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NEW MODEL ARMY im MISCHWERK in Regensburg am 12. März 2017 - "Winter" (2016) - und "Between Dog And Wolf - The New Model Army Story"

In jedem neuen NEW MODEL ARMY-Album seit etwa 1993 wollen die Fans endlich wieder eine Rückbesinnung auf alte Stärken sehen, man lobt das Songwriting, von einer "Reifung" spricht man, aber eigentlich gesteht man leise, dass "Carnival" (2005), "Today Is A Good Day" (2009) und "High" (2007) Alben sind, die man als Fan der Vollständigkeit halber im Regal stehen hat - NMA-Fans haben noch CD-Regale, da bin ich mir sicher, und nicht nur Ordner auf der Festplatte oder ein Streaming-Konto. Zwei gute Songs vielleicht sind es, die von jedem Album hängengeblieben sind.

"Between Dog And Wolf" war dann doch eine Überraschung, es waren wieder kleine Hymnen dabei, wenngleich für meinen Geschmack zu laut abgemischt und vom Gitarren-Sound her möglicherweise auf ein Publikum zielend, welches der Band auch in Wacken zuhören würde. Aber dies sind die Mäkeleien, die das Alter so mit sich bringt. Trotzdem hatte ich im Spätsommer 2016 keine hohen Erwartungen, als "Winter" rauskam. Zugeben, es brauchte die oft zitierten zwei, drei Durchläufe, im Vergleich zu den erwähnten Werken lief das Album danach aber noch öfter, immer wieder. NMA können sie noch, die Mischung aus Wut und Melancholie, die mich zum ersten Mal aufhorchen ließ, als ich ANACRUSIS' Coverversion von "I Love The World" hörte.
Und wenn NMA dann schon mal in der Stadt spielen, das erste Mal seit 37 Jahren, wie Justin Sullivan betonte, was nicht ganz stimmte, denn er war schon mal solo hier und vor ein paar Jahren mit Dean White, dann geh' ich natürlich hin, beziehungsweise steige auf's Fahrrad.

Ins Mischwerk passen etwa 400 Leute, glücklicherweise waren die nicht alle da, doch genug, um Stimmung aufkommen zu lassen. Von früheren Konzerten mit NMA hatte ich das Publikum durchmischter in Erinnerung, heute war man auf einer Ü30-, wenn nicht gar Ü40-Veranstaltung, bei der jedoch auch jüngeres Volk geduldet wurde.
Nach der Vorband begannen NMA mit "R'n'R" vom 2000er Album "Eight", welches ich, um meine flauen Gefühle eingangs etwas zu relativieren, uneingeschränkt empfehlen kann. Die exakte Reihenfolge der Playlist habe ich nicht abgespeichert, da es sich immer noch um die Tour zum aktuellen Album handelte, waren natürlich einige Songs aus "Winter" dabei: der Titelsong, "Burn The Castle", "Part The Waters", "Born Feral", "Devil" und "Eyes Get Used To The Darkness". Das kam live sehr gut, wenn auch Justin Sullivan manchmal gegen die Instrumente seiner Mitmusiker anschreien musste, so kam es mir vor. Gleiches Schicksal befürchtete ich anfangs für die Geigerin Shir-Ran Yinon, die NMA auf dieser Tour als Gastmusikerin begleitet. Sie betrat die Bühne, begann zu spielen, schüttelte ihre lange Haare durch die Luft, aber man hörte wenig von ihr. Sollte hier eine durchaus talentierte Musikerin, was mir ein Blick auf ihre Homepage vor dem Konzert verraten hatte, einem live veranstaltetem Loudness-War geopfert werden? Doch es wurde im Lauf des Konzerts besser, viel besser, um es vorwegzunehmen, vielleicht hatte es der Mann am Mischpult auch bemerkt.

