Das
(Metal) Album des Jahres! Obwohl man im Hause Season of Mist gehörig
selbigen bei der Veröffentlichung dieses Albums gebaut hat (überlange
Pausen und ein ganz leises Brummen zwischen den Stücken, massenweise
Knackser bei den beiden letzten Songs, die den Eindruck eines zerkratzten
Vinylalbums erwecken, der Drummer wird im CD-Booklet nicht genannt, und auf
den Längsseiten der CD-Box steht als Titel "Trrestrials" -
anscheinend hatte man nicht mehr genug Geld, um noch ein "e" zu
kaufen!), haben Atrox mit ihrem neuen Werk für mich nicht nur das beste
Metalalbum seit dem 1991 erschienenen "Within The Veil" von Fear
of God, sondern zusammen mit diesem auch das bislang beste Metalalbum
überhaupt veröffentlicht! Der Vorgänger
"Contentum" war ja schon nicht schlecht, aber mit "Terrestrials"
ist Atrox in meinen Augen bzw. Ohren die perfekte Mischung aus Aggressivität,
Originalität, Abwechslungsreichtum und Melodie gelungen. Auffallend ist
im Vergleich zum Vorgänger der deutlich härtere Gitarrensound (manche
Passagen könnten dabei durchaus auf einem Death oder Black Metal-Album
zu finden sein). Die cleanen Gitarren erinnern mich stellenweise etwas an
Sieges Even (auf ihren Alben "A Sense Of Change" und "Sophisticated").
Bei einigen Songs kann man erfreulicherweise auch mal den Baß heraushören,
was ja sonst bei Metalalben nicht unbedingt üblich ist, und der Drummer
dürfte einer der originellsten sein, die ich bisher gehört habe.
Mit welcher Lockerheit er teilweise wirklich vertrackte Rhythmen sowie plötzliche
Tempo- und Rhythmuswechsel spielt, ist schon beeindruckend (z.B. beim zweiten
Song "Ruin"). Erstaunlich finde ich, daß ich mir die Songs,
obwohl sie vor Tempo- und Rhythmuswechseln oftmals nur so strotzen, nicht
nur konzentriert über Kopfhörer, sondern auch gut nebenbei, etwa
beim Autofahren, anhören kann. Was, wie schon auf "Contentum",
Atrox von allen anderen "progressiven" Bands abhebt, ist natürlich
Monikas unvergleichlicher Gesang, an dem sich weiterhin die Geister scheiden
werden. Was Variabilität angeht, so dürfte Monika mit ihrer Stimme
auf "Terrestrials" ein Spektrum abdecken, wofür andere Bands
mindestens 4-5 verschiedene Sängerinnen benötigen würden und
bei dem mir als Vergleich im Ansatz allenfalls noch Kate Bushs Leistung auf
ihrem Meisterwerk "The Dreaming" einfällt. (Insoweit könnte
man "Terrestrials" in gewisser Weise als das Heavy Metal-Pendant
zu "The Dreaming" bezeichnen.) Monika kann ja durchaus "schön"
und klar singen, wie sie es etwa bei dem schon fast verträumten "Human
Inventions" auch macht, aber es gibt auch verschiedene Stellen, etwa
in "Mare´s Nest" oder "The Beldam of the Bedlam", an denen
sie bewußt "häßlich"/"schräg" singt.
Die Titelzeile des letztgenannten Songs singt Monika z.B. im Stil der typischen
Black Metal-Giftzwerge. Ihr dunkles Flüstern bei der Zeile "Stealing
through, you´d expect to find the sekeletons of the Sleeping Beauty´s wooers
in the hedges and perhaps her spindle and the witch inside." im genialen
"Ruin" erinnert dann mal entfernt an Sabina Classen (wenn diese
es mal mit Flüster-"Gesang" versucht). Auffallend ist, daß
die auf "Contentum" noch recht deutlichen orientalischen Einflüsse
nun nahezu gänzlich verschwunden sind. Dafür klingt Monikas Gesang
nun mehr als einmal schon nahezu jazzig. Viele, wie z.B. der Rezensent im
R.H., mögen sich durch den Abwechslungsreichtum in Monikas Gesang (und
auch in der Musik) überfordert fühlen, aber ich liebe es, wie Monika
mit ihrer Stimme immer wieder experimentiert und versucht, sie den Stimmungen
der Songs bzw. manchmal auch nur einzelner Textzeilen anzupassen. Der Gesang
zu Beginn und gegen Ende des letzten Songs "Look Further" (die Gitarren
klingen hier in den harten Passagen stark nach Voivod zu "Negatron"-Zeiten!)
