Zur Rubrik "Musikmacher"
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L‘Elite

Der erste handfeste biographische Fakt, den ich hier nennen muß, ist der, daß ich gerade erst eingeschult worden war, als Trust im Januar 1978 ihre erste Single mit den Songs Prends Pas Ton Flingue und Paris by Night (Cover des AC/DC-Songs Love At First Feel) rausbrachten. Bernard "Bernie" Bonvoisin (Gesang) und Norbert "Nono" Krief (Gitarre) begründen hier ihre kreative Partnerschaft, die bis zum Ende von Trust anhalten wird. Raymond "Ray" Manna spielt den Bass, Jeannot Hanela trommelt und Moho Shemlek unterstützt mit einer zweiten Gitarre. Gräbt man etwas tiefer in den Archiven, stößt man 1976 auf die "Daffy Dog Band" und auf "Killerdrink" bei denen Bernie am Schlagzeug saß. 1977 taucht er bei einer Band namens "Taxi" ebenfalls als Schlagzeuger auf, um kurz danach den Gesang zu übernehmen; Ray spielt dort bereits den Bass. Seine Haupteinkünfte bezieht Bernie damals aus seiner Tätigkeit als Beleuchter im legendären Konzertsaal Olympia in Paris. Irgendwann im Sommer 1977 trifft Bernie Nono Krief, der vorher beim Club Méditerranée in Marokko Gitarre spielte, und zusammen mit Ray gründen sie Trust. Anfangs spielen sie in Pariser Clubs Coverversionen von AC/DC- und Sex-Pistols-Songs, eine Mischung die den Stil von Trust wesentlich beeinflussen sollte. Ein Vertrag mit EMI ermöglicht die erste Single, die in den Pathé Studios aufgenommen wird, wo die Rolling Stones gerade an Some Girls arbeiten. Hier treffen sie zum ersten Mal Bon Scott, der die Stones im Studio besucht. Dieser ist von Paris by Night begeistert und eine Freundschaft zwischen Bernie und Bon entsteht. Die Single hingegen floppt mangels Interesse des Labels, worauf Bernie wütend den Vertrag mit EMI kündigt.
Durch die Unterstützung von Bon Scott können Trust im Oktober 1978 an der Seite von AC/DC im "Stadium" in Paris neue Songs spielen, die schließlich auch auf ihrem ersten Album landen werden, welches durch einen Vertrag mit CBS (heute Sony Music) zustande kommt. Es wird innerhalb von 15 Tagen in England aufgenommen. Moho ist auf dieser Platte nicht zu hören, wird aber später wieder zu Trust stoßen. Betitelt ist das Werk schlicht Trust, später ist es auch unter dem Namen L’Elite bekannt; auf der CD-Hülle wurde nachträglich ein entsprechender Aufkleber angebracht. Das Cover zeigt eine gezeichnete Hand, die wohl von einer starken Lichtquelle durchschienen wird, und an der eine schwarze Flüssigkeit runterläuft. Mit der Covergestaltung sollten Trust auch in Zukunft keinen Blumentopf gewinnen. Die Passbilder der Bandmitglieder und die Schreibmaschinenschrift auf dem Innencover scheinen offensichtlich vom zweiten australischen AC/DC-Album T. N. T. (welches später, leicht verändert, unter dem Titel High Voltage im Rest der Welt unter Strom setzen sollte) beeinflusst.
Die Sound ist, entsprechend der kurzen Aufnahmezeit, rauh, und Nonos Gitarrenspiel läßt schon seinen zukünftigen Status als französischer guitar hero erahnen.
Bernies Texte sind sehr sozialkritisch und plakativ. Es drängt sich der Verdacht auf, daß sich hier jemand den eigenen Frust vieler vergangener Jahre von der Seele schreit. Obwohl eindeutig anarchistisch bzw. politisch links geprägt, lehnen Trust das sowjetische Regime ab. Zum Ausdruck kommt dies in Songs wie Dialogue de Sourds ("Dialog der Tauben (Gehörlosen)") oder H & D. H & D – oder Hôpital & Débiles ("Krankenhaus & Irre") beispielsweise - handelt von willkürlichen Inhaftierungen von Regimegegnern im Moskauer Lubjanka-Gefängnis durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD und dessen Nachfolger KGB. In den Kellerräumen wurden seit 1920 mehrere hunderttausend Menschen verhört und gefoltert. Das Gefängnis wurde erst 1991 geschlossen.
