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PINK FLOYD - Atom Heart Mother

"Nicht für eine Millionen Pfund würde ich diesen Schrott nochmal spielen wollen...", äußerte Pink Floyd Bassist Roger Waters 1984 in einem Interview mit Radio BBC 1 über das 1970er Werk "Atom Heart Mother". Schade, ist es doch eines meiner Pink Floyd Lieblingswerke. Schon (fast) alleine des unglaublichen Artworks wegen, ein Foto einer beliebigen Kuh auf irgendeiner Weide in England... grandios!

Die Entstehung des Albums war eine regelrechte Tour de Force. Pink Floyd, gehetzt durch ihr Management und EMI Records, waren ständig auf Tournee oder im Aufnahmestudio. Die Band war Anfang 1970 dementsprechend mürbe.

Trotzdem sollte das nächste Album ein ehrgeiziges Werk werden. Die Band hatte dazu eine Menge verschiedene musikalische Ideen erarbeitet, welche zu einem Ganzen zusammengesetzt werden mussten. Manchmal gab es lediglich ein paar Akkorde oder einige lose Gesangsstimmen. Das ganze nannten sie "The Amazing Pudding".

Die Band entschied sich, jemanden externen hinzuzunehmen. Erstens um kreativen Input von außerhalb der Band zu beanspruchen und zweitens um jemanden an Bord zu haben, der Wissen über Arrangement und klassischer Notation mitbringt. Die Wahl fiel auf Ron Geesin, der bereits drei der vier Floyd Musikern kannte und sowas wie ein elektronischer Hexenmeister war.

Ron Geesin warf sich in die Arbeit. Er notierte die einzelnen Parts aus, nahm die Aufnahmen und das Arrangement von Orchester und Chöre in die Hand und komponierte wesentliche Teile des Werkes. Laut Nick Mason's Biografie herrschte bei der Aufnahme der arroganten Orchestermusiker zwischen diesen und Ron blanker Hass im Studio. Als der Pudding trotz aller Widrigkeiten etwas mehr an Gestalt annahm, wurde der Arbeitstitel in "Epic" geändert. Noch bevor die Aufnahme-Sessions zu dem kompletten Album beendet waren, führten Pink Floyd das Werk am 27. Juni 1970 auf dem "Bath Festival of Blues and Progressive" auf, gerade mal sieben Tage nach dem letzten Studiobesuch der Band.
In Ron Geesin's sehr empfehlenswerten Buch "The flaming cow" ist übrigens an dieser Stelle nachzulesen, dass Roger Waters bereits damals immer wieder damit drohte die Band verlassen zu wollen. Der geneigte Leser wird vermutlich wissen, dass er glücklicherweise noch bis 1985 und damit für sieben weitere Floyd Alben durchhielt.

Am 16. July 1970 gab es immer noch keinen offiziellen Titel für das zwar ambitionierte aber immer noch unveröffentlichte Werk. Die Band führte die Musik jedoch für ein BBC-Concert der John Peel's Sunday Concerts Reihe auf, und so langsam musste ein geeigneter Titel her. Während das Publikum den Saal betrat, saßen Band, Manager, John Peel und Ron Geesin Backstage, im Kontrollraum über der Bühne und diskutierten über einen Titel. Ron zeigte auf eine Zeitung die auf dem Tisch lag und sagte zu Roger Waters: "Darin findest du einen Titel". Tatsächlich blätterte Roger Waters die Zeitung durch und stieß auf einen Artikel mit der Überschrift "Atom heart mother named". Die Zeitung war der Evening Standard und erschien damals zwei mal täglich, Rogers Zeitung war übrigens die Frühausgabe, wenn wir den Erinnerungen Ron Geesins glauben schenken dürfen.

Bedingt durch die Technologie der Schallplatte, hatten Alben damals glücklicherweise noch zwei Seiten zu bieten. Auf Seite Eins der LP ist ausschließlich das 23 minütige, Titel gebende Werk zu finden. Dieses ist im übrigen das längste zusammenhängende Stück Musik, das Pink Floyd jemals veröffentlichten. Und auch nur bei diesem Werk wirkte Ron Geesin mit. Auf Seite Zwei des Albums sind vier weitere Songs zu finden, welche Pink Floyd ohne Unterstützung Aussenstehender erarbeiteten.

Kommen wir nun zu dem erhabenen Titeltrack. "Atom Heart Mother" ist unterteilt in sechs Teile, die Titel haben wie "Father's shout", "Mother fore" oder "Funky dung". Der Einteilung in diese "Sections" muss man künstlerisch keine nähere Bedeutung beimessen, sie wurden lediglich erdacht um höhere Auszahlungen durch die Nutzung der Verwertungsrechte sicher zu stellen. Dieses beiseite lassend, sollten wir uns auf die Musik konzentrieren: Die Orchestrierung des Hauptthemas durch Bläser und Streicher ist an Erhabenheit kaum zu überbieten. Durch seine schiere Größe, bedrohlich dominierend, schwebt es wie ein Luftschiff, über zerklüftete, schottische Berglandschaften. Wer mal den Spielfilm "Zeppelin" gesehen hat - rein atmosphärisch ein partielles Muss - versteht vielleicht was ich meine.

