Der erste handfeste biographische Fakt, den ich hier nennen muß, ist
der, daß ich gerade erst eingeschult worden war, als Trust im Januar
1978 ihre erste Single mit den Songs Prends Pas Ton Flingue und Paris
by Night (Cover des AC/DC-Songs Love At First Feel) rausbrachten.
Bernard "Bernie" Bonvoisin (Gesang) und Norbert "Nono"
Krief (Gitarre) begründen hier ihre kreative Partnerschaft, die bis zum
Ende von Trust anhalten wird. Raymond "Ray" Manna spielt den Bass,
Jeannot Hanela trommelt und Moho Shemlek unterstützt mit einer zweiten
Gitarre. Gräbt man etwas tiefer in den Archiven, stößt man
1976 auf die "Daffy Dog Band" und auf "Killerdrink" bei
denen Bernie am Schlagzeug saß. 1977 taucht er bei einer Band namens
"Taxi" ebenfalls als Schlagzeuger auf, um kurz danach den Gesang
zu übernehmen; Ray spielt dort bereits den Bass. Seine Haupteinkünfte
bezieht Bernie damals aus seiner Tätigkeit als Beleuchter im legendären
Konzertsaal Olympia in Paris. Irgendwann im Sommer 1977 trifft Bernie Nono
Krief, der vorher beim Club Méditerranée in Marokko Gitarre
spielte, und zusammen mit Ray gründen sie Trust. Anfangs spielen sie
in Pariser Clubs Coverversionen von AC/DC- und Sex-Pistols-Songs, eine Mischung
die den Stil von Trust wesentlich beeinflussen sollte. Ein Vertrag mit EMI
ermöglicht die erste Single, die in den Pathé Studios aufgenommen
wird, wo die Rolling Stones gerade an Some Girls arbeiten. Hier treffen
sie zum ersten Mal Bon Scott, der die Stones im Studio besucht. Dieser ist
von Paris by Night begeistert und eine Freundschaft zwischen Bernie
und Bon entsteht. Die Single hingegen floppt mangels Interesse des Labels,
worauf Bernie wütend den Vertrag mit EMI kündigt.
Durch die Unterstützung von Bon Scott können Trust im Oktober
1978 an der Seite von AC/DC im "Stadium" in Paris neue Songs spielen,
die schließlich auch auf ihrem ersten Album landen werden, welches
durch einen Vertrag mit CBS (heute Sony Music) zustande kommt. Es wird innerhalb
von 15 Tagen in England aufgenommen. Moho ist auf dieser Platte nicht zu
hören, wird aber später wieder zu Trust stoßen. Betitelt
ist das Werk schlicht Trust, später ist es auch unter dem Namen
L’Elite bekannt; auf der CD-Hülle wurde nachträglich ein
entsprechender Aufkleber angebracht. Das Cover zeigt eine gezeichnete Hand,
die wohl von einer starken Lichtquelle durchschienen wird, und an der eine
schwarze Flüssigkeit runterläuft. Mit
der Covergestaltung sollten Trust auch in Zukunft keinen Blumentopf gewinnen.
Die Passbilder der Bandmitglieder und die Schreibmaschinenschrift auf dem
Innencover scheinen offensichtlich vom zweiten australischen AC/DC-Album
T. N. T. (welches später, leicht verändert, unter dem Titel
High Voltage im Rest der Welt unter Strom setzen sollte) beeinflusst.
Die Sound ist, entsprechend der kurzen Aufnahmezeit, rauh, und Nonos Gitarrenspiel
läßt schon seinen zukünftigen Status als französischer
guitar hero erahnen.
Bernies Texte sind sehr sozialkritisch und plakativ. Es drängt sich der
Verdacht auf, daß sich hier jemand den eigenen Frust vieler vergangener
Jahre von der Seele schreit. Obwohl eindeutig anarchistisch bzw. politisch
links geprägt, lehnen Trust das sowjetische Regime ab. Zum Ausdruck kommt
dies in Songs wie Dialogue de Sourds ("Dialog der Tauben (Gehörlosen)")
oder H & D. H & D – oder Hôpital &
Débiles ("Krankenhaus & Irre") beispielsweise - handelt
von willkürlichen Inhaftierungen von Regimegegnern im Moskauer Lubjanka-Gefängnis
durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD und dessen Nachfolger KGB. In den
Kellerräumen wurden seit 1920 mehrere hunderttausend Menschen verhört
und gefoltert. Das Gefängnis wurde erst 1991 geschlossen.