Mit den "Tauben" ist jene Fraktion der französischen Linken gemeint, die in den Siebzigern und Achtzigern kritiklos die vermeintlichen Errungenschaften des "Sozialismus" in der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten pries. Die "Befreiung der Arbeiterklasse" fand indes tatsächlich dadurch statt, daß man die "Freiheit" eingeprügelt bekam. Bernie findet das Gehabe dieser Salonkommunisten, die die Augen vor der Realität in diesen Diktaturen verschließen, schlicht "schwuchtelig" und beklagt, daß "man in dieser Hure von einem Land immer noch nichts kapiert hat".
Jedoch bleibt auch die herrschende Kaste in Frankreich und anderen Demokratien nicht von der zugegebenermaßen manchmal etwas ziellosen Wut Bernie Bonvoisins verschont. In L’Elite wird ihr Scheinheiligkeit und Verlogenheit vorgeworfen, daß sie Meineide schwört und Verträge bricht, nach vorne lächelt und hintenrum die Abweichler mit Hilfe des Polizeistaats einsperrt. In einer solchen Gesellschaft haben jene, die eh‘ schon am Rand leben, wenig Chancen auf ein besseres Leben, egal, wie sehr sie sich abrackern. Versuchen sie dann, sich durch Kriminalität ein Stück vom Kuchen der anderen zu holen, lernen sie ein Justizsystem kennen, das auf Wegsperren statt auf Resozialisierung setzt. So läßt sich der Tenor von Comme Un Damné umschreiben. Ohne daß er hier explizit genannt wird, fließen hier schon Gedanken von Jaques Mesrine ein, wie er sie in seinem Buch Der Todestrieb veröffentlicht hat. Wir werden später noch von ihm hören.
Die Polizei ist dann, wen wundert’s, die ideale Verkörperung des Feindbilds, auf das Bernie einprügelt. Und um auf Mißstände aufmerksam zu machen, ist manchmal Polemik und Schwarzweiß-Malerei notwendig. So wird in Police Milice jungen Leuten, als Hauptmotivation, Polizist zu werden, unterstellt, wenigstens durch die Uniform zu einem Hauch von Prestige zu kommen und ansonsten auf Kreuzungen zu posieren und Leute zu bescheißen, um die eigene Dummheit zu verdecken, ohne zu merken, daß sie selbst nur Knechte des Systems sind, die die Aufgabe haben, die Sklaven der Konsumgesellschaft in die richtige Richtung zu dirigieren. Der widerliche Schnauzbartträger, der hier vorgestellt wird, schwelgt dann im Ruhestand von den Nutten und den niedergeknüppelten jungen Leuten.
Ebenfalls ohne Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten wird die blasierte Pariser Disco-Szene (seit jeher Feind jedes Hardrockers, klar) in Palace beschrieben. Einer meiner Favoriten des Debuts ist, neben Préfabiqués, Bosser Huit Heures ("Acht Stunden schuften", man muß diesen Song über die Ausbeutung am Arbeitsplatz nicht näher erläutern) , welches mit seiner vollen Wucht auf dem Live-Album zur 1980er-Tour durchbricht.
Préfabriqués schließlich ist auch nach Meinung von Klaus der beste Text dieses Albums. Und auch ohne große Französischkenntnisse weiß man anhand des leidenschaftlichen Vortrags, worum’s in diesem Lobgesang auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung geht. Als "Vorgefertigt" werden hier die Mitglieder einer übersättigten Gesellschaft beschrieben, die glauben, die Reizüberflutung ihres Gehirns durch das Fernsehen als "Meinung" ausgeben zu müssen. Bernie will mit dieser Gesellschaft nichts zu tun haben; eine vernünftige Auseinandersetzung ist mit ihr nicht möglich, Zerstörung der einzige Weg. "Macht kaputt, was euch kaputt macht" also, wie es Ton Steine Scherben neun Jahre zuvor formulierten.
Die Texte transportieren also keine abstrakten Botschaften oder politischen Theorien, sondern befassen sich klar mit den Problemen der unterprivilegierten Schichten in Frankreich und dem, was nach Bernies Ansicht falsch im seit vielen Jahren konservativ regierten Frankreich und im Rest der Welt des Kalten Krieges läuft. Bernie kennt diese Welt nicht nur aus der Zeitung. Er wuchs in einer Vorstadt im Westen von Paris auf und bekam die Entstehung der Armen-Ghettos hautnah mit, und sein Vater, Gewerkschaftmitglied, wurde arbeitslos.
