu "The Dreaming" bezeichnen.) Monika kann ja durchaus "schön" und klar singen, wie sie es etwa bei dem schon fast verträumten "Human Inventions" auch macht, aber es gibt auch verschiedene Stellen, etwa in "Mare´s Nest" oder "The Beldam of the Bedlam", an denen sie bewußt "häßlich"/"schräg" singt. Die Titelzeile des letztgenannten Songs singt Monika z.B. im Stil der typischen Black Metal-Giftzwerge. Ihr dunkles Flüstern bei der Zeile "Stealing through, you´d expect to find the sekeletons of the Sleeping Beauty´s wooers in the hedges and perhaps her spindle and the witch inside." im genialen "Ruin" erinnert dann mal entfernt an Sabina Classen (wenn diese es mal mit Flüster-"Gesang" versucht). Auffallend ist, daß die auf "Contentum" noch recht deutlichen orientalischen Einflüsse nun nahezu gänzlich verschwunden sind. Dafür klingt Monikas Gesang nun mehr als einmal schon nahezu jazzig. Viele, wie z.B. der Rezensent im R.H., mögen sich durch den Abwechslungsreichtum in Monikas Gesang (und auch in der Musik) überfordert fühlen, aber ich liebe es, wie Monika mit ihrer Stimme immer wieder experimentiert und versucht, sie den Stimmungen der Songs bzw. manchmal auch nur einzelner Textzeilen anzupassen. Der Gesang zu Beginn und gegen Ende des letzten Songs "Look Further" (die Gitarren klingen hier in den harten Passagen stark nach Voivod zu "Negatron"-Zeiten!) wirkt z.B. schon fast so "eerie" wie einige von Monikas Gemälden (zu jedem Text gibt es dieses Mal ein Bild) und Textpassagen. Bei den eher "schön" gesungenen Zeilen "I can´t come to terms with the terrestrials. I can´t come to terms with me. A lifetime´s worth of tears gathered up in me. I´ve been on the verge of tears all my life." im Song "Changeling" hört man aus Monikas Stimme eine Mischung aus tiefer Sehnsucht und Traurigkeit, ebenso wie auch bei den schönen Gitarrensoli in diesem Song. Auch tiefe Sehnsucht und Melancholie kann man nachempfinden, wenn Monika in "Translunaria" singt: "I conjured a miserable creature for you. A restless moonling always on the move. It founded its own nomadic state - Translunaria. The moonling can never be seen from earth...How can I comfort you? You like it this way, don´t you? Slowly revolving a white horizon round your axis. Your magnetism is so weak, you can hardly keep the ivory tower I conjured for you.", während sie bei den letzten Worten "You don´t care at all, do you?" dann völlig verzweifelt klingt. Auch wenn ich mich jetzt möglicherweise ziemlich weit aus dem Fenster lehnen sollte, wage ich zu behaupten, daß Monika zur Zeit die originellste und ausdrucksstärkste Sängerin im Metalbereich ist. Auch ihre Phantasie scheint eine nahezu unerschöpfliche Quelle zu sein. - Für mich ist Monika Edvardsen spätestens seit diesem Album die Kate Bush des Heavy Metal! Neben ihrem einzigartigem Gesang sollte man aber auch ihr effektvolles Synthesizerspiel hervorheben, welches die in ihren Texten und Bildern oft zum Ausdruck kommenden unheimlichen und unwirklichen Stimmungen perfekt untermalt. Franz Kafka und Hieronymus Bosch wären bestimmt begeistert! Ich bin es auf jeden Fall, denn sonst hätte ich mir dieses Album nicht seit dem Kauf im April 2002 bis zum Verfassen dieser Rezension 2 ½ Monate danach 60mal angehört! Wenn es hier eine Punktwertung gäbe, würde dieses Album von mir wohl mehr als die Höchstwertung bekommen. Obwohl "Terrestrials" insgesamt noch abwechslungsreicher/extremer als "Contentum" ausgefallen ist, halte ich es - so merkwürdig dies jetzt klingen mag - für eingängiger. Sicher erfordert es einige Durchläufe, bis man sich mal in die Songs etwas hineingehört hat, aber sowas ist mir definitiv lieber als ein Album, welches mir vielleicht nach dem ersten Durchgang total gut gefällt, bei dem ich mich aber nach 20-30 Durchläufen oder noch eher bereits sattgehört habe. Wer Metal allein "true", also klischeetriefend bis der Arzt kommt, haben will, sollte einen weiten Bogen um "Terrestrials" machen. Wer hingegen Interesse an Bands hat, die sich nicht um Konventionen scheren, und (auch) vor experimentierfreudigen Sängerinnen nicht zurückschreckt, sollte hier mal ein Ohr oder auch zwei riskieren. Auch wenn auf diesem Album alle Songs auf sehr hohem Niveau stehen, möchte ich "Ruin", "Nine Wishes", "Human Inventions", "Mental Nomads" (schön heftig wird´s gegen Ende, wenn Monika singt: "My hour of sanity. The unpredictable. I meant to lead you away from madness, but that´s exactly what drove you out of your mind."!) und "Changeling" besonders hervorheben. Mit insgesamt ca. 65 Minuten Spielzeit (die meisten Songs dauern zwischen 6 und 8 ½ Minuten) bekommt man jedenfalls viel für sein Geld geboten. Erwähnenswert ist übrigens auch noch das leicht selbstironische Backcover der CD!

- Burkhard - 06/02
- Zuerst veröffentlicht im Polarlicht-Fanzine -

Nachtrag (Mai 2003): Inzwischen habe ich dieses Album über 250mal gehört und ich liebe es immer noch so sehr, wie beim Verfassen der Rezension.