Mit den "Tauben" ist jene Fraktion der französischen Linken
gemeint, die in den Siebzigern und Achtzigern kritiklos die vermeintlichen
Errungenschaften des "Sozialismus" in der Sowjetunion und anderen
kommunistischen Staaten pries. Die "Befreiung der Arbeiterklasse"
fand indes tatsächlich dadurch statt, daß man die "Freiheit"
eingeprügelt bekam. Bernie findet das Gehabe dieser Salonkommunisten,
die die Augen vor der Realität in diesen Diktaturen verschließen,
schlicht "schwuchtelig" und beklagt, daß "man in dieser
Hure von einem Land immer noch nichts kapiert hat".
Jedoch bleibt auch die herrschende Kaste in Frankreich und anderen Demokratien
nicht von der zugegebenermaßen manchmal etwas ziellosen Wut Bernie Bonvoisins
verschont. In L’Elite wird ihr Scheinheiligkeit und Verlogenheit vorgeworfen,
daß sie Meineide schwört und Verträge bricht, nach vorne lächelt
und hintenrum die Abweichler mit Hilfe des Polizeistaats einsperrt. In einer
solchen Gesellschaft haben jene, die eh‘ schon am Rand leben, wenig Chancen
auf ein besseres Leben, egal, wie sehr sie sich abrackern. Versuchen sie dann,
sich durch Kriminalität ein Stück vom Kuchen der anderen zu holen,
lernen sie ein Justizsystem kennen, das auf Wegsperren statt auf Resozialisierung
setzt. So läßt sich der Tenor von Comme Un Damné
umschreiben. Ohne daß er hier explizit genannt wird, fließen hier
schon Gedanken von Jaques Mesrine ein, wie er sie in seinem Buch Der Todestrieb
veröffentlicht hat. Wir werden später noch von ihm hören.
Die Polizei ist dann, wen wundert’s, die ideale Verkörperung des Feindbilds,
auf das Bernie einprügelt. Und um auf Mißstände aufmerksam
zu machen, ist manchmal Polemik und Schwarzweiß-Malerei notwendig. So
wird in Police Milice jungen Leuten, als Hauptmotivation, Polizist
zu werden, unterstellt, wenigstens durch die Uniform zu einem Hauch von Prestige
zu kommen und ansonsten auf Kreuzungen zu posieren und Leute zu bescheißen,
um die eigene Dummheit zu verdecken, ohne zu merken, daß sie selbst
nur Knechte des Systems sind, die die Aufgabe haben, die Sklaven der Konsumgesellschaft
in die richtige Richtung zu dirigieren. Der widerliche Schnauzbartträger,
der hier vorgestellt wird, schwelgt dann im Ruhestand von den Nutten und den
niedergeknüppelten jungen Leuten.
Ebenfalls ohne Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten wird die blasierte
Pariser Disco-Szene (seit jeher Feind jedes Hardrockers, klar) in Palace
beschrieben. Einer meiner Favoriten des Debuts ist, neben Préfabiqués,
Bosser Huit Heures ("Acht Stunden schuften", man muß
diesen Song über die Ausbeutung am Arbeitsplatz nicht näher erläutern)
, welches mit seiner vollen Wucht auf dem Live-Album zur 1980er-Tour durchbricht.
Préfabriqués schließlich ist auch nach Meinung
von Klaus der beste Text dieses Albums. Und auch ohne große Französischkenntnisse
weiß man anhand des leidenschaftlichen Vortrags, worum’s in diesem Lobgesang
auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung geht. Als "Vorgefertigt"
werden hier die Mitglieder einer übersättigten Gesellschaft beschrieben,
die glauben, die Reizüberflutung ihres Gehirns durch das Fernsehen als
"Meinung" ausgeben zu müssen. Bernie will mit dieser Gesellschaft
nichts zu tun haben; eine vernünftige Auseinandersetzung ist mit ihr
nicht möglich, Zerstörung der einzige Weg. "Macht kaputt, was
euch kaputt macht" also, wie es Ton Steine Scherben neun Jahre zuvor
formulierten.
Die Texte transportieren also keine abstrakten Botschaften oder politischen
Theorien, sondern befassen sich klar mit den Problemen der unterprivilegierten
Schichten in Frankreich und dem, was nach Bernies Ansicht falsch im seit vielen
Jahren konservativ regierten Frankreich und im Rest der Welt des Kalten Krieges
läuft. Bernie kennt diese Welt nicht nur aus der Zeitung. Er wuchs in
einer Vorstadt im Westen von Paris auf und bekam die Entstehung der Armen-Ghettos
hautnah mit, und sein Vater, Gewerkschaftmitglied, wurde arbeitslos.