Natürlich findet sich mit Ride On ein AC/DC-Song auf dem Album, der auch auf Englisch gesungen wird. Es existiert auch eine Aufnahme der Session, bei der Bon Scott den Song mitsingt, sechs Tage vor seinem Tod am 19. Februar 1980. Viele Jahre wurde sie unter Verschluß gehalten wurde, auf der offiziellen Trust-Site kann man sich den Song nun herunterladen.

Nach dem Release des Debüts folgt eine Tour mit sagenhaften 55 Konzerten alleine in Frankreich, welche, unterstützt durch Mundpropaganda, die Band extrem populär macht. Ray verläßt die Band, um weiterhin als Manager für sie zu arbeiten und Yves "Vivi" Brusco nimmt den Bass in die Hand. Diese Besetzung, Bernie, Nono und Vivi (mit wechselnden Schlagzeugern) sollte für Trust das werden, was bei Deep Purple als "Mark II" (Blackmore, Gillan, Lord, Paice, Glover) in die Rockgeschichte einging. Am Ende der Tour spielen Trust im Januar 1980 in Paris vor 10.000 Fans und anschließend im Gefängnis Fleury Mérogis (wo auch der legendäre "Staatsfeind Nr. 1", Jacques Mesrine, 1976 im Hochsicherheitstrakt saß) vor 200 Häftlingen. Ganz neu war diese Idee zwar nicht, Johnny Cash hatte es Ende der 60er Jahre mit Konzerten im Folson Prison und in San Quentin vorgemacht, aber bei Trust wirkte es authentischer als 23 Jahre später, als Metallica in San Quentin ihr St. Anger-Video drehten. Auch die eingangs erwähnten Rose Tattoo entschieden sich übrigens für einen Knast als Kulisse für einen Livegig; sie spielten 1993 im Bogo Road Jail im heimatlichen Brisbane vor 12.000 schwer begeisterten Knackis und "braven" Bürgern. So viel zum Thema Authentizität...

Répression

Im Mai 1980 wird Répression veröffentlicht, welches in London aufgenommen worden war. Am Schlagzeug sitzt weiterhin Jeannot Hanela, Ray wird durch Yves "Vivi" Brusco am Bass ersetzt.
Auf dem Cover taucht zum ersten Mal der klassische Trust-Schriftzug auf, ansonsten ist es eher nichtssagend: Die vier Bandmitglieder schauen in die Kamera, wobei ein auf Brusthöhe liegender Spiegel die Gesichter verzerrt. Das Backcover zeigt die Band mit Fans und wurde möglicherweise in einem kleinen Club aufgenommen. Das Outfit der Beteiligten reflektiert ganz gut die Stellung von Trust zwischen Hard Rock und Punk – Motorrad-Lederjacke, lange Haare und getönte Pilotenbrille einerseits, gefärbte kurze oder aufgestellte Haare und Anflüge von Bondage in den Klamotten bei einem weiblichen Fan andererseits.
Gleichzeitig veröffentlichen Trust eine englische Version des Albums, ebenfalls Repression (jedoch in der englischen Schreibweise) betitelt. Das Cover der version anglaise zeigt eine Live-Szene. Die Texte wurden von Jimmy Pursey von der englischen Punk-Band Sham 69 relativ wortgetreu übersetzt, was den Gesangsfluss manchmal etwas holprig machte, vor allem weil Bernie auch bei keiner Zeile den Eindruck erwecken will, er sei native speaker des Englischen. Dies wirkt aber eher charmant als peinlich (remember Teutonenenglisch a la "Rack ju leik a harikän"). Somit wurde Trust zur einzigen französischen Rock-Band, die es schaffte auch außerhalb Frankreichs für Furore zu sorgen, im Gegensatz zu Sortilège, H-Bomb oder Der Kaiser. Gewidmet ist Répression dem am 19. Februar 1980 verstorbenen Bon Scott, der das Album ursprünglich übersetzen sollte.

Répression darf sicher als das Trust-Album angesehen werden, und Bernie meint auch im Interview mit dem Rock Hard Nr . 69 im Februar 1993: "In der Geschichte der meisten Bands gibt es nur ein Album, das wirklich die Essenz des gesamten Schaffens darstellt, und das war bei uns ‚Repression‘. Ein nahezu perfektes Album.".
