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KARI BREMNES / RIKARD WOLFF – Desemberbarn (2001)

bremnes, wolff - desemberbarnNormalerweise stehe ich Weihnachtsplatten ja äußerst skeptisch gegenüber, weil das, was in der Adventszeit in Kaufhäusern und in Supermärkten regelrecht verramscht wird, doch ziemlich schmalztriefender Kitsch für die breiten (anspruchslosen) Massen ist. Daß es auch anders geht, hatten bereits Ende 2000 die Schweden Triakel mit "Vintervisor" bewiesen. Bei aller Wertschätzung für Emma Härdelin muß ich sagen, daß mir das ca. 1 Jahr später beim feinen norwegischen Label Kirkelig Kulturverksted veröffentlichte und in Deutschland über Indigo vertriebene Album "Desemberbarn" ("Dezemberkind") noch besser gefällt. Was die norwegische Sängerin Kari Bremnes und ihr (wohl aus Schweden stammender) Kollege Rikard Wolff hier abgeliefert haben, kann ich nur als perfekt bezeichnen.

Bei den insgesamt 16 Stücken handelt es sich überwiegend um traditionelle Weihnachts- bzw. Winterlieder aus Schweden (gesungen von Rikard Wolff) und Norwegen (gesungen von Kari Bremnes). Einige Stücke werden von Kari und Rikard auch abwechselnd bzw. im Duett gesungen, wie etwa das sehr bedächtig vorgetragene "Staffansvisa". Traumhaft schön ist der zweistimmig gesungene Refrain "Afton nalkas! Slumra in!" in "Marias vaggsång" ("Mariä Wiegenlied"), welches von Max Reger stammt.

Bei zwei im Original aus dem Englischen stammenden Songs, nämlich "Veien som går inn te Betlehem" ("Little road to Betlehem") und "I den kalde vinter" ("In the bleak mid winter"), hat Kari den Text in ihren nordnorwegischen Dialekt übersetzt, was sehr schön klingt. Während das getragene "I den kalde vinter" sehr schwermütig klingt, so daß man die Kälte förmlich spürt ("Im kalten Winter wurde die Erde wie Eisen. Das Wasser wurde wie Stein. Und der Wind weinte in den Bäumen. Und es schneite, schneite herab, unendlicher Schnee..."), dürfte "Veien som går inn te Betlehem" der musikalisch munterste Song auf diesem Album sein, der aufgrund des sehr schönen Geigeneinsatzes einen leicht irischen Touch hat.

Gut gelungen ist der direkte Übergang der von Kari gesungenen norwegischen Volksweise "Nu flinteskudd og klokkeklang (forkynder jul)" ("Nun (verkünden) Flintenschuß und Glockenklang (Weihnachten)") in die von Rikard Wolff gesungene "Tomtarnas julnatt" (in etwa: "Die Weihnachtsnacht der Wichtel"), worin das mitternächtliche Treiben der Wichtel in der Weihnachtsnacht beschrieben wird. Man sieht sie förmlich vor dem geistigen Auge vor sich, wie sie leise ("tipp, tapp, tipp, tapp...") durchs Haus schleichen, während alle Menschen schlafen.

Das vermutlich bekannteste Stück auf diesem Album, zu dem die Musik von Johann Sebastian Bach stammt, dürfte wohl "Ave Maria" sein. Dieses Lied wird zweistimmig gesungen, wobei allerdings Karis Stimme nur lautmalerisch, jedoch sehr effektvoll, im Hintergrund zum Einsatz kommt.

Zwei meiner Lieblingsstücke auf diesem Album, und zwar sowohl was die Texte als auch das musikalische Arrangement angeht, sind die beiden Eigenkompositionen von Kari Bremnes, nämlich "Finn veien engel" und das Titelstück "Desemberbarn". Der Text von "Desemberbarn" könnte von Kindheitserinnerungen geprägt sein und lautet übersetzt (ohne Gewähr) etwa wie folgt: "Ich stehe (da) und schaue nach Licht, ich stehe am Fenster am Morgen, ich erinnere mich, daß meine Mutter auch so (da) stand und sagte, ihr scheine, der Dezember war so schwer. – Mir scheint, der Dezember war leicht, mir scheint, der Dezember war eine Lampe, ich ging im Schutz eines goldenen Schirmes und freute mich wahnsinnig auf Weihnachten. – Dezemberkind, ich suchte nach dir. Bist du entzückt vom Frühling wie die anderen? Wirst du nicht jubeln, wenn es schneit? Soll ich nicht mehr nach dir rufen? – Es steht ein Stern im Norden, das kann unmöglich derselbe sein, den wir über dem Haus hatten, als ich mich wahnsinnig auf Weihnachten freute." Bei diesem Lied spürt man förmlich kalte Winterluft und kann sich vorstellen, wie ein kleines Mädchen morgens aus dem Fenster auf eine dunkle, stille verschneite Landschaft schaut.

Mit "Finn veien engel" zeigt Kari, daß sie nicht nur musikalisch, sondern auch textlich meilenweit von allen gängigen Klischees entfernt ist. Der Text lautet übersetzt (wiederum ohne Gewähr) in etwa wie folgt: "Finde den Weg, Engel. Du hast ihn zuvor gefunden. Ich werde hier Musik spielen. Ich werde eine Tür öffnen. Ich werde geduldig sein. Ich werde Lichter hinausstellen, aber ich glaube, du wirst (sollst?) bald kommen. – Finde den Weg, Engel. Du kannst Schreien folgen. Du kannst dem Rauch folgen und Überresten von Leichen. Du kannst dem Weinen folgen. Du kannst Gebeten folgen. Aber ich glaube, du wirst (sollst?) bald kommen. – Finde den Weg, Engel. Hier ist niemand zum Fragen. Hier ist niemand, der weiß, ob wir wissen, was wir tun. Aber wir sind es, die es tun, und es sind so viele, die sterben. Finde den Weg, Engel. Du hast ihn zuvor gefunden."

Neben diesen Songs ist schließlich auch noch das im Original vom französischen Chansonsänger Georges Moustaki stammende "Josef" besonders hervorzuheben, welches hier auf Schwedisch von Rikard Wolff wirklich bewegend vorgetragen wird. Die Melancholie in diesem Song ist einfach traumhaft schön, insbesondere wenn dann noch kurz, aber sehr effektiv, Karis Gesang im Hintergrund einsetzt. (Hm, vielleicht sollte ich mir mal eine Platte mit der Originalversion besorgen, um zu vergleichen, welche besser ist.)

Karis Stimme ist ja ohnehin über jeden Zweifel erhaben, aber Rikard Wolff hat mich wirklich positiv überrascht. Die Art und Weise, wie er seine eher dunkle Stimme hier überwiegend sehr sanft und gefühlvoll einsetzt, ist schon beeindruckend. Der Sound ist mal wieder allererste Kajüte und die Arrangements der Songs könnten nicht besser sein.

Abschließend ist festzuhalten: Wer Weihnachten gerne mal eine zur Stimmung der Jahreszeit perfekt passende Platte hören möchte, die sich wohltuend von den Gehörkaries auslösenden Kinderchören oder Operntenören abhebt, dem sei "Desemberbarn" wärmstens ans Herz (bzw. Ohr) gelegt.

- Burkhard - 12/01