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KARI BREMNES – Løsrivelse (1993)

Inzwischen ist erfreulicherweise auch dieses vierte Soloalbum von Kari Bremnes offiziell in Deutschland über Indigo veröffentlicht worden.

Eine besondere Platte in mehrfacher Hinsicht. Ungewöhnlich ist bereits das Konzept: Bei den 15 Stücken handelt es sich praktisch um Vertonungen von Texten (und Bildern) des norwegischen Malers Edvard Munch. Bezogen auf die Texte findet man im Textheft vorne folgende Anmerkung von Munch: "Die Aufzeichnungen, die ich gemacht habe, sind kein Tagebuch im allge-meinen Sinne, zum Teil ist es ein längerer Abschnitt von meinen seelischen Erlebnissen – zum Teil sind es Gedichte in Prosa." Zu jedem der 15 Texte ist auch ein Bild von Munch abgedruckt, das meistens sogar denselben Titel trägt wie der Text, zumindest aber zum Text paßt, wobei ich nicht weiß, ob zuerst die Bilder und dann die Texte entstanden sind oder umgekehrt und ob die Zuordnung von Bildern und Texten von Munch bereits selbst vorgenommen worden ist.

In jedem Fall bilden auf dieser Platte die Musik, die nicht von Kari Bremnes, sondern vom Musiker Ketil Bjørnstad stammt, sowie die Bilder und Texte nach meinem Eindruck eine perfekte Einheit! Besonders Karis gesangliche Interpretaion ist absoult überzeugend. Diese Frau hat wirklich eine beeindruckende variable und auch kräftige Stimme, mit der es ihr gelingt, die Stimmung der Texte und Bilder auf den Punkt zu treffen!

Die Musik entzieht sich meiner Ansicht nach jeglicher Kategorisierung und ist recht anspruchsvoll. Konzentriertes Zuhören ist hier unbedingt erforderlich, zumal es auch keinerlei Refrains gibt, sondern allenfalls schon mal einzelne Textpassagen einmal wiederholt werden. Gleichwohl würde ich die Musik nach inzwischen 8 Durchläufen entgegen meinem allerersten Eindruck nicht als unzugänglich bezeichnen. Nach mehrmaligem Zuhören bleibt durchaus schon die eine oder andere Passage hängen. Vielleicht lag es auch an der mit 65 Minuten relativ langen Spielzeit, daß ich mich nach dem ersten Anhören zunächst ein bißchen "erschlagen" gefühlt habe.

Nun mal zu den einzelnen Songs selbst: "Månens kraft" ("Die Kraft des Mondes") hat über weite Strecken einen Reggae-Rhythmus, endet aber mit einem Gitarrensolo, das stilistisch so mancher (Hard) Rock- oder gar Metal-Band gut zu Gesicht stehen würde! (Apropos Gitarre: Der Gitarrist auf diesem Album heißt Marius Müller, was einen ja aufgrund der Namensverwandtschaft mit einem bekannten deutschen Musiker schon etwas ins Grübeln bringen kann, doch erscheint es mir recht unwahrscheinlich, daß hier tatsächlich Herr Westernhagen zu hören ist.) Der zweite Song "Dine øyne" ("Deine Augen") klingt sanft-verträumt, während "Søvngjengersken" ("Der Schlafwandler" bzw. hier wohl eher "Die Schlafwandlerin") mit einem recht flotten, etwas "unruhigen" Rhythmus unterlegt ist (passend zur inneren Unruhe der Schlafwandlerin). "Syk pike" ("Krankes Mädchen") verbreitet passend zum Text, in dem es um ein Mädchen geht, das im Sterben liegt, eine ruhige, melancholisch-traurige Stimmung. Wohl der Song, der einen auf diesem Album am meisten berührt. Es folgt "Skrik" ("Schrei"; das gleichnamige Gemälde dürfte wohl das bekannteste von Munch sein), das relativ ruhig anfängt und eine unterschwellig leicht unheimlich-bedrohliche Stimmung verbreitet. Dieser Song steigert sich dann bis zu einem gelungenen Gitarrensolo im Mittelteil, nach dem es dann zunächst wieder ruhiger wird. Zu Beginn des letzten Drittels ist dann im Hintergrund ein "Mönchschor", der "Kyrie eleison" singt, zu hören, und am Ende wird der Titel noch mal allein von der Gitarre akustisch umgesetzt. Nach dem wieder sehr ruhigen, bedächtig-besinnlichen "Madonna" folgt mit "Tiltrekning" ("Anziehung") ein Stück mit einem leicht swingenden Rhythmus! Beim sehr ruhigen "Aske" ("Asche") gibt es im Mittelteil ein sehr schönes gefühlvolles Gitarrensolo und gegen Ende, wo das Tempo noch kurz etwas angezogen wird, noch ein weiteres härteres. "Møte i verdensrommet" ("Begegnung im Weltraum") ist wohl der atmosphärischste Song auf diesem Album. Die Musik hat etwas langsam Schwebendes, wozu man sich gut den Weltraum mit seiner Schwerelosigkeit und unendlichen Tiefe vorstellen kann. "Scene i skogen" ("Szene im Wald") beginnt ruhig, wird lebhafter und hört dann recht plötzlich ruhig auf. Nach dem besinnlichen "To mennesker" ("Zwei Menschen") fällt beim folgenden "Sjalusi" ("Eifersucht") besonders Karis variabler, nuancenreicher Gesang auf. "Løsrivelse" ("Losreißung") kann man als ruhiges Bluesstück bezeichnen, in dem es, wie der Titel schon erahnen läßt, um die schmerzhafte Trennung von zwei sich liebenden Menschen geht. Beim vorletzten Song "Melankoli" ist die Musik genau wie es der Titel andeutet und unterschwellig auch wieder etwas geheimnisvoll-unheimlich. Besonders hervorzuheben sind hier wieder die schönen Gitarrensoli. "Angst" ist wiederum sehr ruhig ausgefallen. Auffallend ist hier der Mittelteil, bei dem es sich zeitweise so anhört, als würden zwei verschiedene Songs gleichzeitig gespielt.

Insgesamt ist festzuhalten, daß die Arrangements sehr originell und abwechslungsreich sind. Neben der Gitarre kommen noch Synthesizer, Flügel, Bass, Drums und diverse Percussioninstrumente zum Einsatz. Abgesehen von den besonders erwähnten Gitarrensoli steht allerdings eindeutig Karis ausdrucksstarke Stimme im Vordergrund. Rundum ein wirklich schönes Album, für das man sich aber schon Zeit nehmen muß. Für True Metal-Fanatiker, BRAVO-Fetenhits-Fans und Techno-Freaks also sicherlich nicht geeignet!

Wem es zu mühselig ist, die norwegischen Texte selbst zu übersetzen, der kann den ein oder anderen Text bzw. Teile davon eventuell auch in Büchern über Edvard Munch und seine Werke finden. Ob seine Prosagedichte irgendwo vollständig in deutscher Übersetzung erschienen sind, weiß ich nicht. Wer sich auch mit unvollkommenen, teilweise etwas holprigen Übersetzungen zufriedengibt, der mag sich auch an den Verfasser dieser Zeilen wenden.

- Burkhard - 11/99

[Eine Übersetzung der Texte - ohne Anspruch auf völlige Korrektheit - ist bei Burkhard erhältlich. Siehe Impressum]