Welches mit dem bekanntesten Song von Trust, mit Antisocial beginnt, der in eine ähnliche Richtung wie Préfabriqués zielt. Antisocial (nicht zu verwechseln mit dem soziologischen bzw. psychopathologischen Begriff "asozial") sind für Bernie jene Menschen, denen Geld alles bedeutet, und die glauben, damit glücklich zu sein. Die englische Fassung, die später durch Anthrax noch populärer wurde, ist etwas weniger scharf als der ursprüngliche Text, wo es u. a. heißt "Du arbeitest dein Leben lang, um deinen eigenen Grabstein zu bezahlen ... du versteckst dein Gesicht hinter der Zeitung ... gehst wie ein Roboter durch die Gänge der U-Bahn ... es kümmert niemanden, ob du da bist oder nicht, es liegt nur an dir, den ersten Schritt zu tun".
Zeitgeschichtliche Themen behandeln Monsieur Comédie und Les Sectes.
Mit Monsier Comédie ist der Ayatollah Khomeini gemeint, der 1978 ins sichere Exil nach Frankreich ging und hier den Schutz eines demokratischen Staates genießen konnte, um im Februar 1979 während der Iranischen Revolution als politischer und spiritueller Führer in den Iran zurück zu kehren um hier einen "Gottesstaat" zu errichten. 1989 rief er zur Tötung des Schriftstellers Salman Rushdie auf, da dieser sich seiner Ansicht nach mit den "Satanischen Versen" der Blasphemie schuldig gemacht hatte.
In Les Sectes wird vom, durch den Prediger Jim Jones befohlenen, Massenselbstmord der "Volkstempler"-Sekte auf Guyana am 18. November 1978 berichtet. In der französischen Fassung werden außerdem die manipulativen Praktiken der Hare Krishna-Sekte erwähnt, also erweiterte Kritik an totalitären Religionen geübt; in der englischen Fassung fehlt dieser Punkt. Wie bereits erwähnt wurde auch Sects später von Anthrax gecovert.
Die Unterprivilegierten in den Pariser Vorstädten, den Banlieues, denen Fatalité (bzw. Pick Me Up – Put Me Down) gewidmet ist, meldeten sich im Oktober und November 2005 wieder lautstark zu Wort, als sich Unruhen von Paris aus über ganz Frankreich ausbreiteten. Die verfehlte Sozial- und Integrationspolitik, die Trust nicht nur in diesem Song anprangerten, war Ursache für diesen Ausbruch von Gewalt. Nüchterner als Bernies Texte, aber ebenso treffend, ist bei Wikipedia zur Situation 2005/2006 zu lesen: "Jüngste Einsparungen und Sozialabbau, und konservative Law and Order-Politik vor allem auf kommunaler Ebene verschärften die Situation. Die bestehende Frustration wurde neben ethnischen und religiösen Spannungen durch das Gefühl verstärkt, politisch ignoriert und lediglich durch die Polizei ruhig gestellt und schikaniert zu werden. Ein Teilnehmer der Ausschreitungen sagte: ‚Die Menschen vereinen sich, um zu sagen, daß wir genug haben. Wir leben in Ghettos. Jeder lebt in Angst.‘ Der Soziologe Michel Wieviorka deutete in Medien die Ereignisse als Revolte gegen die Ordnung, die Jugendlichen griffen Symbole des Staates an. Die Integration habe versagt, die Einwohner fühlten sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und perspektivlos."
Der Film La haine (dt. Titel: Hass) von Mathieu Kassovitz aus dem Jahr 1995 befasst sich ebenfalls mit der Situation in den Banlieues; Bernie spielt in dem Film eine kleine Nebenrolle.
Eine Sonderstellung nehmen die beiden Songs Instinct de Mort (Death Instinct) und Le Mitard ein (welcher als einziger Song in der englischen Fassung des Albums nicht übersetzt wurde). Sie nehmen Bezug auf Jacques Mesrine, zu dem ein kleiner Exkurs hier zu lesen ist.
Falsch verstanden werden könnte der Titel Au Nom De La Race (In The Name Of The Race), jedoch meint Bernie hiermit die menschliche Rasse und deren Entfremdung in einer künstlichen Welt voller aseptischem, lebensfeindlichem Zierat.
Die englische Version ist politischer formuliert und einen ganzen Zacken kämpferischer, die französische erstaunlich neutral gehalten.
