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Anathema
Judgement (1999)

"Feel my heart burning
Deep inside yearning
I know it is coming."
                  ("Deep")

Worte müssen hier aufgrund der Beschränkung des Sprachschatzes naturgegeben einfach unzureichend sein. Ein Umstand, den ich nicht zum ersten Mal bedauere, jedoch nicht allzu häufig so unüberbrückbar empfand, wie in diesem Falle. Dennoch komme ich nicht umhin, ein kleines rhetorisches Lied des Dankes anzustimmen an eine der außerordentlichsten, tiefgreifendsten, empfindungsvollsten Formationen unserer Hemisphäre und ihr hinreißendes Oeuvre. 
Selbiges setzt sich zumeist mit den mannigfaltigen Schattenseiten des irdenen Seinszustandes auseinander und jeder Mensch, so er diesen Bereich seines Lebens nicht völlig verdrängt, ein Unterfangen, welches auf Dauer so wieso nicht durchgehalten werden kann und er anderweitig (etwa in Krankheitsbildern) sich Luft verschafft, müßte sich in Musik und Texten von Anathema widergespiegelt sehen, diesen leidvollen Teil seiner Existenz, seiner Seele dort dargestellt und ausgesprochen sehen. Niemand kann ständig und ausschließlich auf der Sonnenseite wandeln, unmöglich, wir alle haben uns mit Leid, quälenden Notdürftigkeiten, Zwängen, der Freude und Kreativität mindernden oder gar abtötenden Tretmühle des Alltags, mentalem wie körperlichem Schmerz, Erdenschwere, Begrenzung, Verlust und so weiter, so vielen unleidlichen Aspekten des Lebens abzufinden, werden damit wieder und wieder konfrontiert. Manch einer resigniert, manch einer zerbricht daran. Andere wiederum finden etwa in der Kunst eine Zuflucht und Möglichkeit der psychischen Reinigung und Erneuerung - wie eben Anathema und deren hingegebene Rezipienten. Ehrlich Freunde, emotionaler, trauriger, aufbegehrender, erlösungsbedürftiger, melancholischer, mitreißender, atmosphärischer, schöner und intensiver kann Musik nicht sein als jene, welche Anathema auf "Judgement" zelebrieren! Dabei ebenso, nicht zu vergessen: heilbringender. Ein gutes Stück leichter und gelichteter erscheint Seele und Welt, nach diesem akustischen Bade in jenem ansonsten so sorgsam verborgenen See auf der dunklen Seite des Mondes.

Nun, hiermit könnte ich es eigentlich gut sein lassen, das Wesentliche wäre in aller Kürze gesagt, doch ganz so einfach kann ich es mir (und euch, hähä...) nicht machen, muß, um dieser Band, diesem Werk, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, jetzt noch den Versuch unternehmen, auch verbal so weit gehend als möglich darin einzutauchen.

Wie schon mehr als angedeutet, ergehen sich Anathema trotz aller Düsternis keinesfalls in Negativität. "Judgement" verströmt eine ähnliche seelische Qualität wie etwa Oliver Shantis "Rainbow Way", welches ja bekanntermaßen ein purer, reiner Lichtbringer ist. Im Gegensatz zu diesem jedoch, sind die Jungs von Anathema gezwungen zuerst den Umweg zu gehen, den durch die Dunkelheit hindurch, um zum Licht vorzudringen. Keine vergebliche Läuterungsreise, denn das, was sie uns von dieser Odyssee durch die Abgründe von Welt und Bewußtsein mit zurückbringen, kristallisiert in wunderbare Musik, es läßt unser Leiden erblühen...! 

Schon bei den ersten Tönen des eröffnenden Stückes "Deep", das mit seinen preziösen Akustik- und tiefemotionalen E-Gitarren, dem ergreifenden, ungekünstelten Gesang von Vincent Cavanagh, seiner einzigartigen Intensität und Atmosphäre, als archetypisch für Anathemas Wirken angesehen werden kann, geschieht diese Wandlung. Unvergleichlich auch dieses ständig präsente kaum glaubliche Gespür für passende, authentische Melodielinien, überwiegend von fast schmerzhafter Schönheit. "Deep" beschreibt, wie der stetige Fluß der Zeit all die Dinge und Erlebnisse die er einst gebracht hat, unweigerlich wieder mit sich nimmt. Was bleibt? Was kann letztendlich bewahrt werden vor der Auslöschung?

