„The Perfect Life“ ist bisher mein Album des Jahres. Ein Bekannter steckte
mir die CD zu, mit dem Hinweis, JUD würden demnächst hier in der Stadt
spielen, und zwar „eines der besten Konzerte überhaupt“. Und die Vorband
wäre auch gut, er würde da singen.
Stefan
hatte mich schon mit Stoner-Rock, wie KYUSS oder WALL OF SLEEP angefixt, so
dauerte es keine drei Durchläufe bis „The Perfect Live“ hängen blieb.
Bis zum heutigen Tag habe ich mir das Album, einschließlich der Tape-Kopie
für Autobahnfahrten, ca. 30mal angehört.
Bei JUD fallen zentnerschwere, flirrend verzerrte Gitarren aus den Lautsprecherboxen
(tolle Stilblüte, merke ich gerade; laß‘ ich so), brummen die Bässe
und poltert das Schlagzeug, aber ohne den Sound nach sogenanntem „New Metal“
klingen zu lassen. Ist ja immer etwas plump, bei Stilbeschreibungen Vergleiche
mit anderen Bands zu ziehen, doch dem Leser ist sicher am meisten damit geholfen,
wenn er sich bei JUD in etwa KYUSS mit leicht psychdelischen U2 vor sein inneres
Ohr holt. Melancholisches (bezeichnenderweise bei „Lovesong“ und „The More I
Love You“), wechselt sich mit Lawinenabgängen („Fast & Low“, „Nothing
New“), zwingenden Gitarre/Bass-Räuschen („Killing Time“) und Fast-Ohrwürmern,
wie dem Titelstück, ab. Der klare Sprechgesang von David Clemmons würde
sich gut zur Akustik-Klampfe machen, was er, wie ich gelesen habe, bei seinem
Nebenprojekt „The Fullbliss“ zur Geltung bringen soll. Wie gesagt, die Musik
von JUD artet nie in Gebolze oder minutenlanges selbstweckhaftes Vor-sich-hin-Tieftönen
aus. Post-Core-Rock, habe ich woanders gelesen.
„Perfect Live“ ist das zweite Studioalbum von JUD. Das Debüt erschien 1996,
dazwischen veröffentlichte die Band zwei EPs mit Live-Aufnahmen und eine
Studio EP.
Natürlich
wollte ich hören, wie JUD die auf der CD enthaltene Musik live reproduzieren
würden, und so fand man sich am 24. Mai in der Alten Mälzerei in
Regensburg ein. „She She Lounge“ als regionale Vorband spielten hektischen
Hardcore mit Stakkato-Gesang. Unterhaltsam. Schon beim ersten Song von JUD
kündigte sich an, daß dies ein lautes Konzert werden würde.
Ein sehr LAUTES. Noch am nächsten Tag hatte ich ein Pfeiffen in den Ohren.
Etwas schade, denn die Band spielte fast das komplette neue Album und ein
paar ältere Stücke. Bei so extremer Verstärkung, vor allem
im Bass-Bereich, gingen leider die Feinheiten verloren. Die drei kahlköpfigen
Musiker (bis auf Dave Clemmons, der sich, im Gegensatz zum Foto auf dem Album,
eine Art Kurz-Iro stehen ließ) machten jedoch einen sehr sympathischen
Eindruck und zeigten eine hervorragende körperliche Kondition. Das Rumgepose
überließ sie den Kasperln am Bühnenrand, die heute noch den
Hardcoreler geben und morgen mit dem geleasten BMW vor der, mit einer dreißigjährigen
Hypothek belasteten, Eigentumswohnung vorfahren. Dave Clemmons kündigte
an, dieses Konzert evtl. auf einer Live-CD rauszubringen. Auf ihrer Homepage
bezeichnet die Band das Konzert in Regensburg als „the number one show of
the tour“.
Komischerweise gefiel mir das Album (nachdem ich wieder deutlicher hören
konnte), nach diesem Konzert, in das ich wohl zu hohe Erwartungen gesetzt hatte,
noch viel besser. Ich hörte es quasi nun mit, äh, anderen Ohren.
Mein Kollege zitiert in seinen Besprechungen gerne lange Textpassagen. Hier ist „Knowhere“, das letzte Stück das Albums. Interpretation offen.