Interessant ist die unterschiedliche inhaltliche Ausrichtung von Saumur und dem englischen Gegenstück Paris Is Still Burning. Saumur ist eine kleine Stadt im Westen von Frankreich, die hauptsächlich durch Weißwein, Sekt und Champignons bekannt ist, und steht exemplarisch für ein spießiges Provinzkaff. Bernie nimmt es als Sinnbild für Mief und Heuchelei, wo man als Abweichler von den "anständigen" Bürgern quasi gemeuchelt wird.
Auf Paris als Hauptstadt Frankreichs projiziert Bernie all‘ seine Vorbehalte gegenüber dem sogenannten Fortschritt, sowohl in technischer Hinsicht in Form der Bedrohung durch die Atombombe als auch in menschlicher durch zunehmende soziale Kälte.
Bernie weigert sich, der Unterdrückung ("Répression"), sei es durch tatsächliche staatliche oder systemimmanente Gewalt, nachzugeben, sondern ruft die Hörer auf, sich ihrer eigenen Würde, die nicht vom sozialen Status abhängt, bewußt zu werden und sich generell einer schleichenden Vereinnahmung durch seine Umwelt zu widersetzen.
Somit sind auf Répression alle Themen versammelt, die Trust bzw. Bernie Bonvoisin wichtig sind und deren Grundtenor man auf den späteren Alben wieder begegnen wird, unabhängig von musikalischen Veränderungen.
Musik mit Worten zu beschreiben ist ein schwieriges Unterfangen, jedoch meint Klaus, der es im Gegensatz zu mir auch wagen kann, öffentlich mit seiner Gitarre aufzutreten, daß Répression auf jeden Fall stilprägend für nachfolgende Bands war, insbesondere durch die Verwendung von "Powerchords mit übermäßiger Quinte".
Live umgesetzt wurde das Album auf der fulminanten Repression dans L’Hexagone-Tour, mit 65 Konzerten und zehn- bis fünfzehntausend Besuchern jede Nacht. Die Auftritte der Tour wurden von manchen Städten teilweise zensiert. Der auf dem Folgealbum Marche Ou Crève als Schlagzeuger zu hörende Nicko McBrain (der spätere Iron Maiden-Drummer) stieg laut dem großen Trust-Stammbaum schon im Juni 1980 bei Trust ein, jedoch saß im Zeitraum der Tour Keven Morris am Schlagzeug, der dann ab 1982 bei der Blues-Rock-Band Dr. Feelgood einstieg, die man auch heute immer wieder mal in kleineren Clubs in Deutschland hören kann. Moho Shemlek aus der Frühzeit von Trust unterstützte live an der Gitarre.

Marche Ou Crève

Der Titel des, im Oktober 1981 erschienenen, dritten Trust-Albums ist möglicherweise dem britisch-amerikanischem Film Marschier oder stirb (March Or Die) von 1977 entlehnt, der 1918 in der Fremdenlegion in Marokko spielt. "Marschier oder stirb" ist hier das Motto eines Gewaltmarsches durch die Wüste, bei dem der Rekrut, der das Tempo nicht halten kann, zurück gelassen werden soll.
Für Klaus und mich endet mit Marche Ou Crève die kompromisslose (mit einem Abstrich, wie wir sehen werden) Frühphase der Band; der Band-Homepage zufolge war es das Album, das Trust nun endlich auch international bekannt machte, wozu vor allem die englische Fassung Savage beitrug. Auch das politische Klima änderte sich in Frankreich, indem nach 23 Jahren die konservative Regierung durch die Sozialisten unter Francois Mitterand abgelöst wurde.
Moho Shemlek ist nach der erfolgreichen Tour nun auch wieder als zweiter Gitarrist auf dem Album dabei, Nicko McBrain gibt bis Juni ’82 sein Gastspiel als Drummer bei Trust. Das nächste Album, auf dem er zu hören sein wird, erscheint 1983, heißt Piece Of Mind, und die Band trägt den Namen Iron Maiden.
Das Cover des Albums mag manchem stark klischeebeladen vorkommen, aber was charakterisiert den Sound eines guten Hardrock-Albums besser, als eine mit einem Nietenarmband bewehrte Hand, die eine Gibson-E-Gitarre aus dem Inneren eines Röhrenverstärkers hervor stößt? Gewohnt einfallslos hingegen ist Savage, welches erneut ein Live-Foto ziert.
