oder:
"Not another shredding album!!!" ?
Quasi
in Eigenbewerbung flatterte mir dieser Tage eine reine Instrumental-CD ins Haus,
die ich mir wohl - ich gestehe! - so eher nicht zugelegt hätte. Denn wer
um alles in der Welt braucht denn heutzutage noch ein Guitar Hero Dudelalbum?
So gesehen war es also eine glückliche Fügung, daß sich der
aus Nordfriesland stammende Gitarrist und Multiinstrumentalist Steve Brockmann
erdreistet hat, sich mit der Bitte um eine Rezension seines nunmehr 3. Albums
an das Zine with no Name zu wenden. Denn Expected Errors, zu 100% in Eigenregie
eingespielt, produziert und eingetütet (und als Promopackage äußerst
professionell in Szene gesetzt) ist eigentlich kaum mit den berüchtigten
Produktionen der Mike Varney-Schmiede der achtziger Jahre vergleichbar (Welches
ältere Baujahr erinnert sich nicht mit Grausen an all die lichtgeschwindigkeitsschnellen
guitar neurotics, die einem seinerzeit als neuer Stern am Gitarrenhimmel verkauft
wurden? Mit ein, zwei Ausnahmen vielleicht: Daß es auch anders ging zeigten
bereits damals Klampfer wie Tony MacAlpine und Vinnie Moore; gerade letzterer
verstand es ausgezeichnet, hohe Gitarren"kunst" mit anspruchsvollem
Songwriting zu verbinden und diese Fertigkeiten nach Michael Schenkers definitivem
Abgang bei UFO anno 2004 songdienlich in deren Dienste zu stellen). Somit schließt
sich auch der Kreis: Expected Errors ist nahezu arpeggio- und tappingfreie Zone,
und Steve Brockmann ist es wirklich gelungen, Songs zu schreiben, halt nur ohne
Gesang. Und da ja gerade Rezensionen von Instrumentalalben kaum ohne Vergleiche
auskommen dürften, sei hiermit gesagt, daß Brockmann stilistisch
zwischen eben genanntem Michael Schenker und dem inzwischen wohl auch nicht
mehr nur Insidern geläufigen Steve Morse (Deep Purple, Dixie Dregs, Kansas
etc.) anzusiedeln ist. Zwar erinnert auch immer wieder einmal ein Lick beispielsweise
an Eddie van Halen oder eine Phrasierung an Carlos Santana, aber dennoch gelingt
es Brockmann, im wesentlichen eigenständig rüberzukommen.
Die Bandbreite der elf auf Expected Errors gebotenen Songs mit einer Gesamtspielzeit
von knapp 52 Minuten reicht von hymnisch-balladesk bis treibend. Geschickt werden
Rhythmik und Tempi variiert, mal groovt es unwiderstehlich, mal wird fusionmäßig
abgerockt, ohne allerdings in Neo-Jazz- oder gar Country-Gefilde abzudriften,
mal klingt es sahnig-bluesig... Hinzu kommt eine recht differenzierte, transparente
Produktion, bei der alle Instrumente einschließlich der äußerst
geschmackvollen Hammond- und sonstigen Keyboardsounds gleichberechtigt zur Geltung
kommen, und auch die sporadisch eingesetzten Synthies wirken alles andere als
deplaziert.
Ein paar Songstrukturen weisen frappierende Ähnlichkeiten zu den alten
Kansas auf - gerade bei den "progressiveren" Stücken läßt
sich ein gewisser Seventies-Einfluß nicht verleugnen - und was mir besonders
gut gefällt, ist die Dynamik der Stücke untereinander, die in mir
Assoziationen zu Earl Slick´s Meisterwerk In your Face weckt. Sehr gut!
Abwechslung wird also groß geschrieben auf diesem Instrumentalalbum der
etwas anderen Art. So sind denn auch meine Anspieltips breit gefächert:
Angefangen beim hymnischen The Changeler über die fusionartigen Not necessarily
evil und Leaving Soberville (letzteres mit angenehm federnden Latingroove) bis
hin zu Without Remorse, bei dem Brockmann vor allem gegen Ende seine Les Paul
so herrlich singen läßt, daß man sich an Thin Lizzy´s
(!) beste Zeiten erinnert fühlt.
Einzige Kritikpunkte sind - wenn man einmal davon absieht, daß Expected
Errors trotz aller songwriterischen Finesse leider für Nicht-Musiker auf
Dauer wohl etwas zäh sein dürfte - das gelegentlich ein klein wenig
hakelige Drumming sowie die bei zwei oder drei Stücken etwas zu mittig
ausgefallene Produktion. Dies aber nur am Rande, wirklich störend wirkt
sich dies kaum aus.
Wer also ein Faible für virtuose Gitarristen hat und wer es - vollkommen
zu Recht - bedauert, daß sich im Rockbereich nur noch Steve Morse und
- mit Abstrichen - der Dream Theater-Ableger Liquid Tension Experiment solche
Alben zu veröffentlichen trauen, der kann hier getrost zuschlagen und sich
unter www.steve-brockmann.de
weitere Informationen holen.
Noch ein abschließender Hinweis: Dieses Album wächst, und nach ein
paar Durchläufen wird sich so mancher Hook in den Gehörgängen
festsetzen. Macht Spaß, die Scheibe!
- Klaus - 06/07
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