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EA80 und KLOTZS am 22. Februar 2019 in der Mälzerei in Regensburg

"Mach' doch mal das Licht anders! Ich komme mir ja vor wie im Verhör! Ich gestehe, ich gestehe alles!" Das Problem mit dem Licht konnte behoben werden, obwohl Sänger Ingo von KLOTZS meinte, sie sollten ja nicht gesehen, sondern gehört werden. KLOTZS waren mir nur von einer Split-Single mit EA80, der zweiten Band dieses Abends bekannt, eine extreme Bildungslücke, wie sich herausstellte. KLOTZS treten seit einigen Jahren nur noch als Duo mit Schlagzeug und Baritongitarre (und einem Arsenal mit Effektgeräten vor den Füßen) auf und produzieren damit noisigen, minimalistischen Post-Punk, wenn man dafür ein Label vergeben will. Das machte viel Spaß, denn Ingo hat etwas von Wolfgang Niedecken mit Klaus-Kinski-Wahnsinn, nur eben in menschenfreundlich, etwa wenn er das Publikum darauf hinwies, dass es deutlich hörbar quatschte, während die Band auf Bühne tobte. "… und wenn ihr heute Abend nach Hause geht, werdet ihr heiser sein, vom vielen REDEN!" Ingo schien während der Stücke so unter Spannung zu stehen, das man glaubte er würde von der Gitarre gespielt und nicht umgekehrt. Irgendwann während eines Songs, der "Mahlstrom" hieß, war er weg, verschwunden auf den Boden vor der Bühne, wo er sich tiefer nach unten sang, ein sehr eindringlicher Moment. EA80 hätten keine bessere Vorband haben können, als KLOTZS nach einer knappen Stunde den Sturm durch ihr Werk beendeten.

EA80 kenne ich etwa seit Ende der 90er Jahre, zusammen mit Stefan klaubte ich mir das bis dahin erschienene Schaffen der Band zusammen, verfolgte ihren Weg aus dem Augenwinkel und schrieb auch mal hier was zu ihnen. Sie live zu sehen, hatte ich bisher nie geschafft, denn sie verirren sich nicht oft nach Bayern, und auch von diesem Konzert hatte ich eher zufällig gelesen.

Die Club-Bühne der Mälze war fast voll an diesem Abend, man sah ein paar der erwarteten Gesichter, aber auch welche, die man hier nicht unbedingt vermutet hätte (war das im Halbdunkel mein früherer, sich mittlerweile im Ruhestand befindlicher Orthopäde?), aber man war sich einig, dass Großes zu erwarten war. Schließlich gab es EA80 nun seit bald 40 Jahren, sie waren Legende, obwohl oder weil ihre Alben, dem konsequenten DIY-Gedanken verpflichtet, unter dem Radar einer größeren Öffentlichkeit erscheinen.
Ich kann nicht sagen, welche Lieder genau gespielt wurden, ich konnte mir die kryptischen Titel noch nie richtig merken, doch ich erkannte viele der Stücke wieder, die mir im Lauf der Jahre so viel bedeutet hatten und deren Texte immer wieder neue Interpretationen zuließen. Sie nun in unmittelbarer Nähe der Band inmitten einer teils umherhüpfenden, doch meist eher still vor sich hin wippenden Menge zu erleben, hatte eine sehr transzendente Qualität, in dem einem Moment, wenn das Bewusstsein nur noch aus Sound besteht (jetzt fang ich schon an, wie Heiko zu schreiben…).

Musikalisch kreisten EA80 um ein bereits früh entwickeltes Zentrum, das sich vermutlich nicht deshalb bis heute erhalten hat, weil sie nicht besser spielen könnten oder zu bequem wären, auch andere Stilrichtungen in ihren Sound zu integrieren. Vielleicht verfahren sie nach einem Muster, wie es Fassbinder einmal beschrieben hat, nämlich dass viele Künstler für sich ein Thema gefunden hätten (außer sie liefern als "Handwerker" reine Auftragsarbeiten ab), welches sie dann variierten.
Trotz des fortgeschrittenen Alters der Bandmitglieder, die mittlerweile in den späten 50ern sein dürften, nur der Bassist schien mir heute neu und etwas jünger, klangen die Stücke kraftvoll und als wären sie erst vor kurzem im Proberaum entstanden, was daran liegen mag, dass EA80 nicht oft proben und noch weniger auftreten, wohldosiert und wenn sie Lust darauf haben. EA80 sind sympathische, ältere Männer, die vor und nach der brachialen melancholischen Wucht, die sie auf der Bühne entwickeln, ruhig und bedacht wirken. Dabei hatten EA80 auch in frühen Jahren bereits eine Art "innerer Erwachsenheit" gehabt, als seien sie musikalisch damals schon älter gewesen als es dem tatsächlichen Alter der Personen entsprach. Dadurch verlief das "Erwachsenwerden" nicht so deutlich hörbar wie bei den Hosen oder Ärzten (um im weiten Feld "Punk" zu bleiben), die zum einen viel Spaß und Klamauk verbreitet haben, bevor die Inhalte sich dann veränderten bzw. erweiterten. EA80 waren außerdem niemals so nach außen präsent: keine Homestorys in der Bravo, keine Backstage-Interviews mit launigen Einlagen, keine Auftritte in "Der Formel-Eins-Film" oder "Richy Guitar" wie die erwähnten Kollegen aus Düsseldorf bzw. Berlin - von den Einnahmen aus den Plattenverkäufen ganz zu schweigen.

Und manchmal hatte man die Ahnung, dass hier auch live etwas passiert, was zu machen die Band strikt ablehnen würde, nämlich Kunst, oder es zumindest nicht so bezeichnen würde, um nicht ein Publikum anzulocken, welches sie schließlich nicht verstehen würde, ein Publikum, für das Kunst auch als solche etikettiert sein musste. EA80 scheinen in ihrem selbst gewähltem Rahmen eine introvertiertere Form der Kunst zu praktizieren, in der es zwar nicht hermetisch abgeriegelt zugeht, da die Musik ja durchaus auch als Punkrock ganz normal "konsumierbar" ist, und auch das ganze Live-Setting im Wesentlichen den Erwartungen an ein Rock-Konzert entspricht, aber keine extrovertierte Präsentation stattfindet, die gängige Promotionarbeit (Interviews etc.) oder gar offensive Teilnahme an gesellschaftlichen Diskursen einschließt, wie es beispielsweise bei den Hosen der Fall ist, die sich ja ganz bewusst auch z. B. politisch positionieren.

Kunstperformance oder nicht - nach gut drei Stunden wurde es wieder hell und man ging hinaus in die kalte Nacht in dem Gefühl irgendwie geläutert worden zu sein.

- Martin (war dabei) und Stefan (hatte Ideen) - 03/2019