wirkt z.B. schon fast so "eerie" wie einige von Monikas Gemälden
(zu jedem Text gibt es dieses Mal ein Bild) und Textpassagen. Bei den eher
"schön" gesungenen Zeilen "I can´t come to terms with
the terrestrials. I can´t come to terms with me. A lifetime´s worth of tears
gathered up in me. I´ve been on the verge of tears all my life." im Song
"Changeling" hört man aus Monikas Stimme eine Mischung aus
tiefer Sehnsucht und Traurigkeit, ebenso wie auch bei den schönen Gitarrensoli
in diesem Song. Auch tiefe Sehnsucht und Melancholie kann man nachempfinden,
wenn Monika in "Translunaria" singt: "I conjured a miserable
creature for you. A restless moonling always on the move. It founded its own
nomadic state - Translunaria. The moonling can never be seen from earth...How
can I comfort you? You like it this way, don´t you? Slowly revolving a white
horizon round your axis. Your magnetism is so weak, you can hardly keep the
ivory tower I conjured for you.", während sie bei den letzten Worten
"You don´t care at all, do you?" dann völlig verzweifelt klingt.
Auch wenn ich mich jetzt möglicherweise ziemlich weit aus dem Fenster
lehnen sollte, wage ich zu behaupten, daß Monika zur Zeit die originellste
und ausdrucksstärkste Sängerin im Metalbereich ist. Auch ihre Phantasie
scheint eine nahezu unerschöpfliche Quelle zu sein. - Für mich ist
Monika Edvardsen spätestens seit diesem Album die Kate Bush des Heavy
Metal! Neben ihrem einzigartigem Gesang sollte man aber auch ihr effektvolles
Synthesizerspiel hervorheben, welches die in ihren Texten und Bildern oft
zum Ausdruck kommenden unheimlichen und unwirklichen Stimmungen perfekt untermalt.
Franz Kafka und Hieronymus Bosch wären bestimmt begeistert! Ich bin es
auf jeden Fall, denn sonst hätte ich mir dieses Album nicht seit dem
Kauf im April 2002 bis zum Verfassen dieser Rezension 2 ½ Monate danach 60mal
angehört! Wenn es hier eine Punktwertung gäbe, würde dieses
Album von mir wohl mehr als die Höchstwertung bekommen. Obwohl
"Terrestrials" insgesamt noch abwechslungsreicher/extremer als "Contentum"
ausgefallen ist, halte ich es - so merkwürdig dies jetzt klingen mag
- für eingängiger. Sicher erfordert es einige Durchläufe, bis
man sich mal in die Songs etwas hineingehört hat, aber sowas ist mir
definitiv lieber als ein Album, welches mir vielleicht nach dem ersten Durchgang
total gut gefällt, bei dem ich mich aber nach 20-30 Durchläufen
oder noch eher bereits sattgehört habe. Wer Metal allein "true",
also klischeetriefend bis der Arzt kommt, haben will, sollte einen weiten
Bogen um "Terrestrials" machen. Wer hingegen Interesse an Bands
hat, die sich nicht um Konventionen scheren, und (auch) vor experimentierfreudigen
Sängerinnen nicht zurückschreckt, sollte hier mal ein Ohr oder auch
zwei riskieren. Auch wenn auf diesem Album alle Songs auf sehr hohem Niveau
stehen, möchte ich "Ruin", "Nine Wishes", "Human
Inventions", "Mental Nomads" (schön heftig wird´s gegen
Ende, wenn Monika singt: "My hour of sanity. The unpredictable. I meant
to lead you away from madness, but that´s exactly what drove you out of your
mind."!) und "Changeling" besonders hervorheben. Mit insgesamt
ca. 65 Minuten Spielzeit (die meisten Songs dauern zwischen 6 und 8 ½ Minuten)
bekommt man jedenfalls viel für sein Geld geboten. Erwähnenswert
ist übrigens auch noch das leicht selbstironische Backcover der CD!
- Burkhard - 06/02
- Zuerst veröffentlicht im Polarlicht-Fanzine -
Nachtrag (Mai 2003): Inzwischen habe ich dieses Album über 250mal gehört und ich liebe es immer noch so sehr, wie beim Verfassen der Rezension.