Die Texte von Marche Ou Crève wurden für Savage von einer gewissen Sandy Glespen teilweise wörtlich ins Englische übertragen, was dem Gesangsfluß erneut nicht dienlich war, uns aber einen detailierten Vergleich der beiden Fassungen erspart. Auf dem Nachfolgealbum praktizierten Trust das genaue Gegenteil. Mir persönlich ist jedoch ein etwas holpriger, aber inhaltlich interessanter Text lieber als harmonischer Stumpfsinn.

Die zeitgeschichtlichen Bezüge, die auf Marche Ou Crève zu finden sind, sind 25 Jahre nach der Entstehung des Albums oft nicht mehr so leicht nachzuvollziehen, vor allem für jüngere Hörer, die Trust neu entdecken (was auch ein Anliegen dieses Textes ist). Wobei Klaus und ich Wert darauf legen, beileibe nicht zur Gattung der Fossilien zu gehören (weshalb ich bei einigen Themen auch erstmal bei Wikipedia nachschlagen mußte).
Gleich drei Songs kreisen um die Militärdiktaturen in Südamerika. Répression ("In the vomit of the torture hall : repression / Masked eyes, backs against the wall : repression /Slaughtered children under military rules : repression /Stadiums of Chile where you pray like a fool : repression /Repression, repression, repression, repression !"), La Junte / The Junta ("The junta of South America where your only right is silence /The junta of Videla, Somoza, Pinochet, Straisner (Alfredo Stroessner, 35 Jahre Diktator von Paraguay – Anmerkung d. Texters) / Who had the hides of your people as the spoils of war /And finaly the junta propaganda prepares for alignment") und Les Templiers/ The Crusades. Mit den Kreuzrittern sind u. a. die Vereinigten Staaten gemeint, wenn auch nicht explizit genannt, die in dem von 1980 bis 1991 dauernden Bürgerkrieg das rechtsgerichtete Regime in El Salvador mit Militärgerät unterstützen. Gleichzeitig bezieht sich der Song auf den Bürgerkrieg in Nordirland, aber Bernie lässt hier offen, welche Seite die "Richtige" ist, sondern kommentiert den angeblich religiös motivierten Bürgerkrieg sarkastisch ("One god for the rich one god for the poor /One god for the just /The rest is for us /Continue to fight to please the gods /Continue to cut throats to sacrifice").
Augusto Pinochet, Diktator in Chile von 1973 bis 1990, starb am 10. Dezember 2006 an einem Herzinfakt. Für seine Verbrechen, man geht von etwa 3.000 Ermordeten, mindestens 1.000 "verschwundenen" und etwa 30.000 gefolterten Menschen aus, wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Die laufenden Verfahren wurden durch seinen Tod eingestellt; ein Staatsbegräbnis wurde ihm verweigert. Paul Schäfer, der deutsche Sektenführer, der über die von ihm gegründete Colonia Dignidad - ein perfektes geschlossenes Lager in Chile - herrschte, wurde erst im Mai 2006 im Alter von 84 Jahren wegen Kindesmißbrauchs zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die Colonia Dignidad war während Pinochets Militärdiktatur praktisch eine Zweigstelle des chilenischen Geheimdienstes.
Schon in früheren Songs wurde die Sowjetdiktatur von Bernie kritisiert. Den russischen Einmarsch in der Tschechoslowakei am 21. August 1968, der den Prager Frühling beendete, vergleicht er in Les Brutes/Mindless mit der Besetzung durch die Nazis ("Mindless beasts searching for a victim / Can’t recognize the uniform / Bringing back vague memories").
Das Vertrauen in die eigene Regierung ist jedoch auch nicht sonderlich groß ("Surrounded by the impotent and self-satisfied / You promise us contentment in record time"), aber in La Grande Illusion / The Big Illusion ruft Bernie nicht zur gewaltätigen Revolution auf, sondern dazu, eine Änderung durch die Abgabe seiner Stimme an der Wahlurne herbeizuführen ("Vote, vote, vote!") bzw. überhaupt einmal den Mund aufzumachen. Im Text wird auch das Bandlogo, der Bulldozer, erklärt: . "... My bulldozer is the symbol of the angry youth / That refuses all your deals and twisted truths...". Dies kann man wohl als Credo von Trust stehen lassen, und mit den 25 Jahren, die Bernie alt war, als Marche Ou Créve erschien, wirkt er als angry young man auch durchaus noch glaubwürdig.
