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OSLO KAMMERKOR – Bergtatt ('99)

Gehen Sie in den nächsten Plattenladen, begeben Sie sich direkt dorthin...und stellen Sie enttäuscht fest, daß diese Platte dort nicht zu bekommen ist! Was tun? Nun, zum Glück gibt es ja den ars!-Versand in Hamburg, der einem direkten Zugang zu der musikalischen Schatzkammer aus Norwegen namens Kirkelig Kulturverksted gewährt!

Mal abgesehen von den Alben der Reihe "Le Mystère Des Voix Bulgares" bzw. The Bulgarian Voices "Angelite" (wie der Frauenchor nun heißt) habe ich mich bislang nicht besonders für Chormusik interessiert und von typischer klassischer Chormusik werde ich mich wohl auch weiterhin nicht besonders angezogen fühlen, aber von dieser 1999 erschienenen Platte mit dem Titel "Bergtatt" bin ich ganz selbiges, nämlich "entzückt" bzw. "verzaubert"!

Bei den insgesamt 13 Stücken auf diesem Album handelt es sich durchweg um traditionelle Volksweisen, die aber wohl alle neu arrangiert worden sind. Sowohl von der Länge her, die zwischen 33 Sekunden und 7 Minuten liegt, als auch hinsichtlich der Stimmung sind die Songs sehr unterschiedlich ausgefallen. Dabei kann man eine Grobunterteilung in zwei Kategorien vornehmen, nämlich in die Stücke mit reinem Chorgesang und die mit zusätzlicher instrumentaler (Percussion-) Begleitung, wobei letztere meist lebhafter sind. Für die Percussion ist hier übrigens Terje Isungset zuständig, der auch bei der norwegischen Band UTLA (von der es im Januar/Februar 2000 mal einen recht hörenswerten Livemitschnitt auf WDR 5 zu hören gab) und bei der schwedischen Band GROUPA mitwirkt. Auffallend beim Gesang auf dieser Platte ist, daß er – wie es auch beim bulgarischen Frauenchor oft der Fall ist – häufig wie ein Instrument als Lautuntermalung eingesetzt wird.

Gleich beim ersten Song "Te´ Jondalen og fri", der mit Maultrommelspiel beginnt, geht es richtig fröhlich zur Sache. Der von der Solistin bei diesem Stück gesungene Text ist leider nicht ab-gedruckt, sondern nur der vom Chor gesungene Refrain, der übersetzt etwa lautet: "Nun will ich auf nach Jondalen und werben, den Schlitten rausholen (??? – keine Ahnung, was raumåla wirklich heißt) und mich hinaufsetzen, mein Mädchen ist viel vornehmer als deines".

Das nachfolgende "Folkestadvisa" ist sehr besinnlich ausgefallen, während das allein von den 12 männlichen Mitgliedern des 29köpfigen Chores vorgetragene recht kurze "Gaute Navarsgard" wieder sehr fröhlich klingt.

Das ruhige "Mine kåte ungdomsdågå" ("Meine kurzen Jugendtage") weiß durch sehr schönen mehrstimmigen Gesang zu gefallen und wird mit einigen Percussion-Einsprengseln verziert. Inhaltlich sinniert zunächst ein Mann darüber, wie großartig es doch sein könnte, ein Mädchen zu bekommen, dem er vertrauen könnte, bevor dann eine Frau ihre Geschlechtsgenossinnen warnt: "Sie reden davon zu heiraten, aber oh!, es ist nicht gut, nach einem Mann in einer so großen Menge zu suchen. Ein tüchtiger und vornehmer und lieber, der ist schwierig zu bekommen, und sollte er ein fauler sein, dann gäbe es kein Gegenmittel. Wenn ich meine Meinung sagen soll, dann glaube ich nun, daß es gewiß ist, das es viel besser wäre, nie zu heiraten...".