Die sich anschließenden "Pitiless" und "Forgotten Hopes" handeln lyrischerseits von gebrochenen Persönlichkeiten, den erkalteten Herzen, die dem rauhen Atem von Frau Welt, voller kalter Zwänge und heißer Konflikte,  nicht stand halten konnten, geknickt und zurück gelassen, vergessen wurden. Ersteres wird bestimmt durch forcierende, einfache wie effektvolle Gitarren, unterschwelliger Aggression, und dem Schwur im Chorus, es selbst nicht so weit kommen zu lassen, "I live for today, can't get away from the burning inside, ashes to ash, dust to dust". Hier tritt auf beiden Ebenen explizit das schon erwähnte Motiv der Erlöungsbedürftigkeit hervor, des Verglühenwollens, und ja, auch -müssens. Dieser Aspekt weckt in mir Gedanken an Hesses Erzählung "Klingsors letzter Sommer". Von einer letzten heißen inneren Glut und Flamme verzehrt zu werden, bis der unverstrickte Wesenskern von Zweifel, Ungewißheit und kleinlichen Ängsten befreit, wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen vermag. Man könnte diesen Text nun auch anderweitig interpretieren, die textlichen Hintergründe der Band sind manchmal recht metaphorisch, oft jedoch vieldeutig. Ein Höhepunkt, der in diesem Kontext offensichtlich dann die angedeutete positive Wendung verheißt, sei noch gesondert hervorgestrichen, ziemlich am Ende, ein leider nur kurzer ruhiger Abschnitt, wo Sänger Vincent Cavanagh in spaceigen Soundschleiern driftend, der Mittagsglut der Wüste und allem Jammer enthoben scheint, und die Musik, nach dem eindringlich gesungenen "then disappear without a trace" überleitet zum ursprünglichen Thema, überzogen von einem unwetterhaften, blitzartigen, wilden Gitarrensolo, welches endgültig alle grauen und dunklen Flecke aus dem vollendeten Lebensfilm brennt und verzehrt.

"Forgotten Hopes" ist anschließend beruhigter, introvertierter, mit wunderschönen Akustik-Gitarren, feingewobenen Synthie-Schleiern, mehrstimmigen Gesängen, voller Persönlichkeit und mitten ins Herz treffend - aber das muß ich wohl jetzt eigentlich nicht mehr gesondert erwähnen. . . . 

Viel mehr kann ich darüber nun auch nicht mehr sagen, was mir Gelegenheit zu dem Einwurf gibt, daß sich Anathema seit dem, im Anschluß an meinen Love Spirals Downwards Artikel von mir nicht zu unrecht hochgelobten "Eternity" Album, noch zu steigern und entwickeln wußten. Vor allem gilt dies für die Transparenz des Klangbildes und den Gesang, welcher inzwischen keine dieser leichten Tonschwankungen mehr aufweist (was durchaus emotional nicht ohne Reiz war, so etwa bei "Angelica"), Vincent hat seine stimmlichen Möglichkeiten ausgebaut und vervollkommnet und zeigt sich ausdrucksstärker und charismatischer denn je. Alles, der gesamte musikalische Ausdruck, wirkt einfach reifer und abgeklärter. 
Dazwischen erschien noch ein Werk der Engländer, muß so '97 gewesen sein, namens "Alternative 4", das ich bisher leider nur vom Abhören im Plattenladen kenne und somit eine kompetente Aussage darüber schuldig bleiben muß, ist aber offensichtlich ebenfalls superb. 

Sollte ich Vergleiche mit anderen Formationen heranziehen, so müßten natürlich Namen wie Paradise Lost, Tiamat, My Dying Bride und stilistisch ähnliche genannt werden, für mich sind Anathema jedoch, aufgrund ihres Feelings und der katharsischen Wirkung, so etwas wie die würdigen Nachfolger von New Model Army und Anacrusis. 
Die überwiegend schwerblütigen The Tea Party ("The Edges Of Twilight")  fallen mir eben deshalb noch neben den oben Genannten als, wenn auch rein musikalisch eher entfernter, Vergleich ein. 
Wie oft die guten alten Pink Floyd schon bei solchen Assotiationsspielen von Schreibern, denen man bitte nicht den Vorwurf der Phantasielosigkeit vor die Denkerstirn klatschen sollte, bemüht wurden, geht mittlerweile in die Grillionen. So abermals geschehen in Beates bemerkenswerter, feinfühliger Giants Lore Besprechung von "Judgement". Dem kann ich mich durchaus anschließen. Dann jedoch vornehmlich aus den selben Erwägungen heraus wie bei Tea Party geschehen. 
Auch dieses wollte so nebenbei noch angemerkt werden.