War das Vorgängeralbum Répression schon Bon Scott gewidmet, setzt die Band ihm auf dem Nachfolgealbum mit Ton Dernier Acte / Your Final Gig ein musikalisches Denkmal. Die enge menschliche Verbundenheit zu Bon Scott drückt die letzte Strophe aus: "I wish that I had been there sitting close to you / From the coma to death, my friend, you'd never have gone right through / I would have kept you warm I know , never have left you there / And I'm angry even now I missed you by so little / I wanted to speak of this guy who died in February / I wanted to speak of Bon Scott, he was my best mate".
Etwas seltsam mutet es an, daß der Song Misère nicht auf Savage übernommen wurde (auf der Bandhomepage wird rückwirkend von einem "political and strategic manoeuvre" gesprochen). In dem Song beklagt Bernie zuerst den Niedergang der einst von ihm verehrten Rock’n’Roll-Helden, um danach auf die Regierung Thatcher loszugehen, die er für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfall Englands einhergehend mit Käuflichkeit des englischen Establishments und der Entstehung von Armenghettos verantwortlich macht. Ausschlaggebend für die Verbannung des Songs mag die Erwähnung des Nordirland-Konflikts und insbesondere des bekannten IRA-Kämpfers Bobby Sands (http://de.wikipedia.org/wiki/Bobby_Sands) gewesen sein. Bobby Sands starb an den Folgen eines Hungerstreiks am 5. Mai 1981. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", mag in diesem Zusammenhang übertrieben sein, ein schaler Beigeschmack bleibt aber.
Englische Bands taten sich leichter, die Zustände im eigenen Land zu beschreiben, z.B. Judas Priest aus dem Industriemoloch Birmingham, damals noch als das "Evangelium des Heavy Metal" gerühmt, verfassten mit Breaking the Law vom legendären British Steel-Album einen Text zum englischen Dilemma der späten Siebziger/frühen Achtziger, worin sie ziemlich drastisch die Selbstrechtfertigung eines exemplarischen Underdogs thematisieren, der Kriminalität als einzigen Ausweg aus seiner Chancen- und Perspektivlosigkeit sieht (siehe auch Comme Un Damné auf L’Elite).

Beim Schreiben dieses Artikels habe ich mir öfter die Frage gestellt, ob es eigentlich in Deutschland eine vergleichbare Band wie Trust gab, also die Verbindung von aggressiven Rock mit politischen Texten. Zeitgenossen waren BAP, die sich 1976 gründeten, und deren Frontmann Wolfgang Niedecken, der heute das einzige verbliebene Gründungsmitglied ist, nur fünf Jahre älter als Bernie Bonvoisin ist; und Gitarrist (von 1980 bis 1999) Klaus "Major" Heuser kann als Gegenstück zu Norbert "Nono" Krief gesehen werden. Der kommerzielle Erfolg in der gemeinsamen Wirkenszeit dürfte in Deutschland ähnlich gewesen sein, wie der bei Trust in Frankreich, obwohl man BAP nur in der Gegend um Köln ohne Textblatt verstanden hat. Textlich standen und stehen BAP eher in der Tradition von Bob Dylan oder Bruce Springsteen, also politisch engagiert und lyrisch anspruchsvoller. Ich kenne von BAP nicht so viel, vor allem die letzten 15 Jahre ihres Schaffens muß ich mir nicht antun, aber auf den frühen Alben oder auf dem Live-Album Bes demnähx von 1983 kracht’s manchmal ganz gut. Trotzdem vermute ich daher mal, daß die Schnittmenge mit dem Publikum der Sex Pistols , AC/DC oder Rose Tatoo nicht allzu groß war. Deutschrock allgemein hatte bis etwa Mitte der 90er Jahre ja oft etwas unangenehm Sozialpädagogenhaftes (wurde also offensichtlich nicht von Leuten gemacht, die in dem Bereich arbeiten, und falls doch – umso schlimmer...), die Sprache von Trust war da schon drastischer und konkreter - als Wahlhelfer für die SPD konnte man sich die Band wohl kaum vorstellen!