Nach dem "Telespringar" (ein Springar ist ein norwegisches Tanzstück) beginnt "Runarvisa" u.a. mit klingenden Steinen und dezentem, fast schwebenden Frauengesang (der mich – wie auch an einigen anderen Stellen auf diesem Album - an den bulgarischen Frauenchor "Angelite" erinnert), über dem dann eine männliche Solostimme einsetzt – und zwar die des Produzenten Sondre Bratland (der auch als einer von 6 Solisten auf dem hörenswerten Album "The Man From God Knows Where" von Tom Russell mitgewirkt hat). Nach einem interessanten Percussion-Mittelteil kommt es plötzlich zu einer Art akustischer Eruption mit lautem Chorgesang und viel Gerassel, bevor der Song dann wieder mit der männlichen Solostimme über dem fast schwebenden Frauengesang, der ganz behutsam ausklingt, zu Ende geht.

Bei dem teils kanonartig vorgetragenen "Uventa brudlaupssjau" ("Unerwarteter Hochzeitsradau") geht es, wie man schon aufgrund des Titels erahnen kann, wieder recht munter zu.

Das anschließende "Gorrlausen" ist nicht nur das längste, sondern mit Sicherheit auch das ausgefallenste Stück auf diesem Album. Es geht los mit einigen leisen "Geräuschen", Kieksern und Lauten, die vielleicht an Tiere oder Waldgeister erinnern sollen. Dann setzen nacheinander Maultrommel, Schlagzeug und lautmalender Chorgesang (Text gibt es bei diesem Song nicht) ein und erzeugen mit einem gleichbleibenden Rhythmus, zu dem man sich auch gut einen Indianertanz vorstellen könnte, bei langsam an- und dann wieder abschwellender Lautstärke eine fast hypnotische, tranceartige Stimmung.

Nach den kurzen "Dan fagraste viso pao jordæ" ("Das schönste Lied auf Erden") und "Eg elskar stolen" ("Ich liebe den Stuhl (auf dem du gesessen hast)") folgt mit "Gjendines bådnlåt" ein wunderschönes Schlaflied mit wieder teils kanonartigem Gesang, wobei der eigentliche Text größtenteils von einer Solistin vorgetragen wird. Der Text lautet übersetzt in etwa: "Das Kind wird in die Wiege gelegt, manchmal weint es und manchmal lacht es. Schlafe nun, schlafe nun, in Jesu Namen, Jesus beschütze das Kind. Meine Mutter nahm mich auf ihren Schoß, tanzte mit mir vor und zurück, tanzte so, mit dem Kleinen, tanzte so, so wird das Kind tanzen."

Bei dem mit wunderschönen Gesangsharmonien, die einem schon den einen oder anderen kleinen Schauer über den Rücken jagen können, versehenen "Ned i vester soli glader" ("Nieder im Westen die Sonne sinkt") handelt es sich wohl um einen Abendpsalm, dessen Text in etwa wie folgt übersetzt werden kann: "Nieder im Westen die Sonne sinkt, danke für den Tag, Gott und Vater, gib uns jetzt Geborgenheit in der Nacht, danke für Speise und danke für Kleidung, danke für Arbeitskraft und Freude, gib uns Herzensfrieden und Ruhe. Gott und Vater, laß uns schlafen unter der Engel Wacht in der Stube, sei du unser Schutz in der Nacht, wenn dann die letzte Sonne untergeht, hebe uns empor in deine Säle, führe uns über die Sternenbrücke."

Mit "Halling fra Senja" (ein Halling ist ebenfalls ein norwegisches Tanzstück) klingt dieses Album schließlich ebenso lebhaft und munter aus, wie es begonnen hat.

Meine persönlichen Favoriten sind die drei letztgenannten Stücke sowie "Te´ Jondalen og fri", "Runarvisa" und "Gorrlausen".

Die Songs würde ich auch gerne mal live hören, aber dazu müßte ich dann wohl nach Norwegen auswandern, denn daß der Oslo Kammerkor irgendwann mal hier in NRW mit diesen Songs zu hören sein wird, erscheint mir sehr unwahrscheinlich!

Fazit: Geil!

P.S.: Ein Sprach- bzw. Dialektforscher hätte sicher seine helle Freude an den Texten!

- Burkhard - 05/00