Natürlich findet sich mit Ride On ein AC/DC-Song auf dem Album,
der auch auf Englisch gesungen wird. Es existiert auch eine Aufnahme der Session,
bei der Bon Scott den Song mitsingt, sechs Tage vor seinem Tod am 19. Februar
1980. Viele Jahre wurde sie unter Verschluß gehalten wurde, auf der
offiziellen Trust-Site kann man sich den Song nun herunterladen.
Nach dem Release des Debüts folgt eine Tour mit sagenhaften 55 Konzerten
alleine in Frankreich, welche, unterstützt durch Mundpropaganda, die
Band extrem populär macht. Ray verläßt die Band,
um weiterhin als Manager für sie zu arbeiten und Yves "Vivi"
Brusco nimmt den Bass in die Hand. Diese Besetzung, Bernie, Nono und Vivi
(mit wechselnden Schlagzeugern) sollte für Trust das werden, was bei
Deep Purple als "Mark II" (Blackmore, Gillan, Lord, Paice, Glover)
in die Rockgeschichte einging. Am Ende der Tour spielen Trust im Januar
1980 in Paris vor 10.000 Fans und anschließend im Gefängnis Fleury
Mérogis (wo auch der legendäre "Staatsfeind Nr. 1",
Jacques Mesrine, 1976 im Hochsicherheitstrakt saß) vor 200 Häftlingen.
Ganz neu war diese Idee zwar nicht, Johnny Cash hatte es Ende der 60er Jahre
mit Konzerten im Folson Prison und in San Quentin vorgemacht, aber bei Trust
wirkte es authentischer als 23 Jahre später, als Metallica in San Quentin
ihr St. Anger-Video drehten. Auch die eingangs erwähnten Rose
Tattoo entschieden sich übrigens für einen Knast als Kulisse für
einen Livegig; sie spielten 1993 im Bogo Road Jail im heimatlichen Brisbane
vor 12.000 schwer begeisterten Knackis und "braven" Bürgern.
So viel zum Thema Authentizität...
Im Mai 1980 wird Répression veröffentlicht, welches
in London aufgenommen worden war. Am Schlagzeug sitzt weiterhin Jeannot
Hanela, Ray wird durch Yves "Vivi" Brusco am Bass ersetzt.
Auf
dem Cover taucht zum ersten Mal der klassische Trust-Schriftzug auf, ansonsten
ist es eher nichtssagend: Die vier Bandmitglieder schauen in die Kamera,
wobei ein auf Brusthöhe liegender Spiegel die Gesichter verzerrt. Das
Backcover zeigt die Band mit Fans und wurde möglicherweise in einem
kleinen Club aufgenommen. Das Outfit der Beteiligten reflektiert ganz gut
die Stellung von Trust zwischen Hard Rock und Punk – Motorrad-Lederjacke,
lange Haare und getönte Pilotenbrille einerseits, gefärbte kurze
oder aufgestellte Haare und Anflüge von Bondage in den Klamotten bei
einem weiblichen Fan andererseits.
Gleichzeitig veröffentlichen Trust eine englische Version des Albums,
ebenfalls Repression (jedoch in der englischen Schreibweise) betitelt.
Das Cover der version anglaise zeigt eine Live-Szene. Die Texte wurden
von Jimmy Pursey von der englischen Punk-Band Sham 69 relativ wortgetreu
übersetzt, was den Gesangsfluss manchmal etwas holprig machte, vor
allem weil Bernie auch bei keiner Zeile den Eindruck erwecken will, er sei
native speaker des Englischen. Dies wirkt aber eher charmant als
peinlich (remember Teutonenenglisch a la "Rack ju leik a harikän").
Somit wurde Trust zur einzigen französischen Rock-Band, die es schaffte
auch außerhalb Frankreichs für Furore zu sorgen, im Gegensatz
zu Sortilège, H-Bomb oder Der Kaiser. Gewidmet ist Répression
dem am 19. Februar 1980 verstorbenen Bon Scott, der das Album ursprünglich
übersetzen sollte.
Répression darf sicher als das Trust-Album angesehen
werden, und Bernie meint auch im Interview mit dem Rock Hard Nr . 69 im
Februar 1993: "In der Geschichte der meisten Bands gibt es nur ein
Album, das wirklich die Essenz des gesamten Schaffens darstellt, und das
war bei uns ‚Repression‘. Ein nahezu perfektes Album.".