Tatsächlich als Wahlhelfer war auch eine andere deutschsprachige Rock-Band unterwegs, und zwar 1984 für die Grünen, aber da waren Ton Steine Scherben schon am Ende. Ihre damalige Managerin, Claudia Roth, machte jedoch bei der Partei Karriere. Als "Brüder im Geiste" stehen sie Trust sicher näher als BAP, wenngleich sie eine vielleicht etwas naive Vorstellung vom Kampf und Sieg der "Arbeiterklasse" hatten. Ihre Hochzeit hatten die Scherben mit ihren ersten drei Alben von 1971 bis 1973, insbesondere mit dem Klassiker Keine Macht für Niemand, passenderweise hat der Titel des letzten Trust-Albums Ni Dieu, ni Maître ("Weder Gott noch Herr" – ein Motto der Anarchisten) eine ähnliche Aussage. Mehr zu TSS findet ihr auch in diesem Web-Zine und zwar hier. Kommerziellen Erfolg hatten die Scherben praktisch keinen, auch weil dieser in der Szene, aus der sie ihr Publikum rekrutierten, verpönt war. Rio Reiser mußte mit seiner Solo-Karriere den riesigen Schuldenberg abbezahlen. Die Band versuchte, ihre politischen Botschaften zu leben, u. a. in der Landkommune in Fresenhagen, scheiterte schließlich aber doch an den eigenen Ansprüchen oder den zwischenmenschlichen Realitäten. Und das Verhaftetsein in der linken und linksradikalen Szene stand einer größeren Wirkung nach außen entgegen. Erst viele Jahre später wurde die immense Bedeutung der Band für die deutsche Rock-Musik deutlich.
Ton Steine Scherben durften sich nie eingestehen, eben auch Rock-Stars sein zu wollen (denn die Vorbilder waren schließlich nicht Marx und Engels, sondern die Stones und MC5), BAP hingegen hatten nie ein Problem damit, in großen Hallen aufzutreten und dafür entsprechend entlohnt zu werden. Beides zusammen, politisch deutliche Aussagen und kommerzieller Erfolg als Rock-Band oder –Star, scheint in Deutschland nicht zu funktionieren. Wie schon eingangs vermutet, ist dies vielleicht eine Mentalitätsfrage. Das Rock-Album und das Live-Konzert als zeitgemäßer Ausdruck der in der französischen Kultur verwurzelten Einstellung zum Thema "Revolution". Hierzulande tut man sich damit und mit der eigenen Geschichte überhaupt schwer und glaubt, der Welt mit Sachen wie der Fussballweltmeisterschaft beweisen zu müssen, daß man "ja eigentlich ganz anders ist" und dabei Nazis in ostdeutschen Parlamenten sowie latenten Antisemitismus in der Gesamtbevölkerung unterschlägt. "Patriotismus", oder wie immer man das bezeichnen will, wird dann mit Deutschlandfähnchen am Auto und peinlichen Hip-Hop-Hymnen auf die Nationalmannschaft ausgedrückt. Die Tatsache, daß wir auf dem besten Weg sind, daß das neue "Prekariat" wohl auf Dauer Deutschland stärker repräsentiert als hochbezahlte Spitzensportler im Fußballtrikot, passt nicht in dieses Deutschlandbild. Womit ich doch noch irgendwie die Kurve zurück zur Philosophie von Trust gekriegt habe. Und wir wieder zu Marche Ou Crève zurückkehren können.

Nach Veröffentlichung des Albums war die Band u. a. in Deutschland (zusammen mit Iron Maiden) unterwegs, und das Konzert vom 5. Juni 1982 in Köln wurde europaweit im Fernsehen im "Rockpalast" übertragen (außer in Frankreich) – mit L’Elite und Antisocial in 7- bzw. 8-Minuten-Fassungen und Bernie im Solidarnosc-Shirt! Die Band stand vor der Entscheidung, entweder mit AC/DC oder Judas Priest in den USA zu touren oder weiter Frankreich zu beackern. Man konnte sich nicht entscheiden, und so ging es in Frankreich weiter. Die Tour mit Auftritten in großen Arenen mit dem "Bulldozer" auf der Bühne (schön auf dem Cover von Savage zu sehen) wurde ein finanzielles Desaster. Der Anfang vom Ende kündigte sich an.

- Martin - (mit Ergänzungen von Klaus)

Bildnachweis: (1) vom Innersleeve von "L'Elite"Trust 1982, (2) Magazincovers, collec privée B. Renotte, www.trust.tm.fr, (3) Backcover "Répression", (4) Trust mit Bon Scott, Innersleeve "Répression", (5) "Marche Ou Crève" Cover, (6) Trust 1982, Archives perso Christophe Conan, www.trust.tm.fr, (7) Augusto Pinochet 1975, Archivo Clarín Argentina, public domain, (8) Schriftzug des "Keine Macht Für Niemand"-Albums von Ton Steine Scherben


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