If you’re dead, things come slow / If you’re dead, you feel so low / Jump into river
Swim to the shore / Climb over mountain / Crawl on the floor / Jump into
water
Swin to the sea / Climb over mountain / Take you with me / Jump into river
Swim to the sea / Climb over mountain / Take you with me / Jump from the
water
Walk to the shore / Step into knowhere
Open the door
„The Fullbliss“ sollen im September hier auftreten, so gut hat es Dave Clemmons gefallen, scheint es. Wenn nix dazwischen kommt bin ich dort.
- Martin - 08/01
Um ein Zitat von Rock Hard-Chefredakteur Kühnemund abzuwandeln: Außer der Tatsache, daß diese CD „verbrannt“ bei mir ankam, kann ich an ihr nichts Negatives feststellen. Jean Pütz aus der „Hobbythek“ würde vielleicht noch darauf hinweisen, daß sich beim Brennvorgang wohl der Fehlerteufel eingeschlichen hat, aber das mindert die musikalische Klasse von JUD nicht. Das in L.A. beheimatete Trio weiß mit einem Sound zu gefallen, den man Anfang der 90er wahrscheinlich als Grunge bezeichnet hätte, als aktuellere Referenz wären Gruppen wie QOTSA oder STAIND zu nennen. Eingängige Stücke wechseln sich mit etwas sperrigem Material ab, so daß „The perfect life“ selten einmal langweilig wird und eigentlich über die gesamte Laufzeit angenehm unterhält. Besonders gut sind JUD dann, wenn sie wie in „Flake“ oder „Nothing new“ rhythmisch-flott zur Sache gehen. Der Gesang klingt mal verzerrt, mal melodisch wie im Titelstück, das geschickt zwischen schnellen, eingängigen und komplexeren Abschnitten hin und her pendelt. Ruhigere Töne mit gelegentlichen Ausflügen in härtere Gefilde gibt es auch zu hören („As long as the sun is out“ & „The more I love you“), den Abschluß des Albums bildet das leicht abgedrehte „Knowhere“. Prädikat: Kein „überragend“, da für meinen Geschmack ein paar noch mehr zündende Songs fehlen, aber ein definitives „gut“ kann man hier schon vergeben. Wer sich für gefällige, angenehm klischeefreie Rockmusik erwärmen kann, sollte dieser Band vielleicht mal ein Ohr leihen.
- Stefan - 9/01
Am
12.09.01 spielten THE FULLBLISS, die zweite Band von JUD-Sänger/Gitarrist
Dave Clemmons (wieder ein Trio), in der Mälzerei in Regensburg. Am
Tag zuvor hatten Terroristen Passagierflugzeuge in das World Trade Center in
New York und auf das Pentagon stürzen lassen und damit eine Katastrophe
von noch nicht absehbarem Ausmaß herbeigeführt. Ich weiß gar
nicht, wie oft ich das WTC bis zum Mittag des 12. habe einstürzen sehen;
vor allem bei den privaten Sendern und bei CNN liefen die Szenen ja pausenlos
im Hintergrund. Da gehört schon ein gutes Stück journalistische Abgebrühtheit
dazu.
Jeder hätte die Amerikaner verstanden, wenn sie diesen Auftritt abgesagt
hätten. Doch THE FULLBLISS waren da, wenn auch durch einen Stau auf der
Autobahn verspätet, und führten gerade den Soundcheck durch, als ich
ankam.
Der Auftritt war in die Kellerbühne der Mälzerei verlegt worden, die
von den etwa 60 Anwesenden gerade zur Hälfte gefüllt wurde.
Vorband waren SLOW von hier aus der Gegend, denen KYUSS nicht fremd waren.
Dave Clemmons kündigte zu Beginn an, daß dies der letzte Auftritt
ihrer Tour sein würde, der Rest würde gecanceled werden, because
of the things that happened. Alle Songs von THE FULLBLISS würden zu
einem Tag, wie diesem, passen, und verständlicherweise wäre dieser
Auftritt heute ohne party, happiness and that shit. (Später erfuhr
ich, daß THE FULLBLISS sich doch noch entschieden haben, die Tour fortzusetzen
und sie mit einem Auftritt in Bielefeld am 23. September abschlossen).
Die Beleuchtung war sehr sparsam; nur der Schlagzeuger wurde durch blaues Licht
aus der Szenerie hervorgehoben.
Was folgte, war wuchtig und melancholisch zugleich, die etwas ruhigere Seite
von JUD, auch mit mehreren leisen Stellen. Die manche Leute scheinbar nicht
ertragen können, ohne laut mit ihrem Nachbarn zu reden. Ein Rock-Konzert
ist zwar keine Opernaufführung, aber ein Mindestmaß an Respekt sollte
man den Musikern auf der Bühne schon entgegen bringen, außerdem nervt
es die anderen Zuhörer. Nach zweifacher Aufforderung von Dave Clemmons
(„There are people who want to listen, if you want to talk - get out. This
is no joke.“) kehrte Ruhe ein.
