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BERGTATT – Røtter (2009)

Wie schon in meinem Konzertbericht erwähnt, kamen mir beim erstmaligen Hören dieser norwegischen Band gleich zwei andere Bands in den Sinn, nämlich die ebenfalls aus Norwegen stammenden und inzwischen aufgelösten Gåte sowie Garmarna aus Schweden. Wie diese beiden Bands lassen sich Bergtatt grob dem Genre Folk Rock zuordnen, unterscheiden sich jedoch zugleich hörbar. Im Vergleich zu ihren Landsleuten Gåte klingen Bergtatt bei Songs wie den rein akustisch gehaltenen "Harpa" und "Mølla" einerseits folkiger, andererseits ist bei vielen Songs ein deutlicher Metal-Einschlag festzustellen, den es bei Gåte nicht gab.

Auf dem zunächst nur in Norwegen veröffentlichten Debütalbum "Røtter" ("Wurzeln") sind teils neu arrangierte traditionelle Stücke, von denen "Villemann og Magnhild" das bekannteste sein dürfte, überwiegend jedoch eigene Kompositionen zu finden. Die Texte sind nahezu allesamt in Nynorsk bzw. diesem ähnlichen Dialekten geschrieben. Einzige Ausnahme ist der schwedische Text des Songs "Bläck", der manchem vielleicht auch schon von Garmarnas Album "Vedergällningen" bekannt ist. Die Texte nehmen teils Bezug auf die norwegische Sagenwelt und Mythologie, wie etwa in dem Song "Ægir", der vom gleichnamigen Meeresgott und seiner Familie handelt, oder "Nøkkerose", der vom Wassergeist Nöck erzählt und wie dieser seine Opfer in Gewässern tief im Wald mit hübsch anzusehenden Wasserrosen anlockt. Teils behandeln die Texte die für Balladen typischen Beziehungsgeschichten mit – in der Regel – tödlichem Ausgang für mindestens eine Person. So wird in "Kvinnemordaren" ("Der Frauenmörder") ein Mann von seiner Geliebten, nachdem er auf ihrem Schoß eingeschlafen ist, gefesselt und dann, als er aufwacht, mit einem silbernen Dolch erstochen. (Was sich aus dem von Bergtatt verwendeten Textauszug dieser Ballade nicht ergibt, ist der Umstand, daß dieser Mann zuvor bereits mehrere Frauen umgebracht hat.) Die in "Harpa" erzählte Geschichte ist in verschiedenen Versionen wohl in ganz Nordeuropa verbreitet. So ist der Text inhaltlich z.B. nahezu identisch mit dem der finnisch-schwedischen Mittelalterballade "Systrarna", die auf dem Album "Rimfaxe" der finnischen Folkband Gjallarhorn zu finden ist. Zwei Schwestern gehen an einen Fluß, wo sich die jüngere ans Ufer setzt und dann von der älteren ins Wasser gestoßen wird, so daß sie ertrinkt und die ältere dann den Geliebten der jüngeren heiraten kann. Zwei Hirten finden die Leiche der jüngeren Schwester und machen aus einem ihrer Knochen eine Harfe und aus zwei Locken dazu die Saiten. Bei der Hochzeit fängt die Harfe von selbst an zu spielen und erzählt von der bösen Tat der älteren Schwester, woraufhin diese zu Stein erstarrt.

"Harpa" – vor über 30 Jahren auch schon von der norwegischen Folkband Folque vertont – ist neben dem Instrumentalstück "Mølla" auf diesem Album nicht nur der am folkigsten klingende Song (der übrigens gänzlich ohne Schlagzeugbegleitung auskommt), sondern vom Gesang und der Melodie her auch der bewegendste. Selbst wenn man den norwegischen Text nicht versteht, merkt man, daß hier eine sehr traurige Geschichte erzählt wird.

Neben den für eine Rockband typischen Instrumenten wie E-Gitarre, Baßgitarre und Schlagzeug sowie der für eine Folkband nahezu schon obligatorischen Geige, kommen auf "Røtter" auch Querflöte, Drehleier und Gambe zum Einsatz. Gitarrist John Stenersen spielt daneben noch Langeleik (ein traditionelles norwegisches Saiteninstrument) und bei "Når eg døyr" ("Wenn ich sterbe") greift der Bassist zwischendurch auch mal zum Akkordeon. Sehr ungewöhlich für eine Folkrockband erscheint schließlich, daß ein Harmoniumspieler zur festen Bandbesetzung gehört, was dem Gesamtsound zumindest stellenweise eine eigene Note verleiht. Einen Alleinauftritt hat der Harmoniumspieler auf diesem Album mit einem kurzen Instrumentalstück, welches dann in den Song "Bläck" ("Tinte") übergeht. Soweit ich in meinem Konzertbericht etwas von einem an die 70er Jahre erinnernden Orgelsound geschrieben habe, muß ich dies zumindest in Bezug auf das Album revidieren, denn das Harmonium klingt hier doch hörbar anders.