Anathemas Musik, das sei vielleicht noch erwähnt, läßt sich nicht bei jeder beliebigen Gelegenheit hören, man muß dafür schon entsprechend aufnahmebereit und in der richtigen Stimmung sein. Boris Kaiser fand dafür in seinem vorzüglichen Fanzine Dying Illusion, welches er vor seinem Rock Hard Engagement herausgab, bezüglich "The Silent Enigma", des Vorgängers von "Eternity" (alles davor kann man, aufgrund des "Gesanges" glaube ich ignorieren), ein paar passende Worte, weshalb ich sie nun nicht wie üblich klauen, sondern zitieren möchte: "Sehr geschmackvolles Teil, wobei die Monotonie hier wohl zur Kunstform erklärt werden muß. Daraus folgt, daß die Platte sehr stimmungsabhängig ist und an positiven Tagen einfach nur langweilt. An den restlichen 362 im Jahr erfreut einen pechschwarzer Doom." Nun, ich merke gerade, daß sich die Aussage nicht so ganz auf die heutigen Werke übertragen läßt, Adjektive wie "geschmackvoll" und natürlich "stimmungsabhängig" gelten jedoch nach wie vor...

Bei "Destiny Is Dead", um energisch mit all den Abschweifungen zu brechen und den Text nicht nur für meine Festplatte in faßbarem Umfang zu halten, handelt es sich um ein kurzes Instrumental, welches sich nahtlos an "Forgotten Hopes" anschließt.

Das Traumbild einer herbstlichen Landschaft. Kühle Winde streichen durch sie hindurch, über grüne schattige und baumbestandene Hügelzüge hinweg. Unvermittelt, gleichend einem fächerförmigen Sonnenstrahl, welcher durch die gräuliche, dichte und die Helligkeit abschirmende Wolkendecke bricht, gestaltet sich das hymnische Erscheinen von "Make It Right" in der Ausbildung der bisherigen musikalisch-lyrischen Topographie des Albums. Deutlicher als zuvor einen aufblitzenden Strahl der Hoffnung bergend, wenn auch keine völlige Himmelspforte, so doch eine kleine Öffnung möglicherweise, durch welche eine Passage, ein Hindurchschlüpfen gewährt wird und möglich ist, in die ferne Bläue hinein, ins Herz der Sonne, wiederum ins reinigende phönixhafte Verglühen und anschließende Auferstehen.  Dorthin zeigt es richtungsweisend, Kontakt scheint möglich, Vereinigung erreichbar. 
Abermals ist dies alles alchemistisch verwandelt und ausgeformt in diese unnachahmlichen Wahnsinnsmelodien von unermeßlicher Sensibilität. Dunkel und dennoch schimmernd, mit diesem trefflichen, unprätentiösen, charismatischen Gesang, dringt dieses Werk vor bis in die tiefsten Geheimnisse der Seelenwelt, bis in die verborgensten Regionen, welche Beachtung ersehnen, offenbart und gelebt werden wollen. Unmöglich, davon nicht angerührt zu werden.

So gilt das bisher Ausgesprochene, und vor allem letzteres, ebenso für "One Last Goodbye". Im Booklet widmen die beiden Cavanagh-Brüder Vincent und Danny dies Album ihrer kurz zuvor verstorbenen Mutter Helen, und in jenem Stück verarbeiten sie am deutlichsten die Gefühle von Trauer und Verlust, die der leere Raum, den ein Verstorbener bei ihm Nahestehenden hinterläßt, zwangsläufig in sich gebiert, zur Entstehung bringt. In diesen wachsenden Trennungsschmerz hinein jedoch strahlt umso heller und wärmender einer der wenigen wirklichen textlichen Lichtblicke, wenn Vincent singt  "... in my dreams I can see You, I can tell You how I feel........in my dreams I can hold You, and it feels so real ..... I still feel the pain ..... I still feel Your Love......."  davon singt und überzeugt, daß alles und jeder wahrhaftig Geliebte niemals verloren sein wird, daß geistige Bande bestehen, die stärker sind als selbst der Tod. Ja, ebenso den trennenden Beschränkungen der Existenz kein Absolutheitsanspruch zugebilligt wird. Wie einfühlsam und mitreißend er dies zur anschwellenden Begleitung vermittelt und das gewaltige Gitarrensolo am Ende, muß man einfach selbst gehört haben. Ein zum sterben schönes und empfindsames Lied über Schmerz, Hoffnung, Wahrhaftigkeit und Liebe.

