Zur Rubrik "Bewegte Bilder"
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Der Exorzist (Director’s Cut 2001)

Mir blieb keine andere Wahl, als mir den „Exorzisten“ im Cinemaxx anzusehen, da der Film sonst nirgendwo anders in der Stadt lief. Cinemaxx bedeutet: viel Glas, überall Werbeaufsteller, untot freundliches und uniformiertes Personal, Menschenmengen, Flughafenatmosphäre und natürlich massenkompatible Filme. Zudem muß man schon an der Kasse sagen, wo man denn sitzen möchte und kann sich nicht erst im Kinosaal aussuchen, wen man denn lieber nicht als Sitzpartner hätte. Ich entschied mich für links außen, weil da nur drei Sessel nebeneinander festgeschraubt sind und man somit schon mal vor Teenagerhorden verschont bleibt. Unglücklicherweise war ich 15 Minuten zu früh dran und mußte somit das Cinemaxx-Publikum in seiner ganzen Härte ertragen, welches beim Altersdurchschnitt irgendwo bei achtzehneinhalb angesiedelt war, sich aber verzweifelt bemühte, älter und wichtiger (vor dem Ausschalten des Handys nochmal schnell SMS checken und absenden - vermutlich „Hallo Babsi, ich bin jetzt im Kino und leider für zwei Stunden nicht erreichbar“) auszusehen.
Gruslig. 
Auch die Leute, die dann den Saal, wo der „Exorzist“ lief, betraten, sahen nicht viel anders aus, außer, daß sie alterfreigabenbedingt mindestens 16 waren. Bei den meisten war wohl davon auszugehen, daß sie nicht wußten, daß der nun folgende Film eigentlich schon fast 30 Jahre alt war. Ich hatte den Film bisher noch nicht gesehen, obwohl er schon einige Male im Fernsehen gelaufen war. Vor Jahren hatte ich das zu Grunde liegende Buch von William Peter Blatty (von ’71) gelesen. Ich wollte die Gelegenheit nicht verpassen, diesen Klassiker nun sogar mal im Kino zu sehen, zumal diese Fassung gut 10 Minuten länger dauert, was freilich wenig interessant ist, wenn man keinen Vergleich hat.
... und ihre Kinder veränderten sich...Die Story an sich ist schnell erzählt: Zwölfjähriges Mädchen wird vom Teufel besessen, geifert dabei wie wild und gibt Obzönitäten von sich, die in den früher 70ern noch mehr Anlaß zu Aufregung gaben, als heute und wird, nachdem Neurologen und Psychiater versagt haben, von zwei katholischen Priestern mittel Exorzismus von dem Dämon befreit. Dabei ist dieses Mädchen, Regan, gespielt von Linda Blair, die bis an ihr Lebensende „das grüne Kotze spuckende Mädchen aus dem ‚Exorzisten‘“ sein wird, anfangs so dermaßen zuckersüß (vielleicht liegt das an den schauspielerischen Qualitäten, die man einer Zwölfjährigen nicht zum Vorwurf machen darf), daß man es anschreien möchte „Halt endlich die Klappe!“. Tut es dann ja auch.
OK, weiter im Text. Beim Exorzismus, dem „Rituale Romanum“, erliegt der ältere der beiden Priester, der aus dem Irak angereist war, einem Herzinfarkt. Der andere, während des gesamten Films von Glaubenszweifeln und Schuldgefühlen gegenüber seiner verstorbenen Mutter geplagt, opfert sich zum Schluß selbst, indem er den Teufel provoziert, das Mädchen zu verlassen und in ihn zu fahren. Anschließend springt er aus dem Fenster.
ExorzistDer Film dauert jedoch über zwei Stunden und mag für heutige Maßstäbe, die man an einen Horrorfilm legt, fast langatmig erscheinen. Die ersten vier Seiten des Buches, in denen Ausgrabungen im Irak und Pater Merrins erste Visionen des kommenden Unheils beschrieben werden, nehmen im Film fast die ersten zehn Minuten ein. Es dauert dann nochmal seine Zeit, bis die ersten besessenheitsrelevanten Anzeichen bei dem das Mädchen Regan zu beobachten sind, als es nämlich vor der gesamten beschwingt feiernden Abendgesellschaft seiner Mutter schweigend auf den Teppich uriniert. Mahlzeit. Die Symptome häufen sich (fluchen, grüne und gelbe Flüssigkeiten spucken, Sprechen in fremden Sprachen, Kopf-um-180-Grad-drehen, usw. ), und in der letzten halben Stunde wird’s heftiger. Die geschickt eingesetzten Schockeffekte haben dann auch das - wohl eher handfestere Action gewohnte - Cinemaxx-Publikum aus seiner partiellen Lethargie gerissen. In den dreißig Minuten vor Schluß verließen fünf Leute vorzeitig das Kino, was ansatzweise Rückschlüsse auf die Hysterie zuläßt, die dieser Film vor 28 Jahren auslöste. Cool. Gut, ich geb’s zu: Als im Film an einer völlig unverdächtigen Stelle das Telefon läutete (nicht „düdeldidit“, sondern, wir befinden uns im Analog-Zeitalter, „Rrrriiinngg!“), das, dank Stereophonie, links hinten im Vorführraum zu stehen schien, zuckte ich ganz schön zusammen. Was mir bei anderen Filmen nicht so leicht passiert wäre. Auch sehr gruslig kommt die kurze Szene, in der Regan mit zurück gebogenem Oberkörper auf Händen und Füßen spinnenartig die Treppe runterläuft und in Großaufnahme Blut aus dem Mund kommt (ansonsten ist der Film ziemlich unblutig). Diese Szene fehlte in der Urfassung; im Buch ist sie, leicht verändert, drin. Insgesamt wurde das Buch originalgetreu umgesetzt; fast befällt einen der Verdacht, es wäre in Hinblick auf eine spätere Verfilmung geschrieben worden. 
Stephen King bezeichnet das Buch in „Danse Macabre“ übrigens als „humorloses bleischweres Traktat“. Den Film seht er als „soziales Phänomen“, der frühen 70er Jahre. Ich übernehme die Passage aus „Danse Macabre“: „Substantiell ist es jedoch ein Film über explosive gesellschaftliche Veränderungen, ein scharf geschliffener Brennpunkt für die gesamte Jugendexplosion, die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren stattfand. Es war ein Film für alle Eltern, die voll Schmerz und Schrecken feststellten, daß sie ihre Kinder verloren, ohne zu begreifen, wie oder warum es geschah“. Infolge dessen habe der Film auch ein „überraschend altes Publikum gefunden“. Na ja, die Zeiten ändern sich. 
Von dem gesteigerten Interesse für Paranormales, das auch von „Der Exorzist“ ausgelöst wurde, konnte schließlich eben jener gerade zitierte arbeitslose Englischlehrer profitieren, als er ein Jahr später mit seinem ersten Buch „Carrie“ (der Geschichte eines telekinetisch begabten Mädchens, das sich blutig an seiner grausamen Umwelt rächt) den Durchbruch schaffte.
Die - in keinste Weise adrenalinaustoßfördernde - Titelmusik stammt übrigens von dem damals 20jährigen Mike Oldfield und ist auf dessen erstem Album „Tubular Bells“ zu hören.

- Martin - 04/01