Bei den musikalischen Arrangements ist mir allgemein positiv aufgefallen, daß auch innerhalb der Songs immer wieder für Abwechslung gesorgt wird, was durch die nachfolgenden Beispiele veranschaulicht werden soll. So beginnt etwa "Villemann og Magnhild" nur mit Akustikgitarre und Gesang, nach der zweiten Strophe setzt dann das Schlagzeug ein, in der Mitte des Songs kommt noch die Geige hinzu, bevor ein kurzer Acapellateil folgt und es schließlich bei den letzten drei Strophen durch Einsatz der ganzen Band einschließlich verzerrter E-Gitarre richtig rockig/metallisch wird. Das nachfolgende "Nøkkerose" beginnt mit einem kurzen Akustikgitarren- und Flötenintro, bevor mit dem Gesang das Schlagzeug einsetzt. Nach der ersten Strophe folgt ein kurzes Geigenzwischenspiel. Bei allen nachfolgenden Strophen wird der Gesang nur von Akustikgitarre, Schlagzeug und Geige begleitet, während beim Refrain jeweils die komplette Band einschließlich verzerrter E-Gitarre zu hören ist. Beendet wird der Song dann mit einem Akustikgitarren und Flötenoutro. Bei "Bläck" wird der Gesang während der ersten Strophe und dem ersten Refrain nur von Harmonium und Schlagzeug begleitet, ehe dann in der zweiten Strophe eine cleane Gitarrre hinzukommt und es beim zweiten Refrain dank verzerrter E-Gitarre mal wieder richtig metallisch wird. Der Solopart bei diesem Song wird übrigens von einer Drehleier übernommen – zumindest klingt es danach. Bei der Wiederholung der ersten Strophe kehrt zunächst wieder Ruhe ein, da der Gesang hier nur vom Harmonium begleitet wird, bevor dann bei den beiden abschließenden Wiederholungen des Refrains wieder die ganze Band losrockt.

Als "alten Metalfan" sprechen mich auf diesem Album besonders einige Gitarrensoli an, etwa dasjenige beim Song "Når eg døyr" oder das zwar nicht besonders spektakuläre, aber schöne Tappingsolo beim Song "Attgangar" ("Wiedergänger"), welches mir schon beim Konzert in St. Gallen sofort positiv aufgefallen war, als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, oder das Gitarrensolo beim vorletzten Song "Daudens klør" ("Des Todes Klauen"), welches von Knut Magne Valle (Arcturus) eingespielt wurde und zunächst etwas an Saint Vitus erinnert, bevor es dann richtig virtuos wird. "Daudens klør" ist für mich bislang der Höhepunkt des Albums. Eine ganze Reihe von Songs weisen ja einen hörbaren Metal-Einschlag auf, aber bei diesem Stück handelt es sich nach meinem Empfinden um einen waschechten erstklassigen Doom Metal-Song, der zugleich ein Beleg für die Vielseitigkeit der Band ist. Bei diesem Song gefallen mir insbesondere auch der Geigeneinsatz zu Beginn und der Gesang von Marianne Lia, der sehr gut zur Stimmung paßt und etwa die Entschlossenheit gut rüberbringt, wenn sie singt "Eg rir hæren imot for å hemna mitt vene viv – Mitt blod gjev eg’kje bort utan kamp for mitt liv – Din far ventar meg der, han er rusta og klart til kamp – Vi trekkjer våre sverd, og eg fell mot jord" ("Ich reite dem Heer entgegen, um meine schöne Frau zu rächen – Mein Blut gebe ich nicht hin ohne Kampf um mein Leben – Dein Vater erwartet mich dort, er ist gerüstet und bereit zum Kampf – Wir ziehen unsere Schwerter, und ich stürze zu Boden").

Zur Sängerin, deren Stimme mir sehr gut gefällt, sei gesagt, daß sie insgesamt rockiger und weniger folkig als etwa Gunnhild Sundli, die frühere Sängerin der bereits eingangs zum Vergleich herangezogenen Band Gåte, klingt. Auch ihre Stimmlage dürfte insgesamt etwas tiefer sein.

In völligem Kontrast zum vorletzten Song "Daudens klør" und auch zu den meisten anderen Songs steht das abschließende und bis auf den gelegentlichen lautmalerischen Gesang reine Instrumentalstück "Mølla", welches mit ca. 8 Minuten das mit Abstand längste Stück auf "Røtter" ist. Da nach einem Song wie "Daudens klør" eine Steigerung praktisch nicht mehr möglich ist, hätte man auf "Mølla" vielleicht ganz verzichten sollen. Man kann hierin natürlich auch einen entspannten bzw. entspannenden Ausklang des Albums sehen, doch ist das Stück mit 8 Minuten dafür nach meinem Geschmack zu lang geraten. Hier wäre weniger wohl mehr gewesen. Wem das Stück zu sehr aus dem Rahmen fällt, der kann nach "Daudens klør" natürlich auch einfach die Stoptaste drücken.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß "Røtter" insgesamt ein sehr gutes Debütalbum geworden ist. Da es noch ohne den inzwischen zur Band gestoßenen zweiten festen Gitarristen Rolf-Erik Solstad Karlsen und ohne die nunmehr offenbar ebenfalls zur festen Besetzung gehörende talentierte junge Geigerin Marie Førr-Klåpbakken eingespielt wurde – auf dem Album wurden Geige und einige andere Instrumente noch von Gastmusikern gespielt –, darf man für die Zukunft durchaus noch mit Steigerungen rechnen. Da die Geigerin ebenfalls singen kann – bei einer Liveaufführung von "Harpa" im norwegischen Fernsehen hat sie die zweite Stimme übernommen – und der Bassist über eine Baßstimme verfügt, ergeben sich auch beim Gesang noch verschiedene Kombinatonsmöglichkeiten für künftige Veröffentlichungen.

Auf dem Album gibt es übrigens noch ein kurzes verstecktes Instrumentalstück. Dieses befindet sich vor dem ersten Song.

- Burkhard - 05/09 -