"Parisienne Moonlight" folgt, von dunkel-romantischem Pianogewand eingehüllt schreitet Vincent in einzigartiger gesanglicher Melancholie dahin, im Duett mit einer weiblichen Engelsstimme.

Dann, das Titelstück. Musikalisch zuerst wieder sehr sensibel und verhalten, bricht nach einem wortwörtlich wahnsinnigen Übergang ein wirbelndes Inferno an pfeilschnellen, einer wilden Büffelherde gleichenden, tollen Gitarrenriffs und -melodien über den über die rauhe Steppe verzweifelter Wut urplötzlich rasend mit- und hinweggeschleiften Hörer herein. Wenn man auch diese nur geilen Gitarren gegenüber den Percussions einfach mehr hätte in den Vordergrund mischen müssen - aber das ist nebensächlich, diese zweiminütige Passage verfehlt ihre Wirkung trotzdem nicht. Das ohne Vorwarnung abreißende Ende läßt bestimmte Assoziationen keimen, vor allem diejenige der -nur möglicher und nicht zwingend empfehlenswerter Weise suizidalen- Lebensbeendung, ähnlich den schon von der textlichen Intension her vergleichbaren "Pull Me Under" von Dream Theater und "Church Of The Machine" von Symphony X und deren Exitus-Enden. Denn auch "Judgement"s nicht eben leicht verständliche Aussage handelt von gesichtslosen Kräften, denen man ausgeliefert scheint, von sinnlos verschwendeter Lebenszeit, von einer verheerenden Bilanz, welche keine vorzeigbaren Werte hinterläßt, von einem Dasein, welches ausschließlich auf treibsandigem Grund errichtet wurde, welches außerhalb der Vergänglichkeit keine Ziele, keinen Raum, keinen Sinn, keine unvergängliche Wirklichkeit sah.  Von einem Menschen, möglicherweise auch einer Gesellschaft, die verlernten die Welt auf andere Weise zu betrachten als verzerrt, egozentrisch und zynisch, und von ihrem selbsterschaffenen Horror schließlich eingeholt und gestellt werden, die ihrer Wahrheit, der Leere im Herzen, schließlich ins Gesicht schauen müssen.
 Da tauchen thematisch auch mal wieder die langen Schatten von "Animals", "Dark Side Of The Moon" oder "The Wall" auf, durchaus.

Das Coverartwork zeigt im übrigen eine beeindruckende Lichterscheinung, welche ich in Verbindung mit dem Titel "Judgement" als das nachtodliche Urlicht, die Wiedervereinigung der hinübergetretenen Seele mit selbigem, mit ihrem Urgrund, und angedeutet das eigene Bewerten ihres persönlichen Lebensfilmes, all ihrer Handlungen und deren Auswirkungen auf die Mitwelt, der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen, interpretiere. Phantastische Metaphorik. 

"Don't Look Too Far" - wiederum ein musikalisch sehr gutes Stück, natürlich, nicht weniger ist bei dieser Band, diesem Album zu erwarten, wobei ich mit dem lyrischen Hintergrund diesesmal bisher nicht allzu viel anzufangen wußte, die Aussage des Chorus ist hier leicht irreführend, verwirrend. Jedoch schlicht fantastisch ohne Zweifel sind die Strophen, wo Vincent klingt, als hätte er das Raum-Zeit-Kontinuum inzwischen völlig durchdrungen, als wäre er völlig abgehoben, völlig aufgehoben, die Endlosigkeit schauend.  Man bedauert fast den Umstand, daß das Ganze dann in jenen pearljamigen Chorus mündet, der die weite, friedliche, losgelöste Stimmung dann etwas unterbricht - besonders zum Schluß hätte sich Vince einfach mit seiner nun leicht noiseigen Gitarre zurückhalten sollen und stattdessen hätten sie von mir aus minutenlang noch einmal diese absolut entrückte Atmosphäre, nun allerdings ohne Worte,  angereichert allenfalls mit hineingehauchten ein- oder mehrstimmigen Lautmalereien, zelebrieren können, das würde den Song wirklich abgerundet haben. So jedoch muß man eher einer vergebenen Möglichkeit nachtrauern und halt den eigenen inneren Komponisten, welcher sich bei solchen Gelegenheiten, seine Chance witternd, rüde nach vorne drängelt, mal wieder 'ran lassen, um hernach in seinem generierten alternativen Finale dahinzuschwelgen, den Pool der Möglichkeiten selbst ausschöpfend.