Welches mit dem bekanntesten Song von Trust, mit Antisocial beginnt,
der in eine ähnliche Richtung wie Préfabriqués
zielt. Antisocial (nicht zu verwechseln mit dem soziologischen bzw.
psychopathologischen Begriff "asozial") sind für Bernie jene
Menschen, denen Geld alles bedeutet, und die glauben, damit glücklich
zu sein. Die englische Fassung, die später durch Anthrax noch populärer
wurde, ist etwas weniger scharf als der ursprüngliche Text, wo es u.
a. heißt "Du arbeitest dein Leben lang, um deinen eigenen Grabstein
zu bezahlen ... du versteckst dein Gesicht hinter der Zeitung ... gehst
wie ein Roboter durch die Gänge der U-Bahn ... es kümmert niemanden,
ob du da bist oder nicht, es liegt nur an dir, den ersten Schritt zu tun".
Zeitgeschichtliche Themen behandeln Monsieur Comédie und Les
Sectes.
Mit Monsier Comédie ist der Ayatollah Khomeini gemeint, der
1978 ins sichere Exil nach Frankreich ging und hier den Schutz eines demokratischen
Staates genießen konnte, um im Februar 1979 während der Iranischen
Revolution als politischer und spiritueller Führer in den Iran zurück
zu kehren um hier einen "Gottesstaat" zu errichten. 1989 rief
er zur Tötung des Schriftstellers Salman Rushdie auf, da dieser sich
seiner Ansicht nach mit den "Satanischen Versen" der Blasphemie
schuldig gemacht hatte.
In Les Sectes wird vom, durch den Prediger Jim Jones befohlenen,
Massenselbstmord der "Volkstempler"-Sekte auf Guyana am 18. November
1978 berichtet. In der französischen Fassung werden außerdem
die manipulativen Praktiken der Hare Krishna-Sekte erwähnt, also erweiterte
Kritik an totalitären Religionen geübt; in der englischen Fassung
fehlt dieser Punkt. Wie bereits erwähnt wurde auch Sects später
von Anthrax gecovert.
Die Unterprivilegierten in den Pariser Vorstädten, den Banlieues, denen
Fatalité (bzw. Pick Me Up – Put Me Down) gewidmet ist,
meldeten sich im Oktober und November 2005 wieder lautstark zu Wort, als
sich Unruhen von Paris aus über ganz Frankreich ausbreiteten. Die verfehlte
Sozial- und Integrationspolitik, die Trust nicht nur in diesem Song anprangerten,
war Ursache für diesen Ausbruch von Gewalt. Nüchterner als Bernies
Texte, aber ebenso treffend, ist bei Wikipedia
zur Situation 2005/2006 zu lesen: "Jüngste Einsparungen
und Sozialabbau, und konservative Law and Order-Politik vor allem auf kommunaler
Ebene verschärften die Situation. Die bestehende Frustration wurde
neben ethnischen und religiösen Spannungen durch das Gefühl verstärkt,
politisch ignoriert und lediglich durch die Polizei ruhig gestellt und schikaniert
zu werden. Ein Teilnehmer der Ausschreitungen sagte: ‚Die Menschen vereinen
sich, um zu sagen, daß wir genug haben. Wir leben in Ghettos. Jeder lebt
in Angst.‘ Der Soziologe Michel Wieviorka deutete in Medien die Ereignisse
als Revolte gegen die Ordnung, die Jugendlichen griffen Symbole des Staates
an. Die Integration habe versagt, die Einwohner fühlten sich von der
Gesellschaft ausgeschlossen und perspektivlos."
Der Film La haine (dt. Titel: Hass) von Mathieu Kassovitz
aus dem Jahr 1995 befasst sich ebenfalls mit der Situation in den Banlieues;
Bernie spielt in dem Film eine kleine Nebenrolle.
Eine Sonderstellung nehmen die beiden Songs Instinct de Mort (Death
Instinct) und Le Mitard ein (welcher als einziger Song in der
englischen Fassung des Albums nicht übersetzt wurde). Sie nehmen Bezug
auf Jacques Mesrine, zu dem ein kleiner
Exkurs hier zu lesen ist.
Falsch verstanden werden könnte der Titel Au Nom De La Race
(In The Name Of The Race), jedoch meint Bernie hiermit die menschliche
Rasse und deren Entfremdung in einer künstlichen Welt voller aseptischem,
lebensfeindlichem Zierat.
Die englische Version ist politischer formuliert und einen ganzen Zacken
kämpferischer, die französische erstaunlich neutral gehalten.