NMA - Berlin, 04.10.2016 - youtube Screenshot

Auffällig war, dass die Band nichts von den oben genannten drei Alben spielte, dafür aber schon sehr früh "The Charge" von "Thunder And Consolation" (1989) und nachfolgend "Here Comes The War" (1993), "No Pain" und "Wonderful Way To Go" (1998) und "51st State" - überraschenderweise ohne eine kommentierende Ansage - zusammen mit "Poison Street" und "Higher Wall" aus der Mitte der 80er Jahre. Letzteres setzte Justin Sullivan in Bezug zu "Die Trying" vom aktuellen Album, denn für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten hätte sich in den vergangenen 30 Jahren nicht viel geändert.
Gegen Ende des Konzerts betrat Shir-Ran Yinon allein die Bühne und setzte zu einem Song an, der geschrieben, wurde, als sie möglicherweise noch gar nicht geboren war. Alle Anwesenden erkannten ihn sofort und man glaubte die Elektrizität zu spüren, die allen die Haare leicht aufstellte. Justin Sullivan folgte nach und stimmte mit E-Moll, G, H-moll, D "Vagabonds" an. Als die Schlagzeuger einsetzen, begannen die vorderen Reihen zu hüpfen, und etwaige noch bestehende Altersunterschiede im Publikum waren vergessen - "We are old, we young, we are in this together".
Justin Sullivan kommuniziert bei seinen Konzerten gern mit dem Publikum, wobei durchschien, dass er sich in Regensburg in der tiefen Provinz wähnte, im Hinterland von Bayern. Dazu passend gab es zum Abschluss "Green And Grey", welches alle Beteiligten glücklich in die kalte Nacht entließ.

Am Merchandise-Stand entdeckte ich eine DVD mit der kürzlich erschienenen und 2014 und 2015 schon auf Film-Festivals gezeigten Doku "Between Dog And Wolf - The New Model Army Story". Ich bin nicht mehr so auf dem Laufenden, was Neuheiten anbelangt, darum hatte ich davon noch nichts gehört und besorgte mir die DVD ein paar Tage später.
Die Doku entstand in Zusammenarbeit mit der Band im Vorfeld des "Between Dog And Wolf"-Albums und zeichnet den Weg von NMA von der Entstehung in den frühen 80er Jahren bis heute nach. Ehemalige und aktuelle Bandmitglieder kommen zu Wort, und es gibt einige, zum Teil überraschend gute Konzertmitschnitte aus den Anfangstagen. Justin Sullivan spricht offen über die oft konfliktreiche kreative Zusammenarbeit mit dem 2004 verstorbenen Rob Heaton (titelgebend für das "Strange Brotherhood"-Album), ebenso erfährt man mehr über die Rolle von Justins "best friend" Joolz, die in und außerhalb der Band nie unumstritten war ("die Yoko Ono von New Model Army"), deren Wirkung, so erfährt man, aber weit über das Zeichnen der Albumcovers hinausgeht.
Hätten NMA in den 80ern zwei, drei große Hits gehabt, wie sie von den Plattenfirmen erwartet wurden, wären sie nach wenigen Jahren in der Versenkung verschwunden, so eine These, die in der Doku aufgestellt wird und die mir nachvollziehbar erscheint. So erspielte man sich durch intensives Touren auch in entlegenere Teile von Europa eine treue Fangemeinde, der "family", der es egal war, ob die Band in der Mainstream-Musik-Presse präsent war oder nicht. Gerade zu Deutschland hat die Band ein besonderes Verhältnis, das Justin Sullivan so erklärt: "Der deutsche Charakter ist einerseits sehr direkt, die Sprache ist sehr ehrlich, direkt. Andrerseits sind die Deutschen sehr romantisch und möchten Dichter sein und sind im Wald verloren. Und dieser Widerspruch ist ein bisschen, was wir machen. New Model Army haben diesen direkten Punkt - in your face. Und gleichzeitig eine starken Sinn für Romantik. Somit glaube ich, das spricht die Deutschen an."
Kann und sollte man sich als alter oder neuer Fan auf jeden Fall kaufen.
Und jetzt hör' ich doch nochmal etwas in die Werke aus dem 2000er Jahren rein…

- Martin - 04/2017