Abermals berückt und beglückt jenes nur den zur Meisterschaft gereiften  Ausnahmetalenten eigene zauberische Harmoniegespür, welches den Noten und Zwischenräumen von "Emotional Winter" innewohnt. Inhaltlich schwimmt es den selben Fluß seiner ihm bereits Vorangegangenen hinunter - das Bedauern der Flüchtigkeit der Zeit, des Moments, den man nur zu gerne festhalten möchte, und allen Erlebens, tief empfundener Weltschmerz, das Ahnen um bleibende Schätze, um die Wichtigkeit der Verinnerlichung wirklicher, bleibender Momente und Stunden, der tatsächlichen Verewigung, denn "those wasted moments won't return, and we'll never feel again!". 
Aus diesem Wahrnehmen beziehen die folgenden positiv geladenen Gedanken ihre Energie...
"But the sun will (always) rise
 And tears will dry.
 Of all that is to come,
 The Dream has just begun."

Vollständig aus der Feder des Schlagzeugers John Douglas stammt ein weiteres ultimatives Highlight: "Wings Of God" - na, da sagt der Titel doch bereits alles ... nimmt ein mitreißendes Stück philosophischer Rockmusik vorweg, zu dem mir schlicht die Worte fehlen. Nach einigen einleitenden Zornesausbrüchen glättet und erhebt es sich, dabei die letzten eventuell noch innerlich blutenden Wunden verschließend und heilend, gleitet es schließlich, einem Feuervogel gleichend, auf mächtigen Schwingen dahin, rauscht durch die Gewölbe des Bewußtseins, illuminisziert und heiligt die dunklen Räume, vermählt sich, ein letztes Mal aufflammend und verglühend mit dem Äther...  .....all diese Welten.....  .....unter der Oberfläche.....   ...... Stille  .....  Frieden .......
Ach, der Wortschatz dürfte einfach nicht so ärmlich und bemitleidenswert begrenzt sein! Eine zweifelsohne allgemeine Eigenschaft allem dem Grobstofflichen Unterworfenen...  Ich will nun auch nicht damit anfangen, mich aller Mühen zum Trotz ständig zu wiederholen, oder ständig zu versuchen weitere vielleicht noch (bisher nicht-) existente Superlative zu finden, sowie berauschendere Geistesflüge in Worte, welche dafür nicht im mindesten ausreichen zu kleiden - es ist, mal einfach auf den Punkt gebracht, wahre Soul Music im eigentlichen, ursprünglichen Sinne! Diese wie auch andere kunstvolle, geistdurchdrungene Musik ist ein geheimer, unbestimmter und doch jedem zugänglicher Ort, an welchem es den Menschen möglich ist, unmittelbar und kaum beschränkt zusammen zu treffen, ihre eigene kleine fremdbestimmte Realität zurücklassend, um sich an ihren ureigensten schöpferischen Kräften zu erfreuen, und durch selbige neue Energie, neuen Willen zu gewinnen, sowie die tatsächliche Erfahrung ihrer persönlichen und ihres Nächsten individueller Lebendigkeit bis ins Höchste zu steigern.
Ein Zitat muß, muß zuguterletzt angefügt werden. Es gibt und gab nicht viele Musiker und Dichter, welche zu einem solchen Erkenntnisvermögen gelangten und dies derart messerscharf und scharfsichtig zu formulieren wußten...
"Solitude was never seen as loneliness
 And things need time
 And time leads to other things
 And playing roles
 Which are limited
 By the poor fund of knowledge
 In this sick, sick world
 We all fall down
 Once in a while
 Escaping the law of the unexplained pains."