Interessant ist die unterschiedliche inhaltliche Ausrichtung von Saumur
und dem englischen Gegenstück Paris Is Still Burning. Saumur
ist eine kleine Stadt im Westen von Frankreich, die hauptsächlich durch
Weißwein, Sekt und Champignons bekannt ist, und steht exemplarisch
für ein spießiges Provinzkaff. Bernie nimmt es als Sinnbild für
Mief und Heuchelei, wo man als Abweichler von den "anständigen"
Bürgern quasi gemeuchelt wird.
Auf Paris als Hauptstadt Frankreichs projiziert Bernie all‘ seine Vorbehalte
gegenüber dem sogenannten Fortschritt, sowohl in technischer Hinsicht
in Form der Bedrohung durch die Atombombe als auch in menschlicher durch
zunehmende soziale Kälte.
Bernie weigert sich, der Unterdrückung ("Répression"),
sei es durch tatsächliche staatliche oder systemimmanente Gewalt, nachzugeben,
sondern ruft die Hörer auf, sich ihrer eigenen Würde, die nicht
vom sozialen Status abhängt, bewußt zu werden und sich generell
einer schleichenden Vereinnahmung durch seine Umwelt zu widersetzen.
Somit sind auf Répression alle Themen versammelt, die Trust
bzw. Bernie Bonvoisin wichtig sind und deren Grundtenor man auf den späteren
Alben wieder begegnen wird, unabhängig von musikalischen Veränderungen.
Musik mit Worten zu beschreiben ist ein schwieriges Unterfangen, jedoch
meint Klaus, der es im Gegensatz zu mir auch wagen kann, öffentlich
mit seiner Gitarre aufzutreten, daß Répression auf jeden
Fall stilprägend für nachfolgende Bands war, insbesondere durch
die Verwendung von "Powerchords mit übermäßiger Quinte".
Live umgesetzt wurde das Album auf der fulminanten Repression dans L’Hexagone-Tour,
mit 65 Konzerten und zehn- bis fünfzehntausend Besuchern jede Nacht.
Die Auftritte der Tour wurden von manchen Städten teilweise zensiert.
Der auf dem Folgealbum Marche Ou Crève als Schlagzeuger zu
hörende Nicko McBrain (der spätere Iron Maiden-Drummer) stieg
laut dem großen Trust-Stammbaum schon im Juni 1980 bei Trust ein,
jedoch saß im Zeitraum der Tour Keven Morris am Schlagzeug, der dann
ab 1982 bei der Blues-Rock-Band Dr. Feelgood einstieg, die man auch heute
immer wieder mal in kleineren Clubs in Deutschland hören kann. Moho
Shemlek aus der Frühzeit von Trust unterstützte live an der Gitarre.
Der
Titel des, im Oktober 1981 erschienenen, dritten Trust-Albums ist möglicherweise
dem britisch-amerikanischem Film Marschier oder stirb (March Or
Die) von 1977 entlehnt, der 1918 in der Fremdenlegion in Marokko spielt.
"Marschier oder stirb" ist hier das Motto eines Gewaltmarsches
durch die Wüste, bei dem der Rekrut, der das Tempo nicht halten kann,
zurück gelassen werden soll.
Für Klaus und mich endet mit Marche Ou Crève die kompromisslose
(mit einem Abstrich, wie wir sehen werden) Frühphase der Band; der
Band-Homepage zufolge war es das Album, das Trust nun endlich auch international
bekannt machte, wozu vor allem die englische Fassung Savage beitrug.
Auch das politische Klima änderte sich in Frankreich, indem nach 23
Jahren die konservative Regierung durch die Sozialisten unter Francois Mitterand
abgelöst wurde.
Moho Shemlek ist nach der erfolgreichen Tour nun auch wieder als zweiter
Gitarrist auf dem Album dabei, Nicko McBrain gibt bis Juni ’82 sein Gastspiel
als Drummer bei Trust. Das nächste Album, auf dem er zu hören
sein wird, erscheint 1983, heißt Piece Of Mind, und die Band
trägt den Namen Iron Maiden.
Das Cover des Albums mag manchem stark klischeebeladen vorkommen, aber was
charakterisiert den Sound eines guten Hardrock-Albums besser, als eine mit
einem Nietenarmband bewehrte Hand, die eine Gibson-E-Gitarre aus dem Inneren
eines Röhrenverstärkers hervor stößt? Gewohnt einfallslos
hingegen ist Savage, welches erneut ein Live-Foto ziert.