Die Chöre wiederum erinnern mich an die kapartischen Landschaften Transsilvaniens und hätten ebensogut in den Film "Tanz der Vampire" gepasst. Einerseits wunderschön gesungen, andererseits bleibt man verstört zurück und fragt sich, was zum Teufel das soll. Lässt man mal Orchester und Chöre weg, bleibt jedoch übrig was man heute von Pink Floyd kennt und erwartet. Rick Wright's wunderschönes Orgelspiel, Nick Mason typisches Spiel mit den Toms und Cymbals, Water's ausdrucksvoller Bass und das superbe Gitarrenspiel von David Gilmour.

Pink Floyd schaffen hier die Grundlage für ihren späteren, unermesslichen Erfolg. Alles das, wofür die Band später so sehr bewundert werden sollte, ist auf Atom Heart Mother bereits vorhanden. Hört man genau hin, versteht man die Entwicklung die zu Dark Side Of The Moon führen musste. Die Band ist ihrem Stil einfach treu geblieben, hat diesen allerdings auf besagtem Dark Side Of The Moon Album viel fokussierter in ein Gesamtkonzept integrieren können. Atom Heart Mother dagegen erscheint, trotz allem Mutes, noch etwas verirrt. Ich mag, dass die Band hier noch mit 8 Spuren auskommen musste, die Drums dementsprechend in Mono zu hören sind und die Produktion eben noch kein High-End Hochglanzprodukt darstellt.

Lasst uns nochmal auf David Gilmour zu sprechen kommen. Spätestens mit "Atom Heart Mother" festigte sich sein Stil und er löste sich komplett von den Vorgaben eines Syd Barrets. Was Gilmour hier und auf späteren Alben spielt, beeinflusste nicht nur maßgeblich den Sound der "neuen" Pink Floyd, sondern auch den unzähliger anderer Gitarristen auf der ganzen Welt. Ich wag' mich mal weit aus dem Fenster, indem ich behaupte, dass selbst Gitarristen wie Suede's Bernard Butler oder andere, Post-Punk-Independent Gitarrenspieler, irgendwann mal so klingen wollten wie Gilmour auf "Atom Heart Mother", auch wenn sie's niemals zugäben. Aber hört euch mal das Solo von "Asphalt World" von Suede's besten Album "Dog Man Star" an, dann ist alles klar. Gerade wo ich das schreibe, meine ich mich sogar zu erinnern, irgendwo ein Interview mit Suede gesehen zu haben, wo sie ganz vorsichtig, derartiges andeuten. Wie dem auch sei... , mit "Fat Old Sun" von Seite Zwei des Albums emanzipierte sich Gilmour auch endlich als Songwriter. Die folkige Akustik Nummer gehört immer noch zu seinen eigenen Lieblingssongs, die er bis heute auf seinen Solo-Tourneen spielt.

Roger Waters wiederum brilliert auf Seite Zwei des Albums mit dem wunderschön verletzlichen "If" und offenbart hier bereits die Selbstzweifel und Ängste, die den später durch ihn entworfenen Rockstar "Pink" in den Wahnsinn treiben sollten.
Rick Wright's "Summer of 68" höre ich ebenso gerne, es ist wahrlich kein "Us And Them" aber der Beach Boys Einfluss ist unterhaltsam und ich mag Rick's Gesangsstimme. All dies lässt mich bis heute rätseln wieso die Band mit dem Album heute derart unzufrieden ist. Im Oktober '71 äußerte sich Roger Waters in der Zeitschrift "Sounds" immerhin noch dahingehend, dass "Atom Heart Mother, bis dato ihre bestes und menschlichstes Werk darstellt". Na gut, was sollte er kurz nach Veröffentlichung sonst über das Album sagen...? Eine Bemerkung wie zu Eingang des Artikels dargestellt hätte vermutlich die Karriere der Floyds vorzeitig beendet. Letztendlich liegt es vermutlich an den widrigen Bedingungen unter denen das Album entstand und den technisch unzureichenden Live Aufführungen des Werkes seinerzeit. Mit dem Nachfolgewerk "Meddle", welches konzeptionell nicht so sehr anders ist, zeigte sich die Band zumindest viel zufriedener.

Ron Geesin war auf Jahre verstimmt. Sein Name erschien lediglich im Kleingedruckten auf dem Label der LP. Wahrscheinlich war es das schlechte Gewissen der Floyds, welches David Gilmour dazu bewog, bei einer Live Aufführung des Werkes durch Ron Geesin in 2008, auf der Bühne zu erscheinen um ein Solo zum Besten zu geben. Bevor überhaupt die letzten Takte erklangen, hatte er jedoch den Saal wieder verlassen. Nick Mason war immerhin so nett, ein angemessenes Vorwort zu Ron's Buch zu schreiben.

- Falko - 10/2015