Sprachlich mittlerweile recht verausgabt, bleibt doch zumindest noch eines - Kenner des Werkes werden wissen, was nun kommen muß, wenn sie mit einem sanften Schaudern daran denken. Zumindest ein Gipfel ruft mir noch zu, will noch bezwungen, erstiegen werden. Er nennt sich "Anyone, Anywhere". Wiederum ein unsteigerbarer steppenwolfartiger Hymnus an Weltschmerz und Einsamkeit, musikalisch perfekt umgesetzt durch eine Akustikgitarren & Piano Einleitung, aaahh, diese schon archetypischen Melodien, welche anscheinend bereits Äonen in der eigenen Seele schlummerten und nur auf jenen begnadeten Künstler warteten, der sie zum erwachen, zum erklingen bringt. Dann, unfaßbar, diese Steigerung, wenn die Band vollständig einsetzt, wie da von den Gitarren die Spannung bis an die Schmerzgrenze hin gehalten wird, bevor in diese brillante kulminative hymnische Passage übergeleitet wird, welche einen nur noch hinwegbläst und schließlich die geläuterte Seele noch leicht trudelnd in sonnengleichem Zustande entläßt, den Weiten des inneren Kosmos überläßt, dem All, dem Nirgendwo und natürlich der eigenen, nun gelösten, durch sanfte Lichter ausgeleuchteten Erinnerung.
Ihre Umlaufbahn somit wiederfindend und dieser ihrer Spur fortan mit Bestimmtheit weiterfolgend.
Vorhin schon hatte ich Hermann Hesse angedeutet und ohne die Absicht hier wie dort nun künstlich einen Zusammenhang konstruieren zu wollen, möchte ich hinzufügen, daß vor allem bei diesem Stück in mir mehrere Assoziationen zum Schaffen dieses Welt(überschreitenden)-Dichters aufstiegen - etwa zu Gedichten wie "Im Nebel", "Leb wohl Frau Welt" oder auch "Höhe des Sommers". Anathema gelang es deren Feeling auf ähnliche, ganz eigene und adäquate Art zu vertonen.
Nochmals ein Auszug aus dem textlichen Hintergrund, ja, dieser trachtet geradezu danach, als Abschluß angefügt zu  werden. Gesättigt mit jenen Ingredienzien, für die wir diese vier englischen Burschen unter anderem lieben: Melancholie, Verlorenheit, Hoffnungsleuchten...
No
Don't leave me here
The dream carries (me) on
Inside
I know
It's not too late
Lost moments blown away
Tonight

Mankind, with your heresy
Can't you see that this is killing me
There's no one in this life
To be here with me at my side

Es folgen dann, den emotional ausgepumpten wie befreiten Hörenden sanft weitertragend und bergend, das relaxte "2000 & Gone", sowie das ebenfalls instrumentelle schöne Akustikgitarrenstück "Transacoustic", welches leider nur auf dem Digipack, den ich glücklicherweise ergattern konnte, enthalten ist (oftmals stellt sich solch ein Bonus am Ende als eine lästige Störung und ein Nachteil heraus, in diesem Falle jedoch keineswegs!) und an die besten The Mission Momente oder Deuters filigrane "Ecstasy"-Akustikträume erinnert.

Kommen wir, mancher wird dies bedauern, mancher erleichtert zur Kenntnis nehmen, mancher schon weit vorher kopfschüttelnd ausgestiegen sein, zuguterletzt zum ... Finale. 
Anathema wurde nicht zuletzt durch dieses intensive, kunstvolle Werk zu einer von meiner Wenigkeit sehr favorisierten Formation für das berauschende Konzertereignis unterm vom vollen mystischen Mond regierten Sternenzelt im Amphitheater nahe der Himmelsstadt Elysia, stattfindend zusammen mit allen Musikfreaks und -psychonauten, welche aus sämtlichen Regionen der Galaxis eigens angereist kamen, sowie allen Freunden und Nahestehenden, ganz so, wie wir solches uns schon desöfteren ausmalten und erträumten. 
Anathema werden mit Sicherheit zu den herausragenden der unzähligen wundervollen Attraktionen und Ensembles gehören und uns mit ihrer Schwermut wieder einmal Gelegenheit geben, nochmals in musikalischer und textlicher Form einen dieses Mal jedoch völlig verklärten Blick zurück zu werfen, in Erinnerungen zu schwelgen, an die Gefühlsmöglichkeiten einer überschatteten und bis zur Neige ausgekosteten Existenz, welche dankenswerterweise bereits hinter uns liegt.....

In diesem Sinne...

                                     Wake Up - And Dream On...

- Heiko - 03-06/2001