Die Texte von Marche Ou Crève wurden für Savage
von einer gewissen Sandy Glespen teilweise wörtlich ins Englische übertragen,
was dem Gesangsfluß erneut nicht dienlich war, uns aber einen detailierten
Vergleich der beiden Fassungen erspart. Auf dem Nachfolgealbum praktizierten
Trust das genaue Gegenteil. Mir persönlich ist jedoch ein etwas holpriger,
aber inhaltlich interessanter Text lieber als harmonischer Stumpfsinn.
Die zeitgeschichtlichen Bezüge, die auf Marche Ou Crève
zu finden sind, sind 25 Jahre nach der Entstehung des Albums oft nicht mehr
so leicht nachzuvollziehen, vor allem für jüngere Hörer, die
Trust neu entdecken (was auch ein Anliegen dieses Textes ist). Wobei Klaus
und ich Wert darauf legen, beileibe nicht zur Gattung der Fossilien zu gehören
(weshalb ich bei einigen Themen auch erstmal bei Wikipedia nachschlagen mußte).
Gleich drei Songs kreisen um die Militärdiktaturen in Südamerika.
Répression ("In the vomit of the torture hall : repression
/ Masked eyes, backs against the wall : repression /Slaughtered children under
military rules : repression /Stadiums of Chile where you pray like a fool
: repression /Repression, repression, repression, repression !"), La
Junte / The Junta ("The junta of South America where your only right
is silence /The junta of Videla, Somoza, Pinochet, Straisner (Alfredo
Stroessner, 35 Jahre Diktator von Paraguay – Anmerkung d. Texters) / Who
had the hides of your people as the spoils of war /And finaly the junta propaganda
prepares for alignment") und Les Templiers/ The Crusades.
Mit den Kreuzrittern sind u. a. die Vereinigten Staaten gemeint, wenn auch
nicht explizit genannt, die in dem von 1980 bis 1991 dauernden Bürgerkrieg
das rechtsgerichtete Regime in El Salvador mit Militärgerät unterstützen.
Gleichzeitig bezieht sich der Song auf den Bürgerkrieg in Nordirland,
aber Bernie lässt hier offen, welche Seite die "Richtige" ist,
sondern kommentiert den angeblich religiös motivierten Bürgerkrieg
sarkastisch ("One god for the rich one god for the poor /One god for
the just /The rest is for us /Continue to fight to please the gods /Continue
to cut throats to sacrifice").
Augusto
Pinochet, Diktator in Chile von 1973 bis 1990, starb am 10. Dezember 2006
an einem Herzinfakt. Für seine Verbrechen, man geht von etwa 3.000
Ermordeten, mindestens 1.000 "verschwundenen" und etwa 30.000
gefolterten Menschen aus, wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Die laufenden
Verfahren wurden durch seinen Tod eingestellt; ein Staatsbegräbnis
wurde ihm verweigert. Paul Schäfer, der deutsche Sektenführer,
der über die von ihm gegründete Colonia Dignidad - ein
perfektes geschlossenes Lager in Chile - herrschte, wurde erst im Mai 2006
im Alter von 84 Jahren wegen Kindesmißbrauchs zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Die Colonia
Dignidad war während Pinochets Militärdiktatur praktisch
eine Zweigstelle des chilenischen Geheimdienstes.
Schon in früheren Songs wurde die Sowjetdiktatur von Bernie kritisiert.
Den russischen Einmarsch in der Tschechoslowakei am 21. August 1968, der den
Prager Frühling beendete, vergleicht er in Les Brutes/Mindless
mit der Besetzung durch die Nazis ("Mindless beasts searching for
a victim / Can’t recognize the uniform / Bringing back vague memories").
Das Vertrauen in die eigene Regierung ist jedoch auch nicht sonderlich groß
("Surrounded by the impotent and self-satisfied / You promise us contentment
in record time"), aber in La Grande Illusion / The Big Illusion
ruft Bernie nicht zur gewaltätigen Revolution auf, sondern dazu, eine
Änderung durch die Abgabe seiner Stimme an der Wahlurne herbeizuführen
("Vote, vote, vote!") bzw. überhaupt einmal den Mund
aufzumachen. Im Text wird auch das Bandlogo, der Bulldozer, erklärt:
. "... My bulldozer is the symbol of the angry youth / That refuses
all your deals and twisted truths...". Dies kann man wohl als Credo
von Trust stehen lassen, und mit den 25 Jahren, die Bernie alt war, als Marche
Ou Créve erschien, wirkt er als angry young man auch durchaus
noch glaubwürdig.
