Eine
patagonische Vollmondnacht. Über den fein linierten, unter sich schwärzlich
das unauslotbare Dunkel zusammenziehenden Graten der ruhenden, erdschweren
Gebirgszüge, den glimmenden Sternenhimmel noch überprächtigend,
erklimmt der unterkühlt, leicht unreal leuchtende Erdtrabant langsam
das Firmament. Ohne je aufkeimenden Zweifel zieht er auch in dieser Nacht
seine ihm bestimmte Bahn, dem Gesetz folgend wonach er angetreten. Begleitet
von den ätherischen Schleiern vereinzelter Silberwölkchen.
In der lebensfeindlich wirkenden Eiswüste der Antarktis drängen
sich nach ihrer Wanderung an die Brutstätten hunderte Kaiserpinguine
im grellweißen Nirgendwo. Stoisch harren sie aus, versuchen sich gegenseitig
Schutz und Wärme zu spenden vor den unablässig stürmenden,
frostigen Winden.
Wie ein Bandwurm aus rot glühender Lava wälzt sich der Strom der
Klänge - langsam, zeitlupenhaft, gelegentlich dem völligen Stillstand
nahe – unaufhaltsam dem Tal entgegen, dem Schlund eines Abgrunds, der lauernden
Nichtexistenz möglicherweise, oder dem des geduldigen und gleichmütigen
Ozeans, in dessen Fluten er, bereits merklich abgekühlt, mit einem finalen
phänomenologischen Aufbegehren zischend und dampfend erstarrt und versinkt
Ich fläze breit auf dem Beifahrersitz eines metallic-schwarzen Cadillac Cabrios. Am Steuer irrlichtert ein sichtlich bedröhnter, völlig überdrehter Hunter S. Thompson. Wir fahren gemächlich dahin, gleitend durch die schillernden Prachtmeilen eines nächtlichen Las Vegas aus einem Paralleluniversum. Die farbigen flicker- und flackernden Neonlichter reflektieren auf dem regennassen Asphalt, bilden einen sich von der restlichen, undurchdringlichen Finsternis abhebenden surrealen Tunnel aus irisierendem Licht.
Hyperraumsprung durch die Lücken des Alltäglichen.
Die Anarchie der Sinne.
Der Schatten des amerikanischen Traums.
Die Verhöhnung der fundamentalen Struktur unserer so genannten Realität.
Die scheinbare Wirklichkeit zieht vorüber mit der unspürbaren, berührungslosen
Gewalt eines lautlosen Orkans, die Umgebung beginnt zu zerfließen, die
Zeitempfindung zieht sich zur flutenden Höchstgeschwindigkeit zusammen,
und dehnt sich zugleich bis zur Näherung an die völlige Auflösung
in Bewegungslosigkeit.
Aufgabe der Kontrolle, in der rückhaltlosen Hingabe an das Geschehen des
gegenwärtigen Momentes.
Formlose Struktur.
Keine Ziele.
Kein Streben.
Kein Weg.
Nur Raum.
Klang.
Morpheus breitet seine Arme aus, nimmt die Traumwilligen in sich auf. Liegend, einsinkend in dämpfenden, wolkigen Untergrund treiben sie über den See des Schlafes. Er birgt wundersame Bilder, welche gleich vorzeitlichen Höhlenmalereien aus dem allumfassenden Nichts auftauchen, um sich anschließend in diesem wieder aufzulösen. Lebendig verdichtet für einen Augenblick. Erinnerungen. Imaginationen. Illusionen. Flüchtiges Spiel projiziert auf die Leinwand des Unendlichen, vergängliche Traumblase im unveränderlich gestaltlosen Raum des einen Geistes.
Der Besen fährt lebensmüde über das Becken, während die
Hi-Hat in sparsamer Lethargie dahintröpfelt;
der Kontrabass pulst mit der Intensität und Frequenz eines gemächlich
rotierenden Pulsars;
dezentes Piano definiert die unerträgliche Leichtigkeit der Melancholie;
ein Saxophon sinniert über vergangene Leidenschaften;
gelegentlich blinken Vibraphonanschläge sternenhaft auf;
ein entleibtes Mellotron geistert nordlichtgleich durch die Weite;
eine einsame Trompete durchstreift das Zwielicht;
musikalischer Aggregatzustand und wabernde Präsenz von Trockeneisnebel.
Erde.
Mitternacht.
Der böige Wind pfeift frostig aus Nordost.
Ich vergrabe mich noch ein Stück tiefer in meinen Mantel.
In der betäubenden Stille schimmern fahle Lichter.
Trügerisch real.
Geahnte letzte Stimmen, nahe der äußeren Auflösung im Inneren.
Selten war die Dunkelheit verführerischer.
- Heiko - 11/2007