Hier ist die Besprechung von "Strange Brotherhood", wie sie damals im NONKONFORM #4 bzw. ASCENSION zu lesen war.
Man
kann nicht sagen, daß NMA ihr neues Album übereilt veröffentlicht
hätten. Das letzte Werk, „The Love Of Hopeless Causes“ liegt fünf
Jahre zurück, zwischenzeitlich gab es Auflösungsgerüchte und
nichtsdestotrotz ausgiebige Tourneen, auf denen einige der Songs dieser
CD (und andere neue Songs) schon gespielt wurden. Die vorab ausgekoppelte
Maxi „Wonderful Way To Go“ (inhaltlich eine Fortführung von „White Light“,
so scheint es) weckte hohe Erwartungen in der Fangemeinde.
NMA hatten sich nach dem Rauswurf bei Sony dazu entschlossen, ihr neues Album
auf eigene Kosten aufzunehmen und nur den Vertrieb EMI zu überlassen
(wobei man über Sinn und Unsinn limitierter Versionen streiten kann).
Das Cover stammt wie immer von Joolz - eine sehr schlicht gehaltene Kreidezeichnung
eines Auges umgeben von ein paar Blumen. Herausgekommen ist ein sehr vielschichtiges
Album, mit Songs, die über einen Zeitraum von gut drei Jahren entstanden
sind, aufs Band gebracht zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Orten
und abgemischt von verschiedenen Leuten. Überschattet wurden die Aufnahmen
durch den Tod von Justins Vater und durch gesundheitliche Probleme und Operationen
bei Rob Heaton und Justin Sullivan. Das Album enthält für mich typische
NMA-Songs, wie „Over The Wire“, „Killing“ (entstanden bei den Demonstrationen
gegen das Abholzen von Bäumen für ein Straßenbauprojekt („It
was summer when they finally came, the law of force and line upon line of
machine upon machine“), „Long Goodbye“ oder „Wonderful Way To Go“ („Colours
brighter than I’ve ever seen - more wired than I’ve ever been... “). Andere
Songs enthalten eher untypische Elemente, z. B. die Blechbläser auf „Gigabyte
Wars“ oder gar das komplett mit kaum wiederzuerkennender verzerrter Stimme
gesungene „Whites Of Their Eyes“. „No Pain“ hatte ich live anders in Erinnerung,ebenso
ist die Akustik-Version auf dem semi-offiziellen „Big Guitars In Little Europe“-Album
etwas heavier, was natürlich nichts daran ändert, daß dieser
Song jetzt schon ein Klassiker ist. Viele werden sich über die Violinen
freuen, die in manchen Songs wieder Verwendung fanden, obgleich nicht so dominant
wie auf „Thunder And Consolation“, dem Breitwand-Album von NMA. Eher spartanisch
instrumentiert sind die Tracks auf der Bonus-Maxi zur CD, wo zudem „The Ballad
Of Bodmin Pill“ und „The Hunt“ (ich find’s gut, wenn die Band so alte, politisch
völlig „unkorrekte“ Hymnen dem aktuellen Album bei-fügt) live drauf
sind. Falls ihr die limitierte Version des Albums noch irgendwo zum günstigen
Preis seht, langt zu - es lohnt sich allein schon wegen „See You In Hell“
(am ehesten mit „The Attack“ zu vergleichen).
Justin hat die Spannungen und Widersprüche zwischen den Mitgliedern der
Band in unserem Interview kurz anklingen lassen, die Spannung, die den Kreativitätsprozeß
von NMA vorantreibt und die namengebend für den Albumtitel war. Ich habe
gehört, Justin hätte in einem Interview mit dem VISIONS gesagt,
daß sich die Band nach dem Bizarre-Festival ‘96 (kurz nach dem Inti
mit dem NK) auflösen wollte, dann aber von den neuen Songs so überzeugt
war, daß sie beschloß, noch ein Album aufzunehmen. Die weitere
Zukunft von NMA ließ Justin offen. Interessant ist auch die Aussage
von Justin in dem Interview auf der offiziellen Homepage (www.newmodelarmy.org),
daß er Rock nicht so sehr mag und eher auf Black Music und Hip Hop steht.
Doch wo steht geschrieben, daß sich Menschen mit einem Faible für
keltische Naturreligionen den ganzen Tag CLANNAD, ENYA, SKYCLAD oder ähnliches
anhören müssen?
Da die Metal-und-sonst-nix-Fraktion unserem Heft wohl schon länger ade
gesagt hat, kann ich allen, die aufgrund extremer Nötigung durch das
NONKONFORM zu NEW MODEL ARMY gekommen sind oder kommen werden und denen deren
Musik gefällt, diese CD (es soll auch Vinyl über den Fanclub geben)
empfehlen. Sie ist etwas gewöhnungsbedürftig, vor allem für
Fans der Alben aus den frühen 80ern - vielleicht ist dieses Album aber
auch mehr NMA als alles andere, was die Band zuvor gemacht hat.
- Martin - 05/99