War das Vorgängeralbum Répression schon Bon Scott gewidmet,
setzt die Band ihm auf dem Nachfolgealbum mit Ton Dernier Acte / Your Final
Gig ein musikalisches Denkmal. Die enge menschliche Verbundenheit zu Bon
Scott drückt die letzte Strophe aus: "I wish that I had been
there sitting close to you / From the coma to death, my friend, you'd never
have gone right through / I would have kept you warm I know , never have left
you there / And I'm angry even now I missed you by so little / I wanted to
speak of this guy who died in February / I wanted to speak of Bon Scott, he
was my best mate".
Etwas seltsam mutet es an, daß der Song Misère nicht auf
Savage übernommen wurde (auf der Bandhomepage wird rückwirkend
von einem "political and strategic manoeuvre" gesprochen). In dem
Song beklagt Bernie zuerst den Niedergang der einst von ihm verehrten Rock’n’Roll-Helden,
um danach auf die Regierung Thatcher loszugehen, die er für den wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Verfall Englands einhergehend mit Käuflichkeit
des englischen Establishments und der Entstehung von Armenghettos verantwortlich
macht. Ausschlaggebend für die Verbannung des Songs mag die Erwähnung
des Nordirland-Konflikts und insbesondere des bekannten IRA-Kämpfers
Bobby Sands
(http://de.wikipedia.org/wiki/Bobby_Sands) gewesen sein. Bobby Sands starb
an den Folgen eines Hungerstreiks am 5. Mai 1981. "Wes Brot ich ess,
des Lied ich sing", mag in diesem Zusammenhang übertrieben sein,
ein schaler Beigeschmack bleibt aber.
Englische Bands taten sich leichter, die Zustände im eigenen Land zu
beschreiben, z.B. Judas Priest aus dem Industriemoloch Birmingham, damals
noch als das "Evangelium des Heavy Metal" gerühmt, verfassten mit Breaking
the Law vom legendären British Steel-Album einen Text zum
englischen Dilemma der späten Siebziger/frühen Achtziger, worin
sie ziemlich drastisch die Selbstrechtfertigung eines exemplarischen Underdogs
thematisieren, der Kriminalität als einzigen Ausweg aus seiner Chancen-
und Perspektivlosigkeit sieht (siehe auch Comme Un Damné auf
L’Elite).
Beim Schreiben dieses Artikels habe ich mir öfter die Frage gestellt,
ob es eigentlich in Deutschland eine vergleichbare Band wie Trust gab, also
die Verbindung von aggressiven Rock mit politischen Texten. Zeitgenossen waren
BAP, die sich 1976 gründeten, und deren Frontmann Wolfgang Niedecken,
der heute das einzige verbliebene Gründungsmitglied ist, nur fünf
Jahre älter als Bernie Bonvoisin ist; und Gitarrist (von 1980 bis 1999)
Klaus "Major" Heuser kann als Gegenstück zu Norbert "Nono"
Krief gesehen werden. Der kommerzielle Erfolg in der gemeinsamen Wirkenszeit
dürfte in Deutschland ähnlich gewesen sein, wie der bei Trust in
Frankreich, obwohl man BAP nur in der Gegend um Köln ohne Textblatt verstanden
hat. Textlich standen und stehen BAP eher in der Tradition von Bob Dylan oder
Bruce Springsteen, also politisch engagiert und lyrisch anspruchsvoller. Ich
kenne von BAP nicht so viel, vor allem die letzten 15 Jahre ihres Schaffens
muß ich mir nicht antun, aber auf den frühen Alben oder auf dem
Live-Album Bes demnähx von 1983 kracht’s manchmal ganz gut. Trotzdem
vermute ich daher mal, daß die Schnittmenge mit dem Publikum der Sex
Pistols , AC/DC oder Rose Tatoo nicht allzu groß war. Deutschrock allgemein
hatte bis etwa Mitte der 90er Jahre ja oft etwas unangenehm Sozialpädagogenhaftes
(wurde also offensichtlich nicht von Leuten gemacht, die in dem Bereich arbeiten,
und falls doch – umso schlimmer...), die Sprache von Trust war da schon drastischer
und konkreter - als Wahlhelfer für die SPD konnte man sich die Band wohl
kaum vorstellen!
Tatsächlich als Wahlhelfer war auch eine andere deutschsprachige Rock-Band
unterwegs, und zwar 1984 für die Grünen, aber da waren Ton Steine
Scherben schon am Ende. Ihre damalige Managerin, Claudia Roth, machte jedoch
bei der Partei Karriere. Als "Brüder im Geiste" stehen sie
Trust sicher näher als BAP, wenngleich sie eine vielleicht etwas naive
Vorstellung vom Kampf und Sieg der "Arbeiterklasse" hatten. Ihre
Hochzeit hatten die Scherben mit ihren ersten drei Alben von 1971 bis 1973,
insbesondere mit dem Klassiker Keine Macht für Niemand, passenderweise
hat der Titel des letzten Trust-Albums Ni Dieu, ni Maître ("Weder
Gott noch Herr" – ein Motto der Anarchisten) eine ähnliche Aussage.
Mehr zu TSS findet ihr auch in diesem Web-Zine und
zwar hier. Kommerziellen Erfolg hatten die Scherben praktisch keinen,
auch weil dieser in der Szene, aus der sie ihr Publikum rekrutierten, verpönt
war. Rio Reiser mußte mit seiner Solo-Karriere den riesigen Schuldenberg
abbezahlen. Die Band versuchte, ihre politischen Botschaften zu leben, u.
a. in der Landkommune in Fresenhagen, scheiterte schließlich aber doch
an den eigenen Ansprüchen oder den zwischenmenschlichen Realitäten.
Und das Verhaftetsein in der linken und linksradikalen Szene stand einer größeren
Wirkung nach außen entgegen. Erst viele Jahre später wurde die
immense Bedeutung der Band für die deutsche Rock-Musik deutlich.
Ton Steine Scherben durften sich nie eingestehen, eben auch Rock-Stars sein
zu wollen (denn die Vorbilder waren schließlich nicht Marx und Engels,
sondern die Stones und MC5), BAP hingegen hatten nie ein Problem damit, in
großen Hallen aufzutreten und dafür entsprechend entlohnt zu werden.
Beides zusammen, politisch deutliche Aussagen und kommerzieller Erfolg als
Rock-Band oder –Star, scheint in Deutschland nicht zu funktionieren. Wie schon
eingangs vermutet, ist dies vielleicht eine Mentalitätsfrage. Das Rock-Album
und das Live-Konzert als zeitgemäßer Ausdruck der in der französischen
Kultur verwurzelten Einstellung zum Thema "Revolution". Hierzulande
tut man sich damit und mit der eigenen Geschichte überhaupt schwer und
glaubt, der Welt mit Sachen wie der Fussballweltmeisterschaft beweisen zu
müssen, daß man "ja eigentlich ganz anders ist" und dabei
Nazis in ostdeutschen Parlamenten sowie latenten Antisemitismus in der Gesamtbevölkerung
unterschlägt. "Patriotismus", oder wie immer man das bezeichnen
will, wird dann mit Deutschlandfähnchen am Auto und peinlichen Hip-Hop-Hymnen
auf die Nationalmannschaft ausgedrückt. Die Tatsache, daß wir auf
dem besten Weg sind, daß das neue "Prekariat" wohl auf Dauer
Deutschland stärker repräsentiert als hochbezahlte Spitzensportler
im Fußballtrikot, passt nicht in dieses Deutschlandbild. Womit ich doch
noch irgendwie die Kurve zurück zur Philosophie von Trust gekriegt habe.
Und wir wieder zu Marche Ou Crève zurückkehren können.
Nach Veröffentlichung des Albums war die Band u. a. in
Deutschland (zusammen mit Iron Maiden) unterwegs, und das Konzert vom 5. Juni
1982 in Köln wurde europaweit im Fernsehen im "Rockpalast"
übertragen (außer in Frankreich) – mit L’Elite und Antisocial
in 7- bzw. 8-Minuten-Fassungen und Bernie im Solidarnosc-Shirt! Die Band stand
vor der Entscheidung, entweder mit AC/DC oder Judas Priest in den USA zu touren
oder weiter Frankreich zu beackern. Man konnte sich nicht entscheiden, und
so ging es in Frankreich weiter. Die Tour mit Auftritten in großen Arenen
mit dem "Bulldozer" auf der Bühne (schön auf dem Cover
von Savage zu sehen) wurde ein finanzielles Desaster. Der Anfang vom
Ende kündigte sich an.
- Martin - (mit Ergänzungen von Klaus)
Bildnachweis: (1) vom Innersleeve von "L'Elite"Trust
1982, (2) Magazincovers, collec privée B. Renotte, www.trust.tm.fr, (3)
Backcover "Répression", (4) Trust mit Bon Scott, Innersleeve
"Répression", (5) "Marche Ou Crève" Cover,
(6) Trust 1982, Archives perso Christophe Conan, www.trust.tm.fr, (7) Augusto
Pinochet 1975, Archivo Clarín Argentina, public domain, (8) Schriftzug des
"Keine Macht Für Niemand"-Albums von Ton Steine Scherben