Zur Zugabe griff Dave nochmal zur Akustikgitarre und zupfte ganz alleine ein
sehr stilles Lied. Ganz zum Schluß wurde nochmal richtig Druck gemacht,
und dann wurden die Zuschauer in die kühle, regenerische Nacht entlassen.
So war das, am 12. September 2001.
- Martin - 09/01
Da
ich beim Konzert nicht genug Geld dabei hatte, konnte ich mir das erste Album
von THE FULLBLISS nicht gleich mit nach Hause nehmen. Es hat in Deutschland
bisher keinen Vertrieb, der Plattenladen konnte es aber über den Flight
13-Mailorder beschaffen.
Aufgrund dessen, was ich ein paar Tage zuvor live gehört hatte, erwartete
ich eine gemäßigtere, melancholischere und teil akustische Version
von JUD - und wurde überrascht, wie schon lange nicht mehr.
Der Begriff „Kammermusik“ kam mir nach dem ersten Durchhören in den Sinn,
denn THE FULLBLISS haben viele Stücke mit Violine, Bratsche (eine etwas
größere Bauart der Violine und etwas tiefer gestimmt, sagt das Musiklexikon),
Bass (dieses mannshohe Ding) und Akustikgitarre instrumentiert. Mit der Standardbesetzung
einer Rockband hört sich das dann freilich live schon etwas anders an.
Ich habe Dave per e-mail gefragt, ob sie denn die Stücke auch schon live
mit dieser eher ungewöhnlichen Besetzung gespielt haben und erhielt darauf
eine nette Anekdote:
„About live with violin, yes, and it was always cool, but my old girlfriend
was the violinist and we used to fight on stage, and the people hated that.
I used to hit her, and then she would hit me, and then we would lose our place
in the song, and the show would end not so nicely. but we think about
bringing in Anne de Wolff for the next tour (she is playing on the new FULLBLISS
recording).“
In dieser Andersartigkeit des Studioalbums kommt die Singer-/Songwriter-Seite
von Dave Clemmons wesentlich stärker zum Tragen:
Da sitzt einer auf der Veranda vor seinem Haus am Rande einer großen amerikanischen
Wüste, ein Gewitter zieht herauf. Die Liebe seines Lebens hat ihn verlassen,
der Job wurde ihm gekündigt, und der Gerichtsvollzieher war da. Doch das
alles ist unwichtig in diesem Augenblick, in dem er ein kühles Bier in
seinen Händen hält, oder, um es mit Dave Clemmons gleich zu tun, einen
guten Rotwein. Die ersten Blitze zucken, Regentropfen werden auf sein Gesicht
geweht. Scheißegal.
„The thrill is gone / the party has ended, and our skies are bending / all the walls have come down / I’m moving on / and I’m growing older, and my dreams are over / still the birds and the bees, are singing to me...“ („The Thrill Is Gone“)
Schönes Album, was für ruhigere Stunden im Ohrensessel.
Einen Vorgeschmack auf das geplante zweite Album „This Temple Is Haunted“ geben die drei Song auf „A Haunted Promo“, welche stärker in die Richtung des Live-Auftritts tendieren. Wie man an das Teil kommt, dürfte auf der FULLBLISS-Homepage (siehe unten) zu erfahren sein.
- Martin - 10/01
In der nachfolgenden Besprechung stellt Heiko ein paar Mutmaßungen zu
Dave Clemmons‘ Vergangenheit an, und natürlich hat er Recht. Per e-mail
bestätigte mir dies Dave anfänglich zögernd:
„Oh my god, the DAMN THE MACHINE question, hmmm well I have a twin brother,
with the same name, and it might have been him....of course that was me, prog
rock god, but dont tell too many people“.
Na ja, darüber brauchen wir uns hier wirklich keine Sorgen machen...
Zu Dave Clemmons kann ich vielleicht mit einer Information dienen. Es gab nämlich
einen eben solchen der als Sänger/Gitarrist neben den Poland-Brüdern
(deren Chris bekanntlich bei Megadeths "Peace Sells..." mitwirkte) bei der 1993
ihr selbstbetiteltes erstes und, soweit ich informiert bin, einziges Album veröffentlichenden
Gruppe Damn The Machine beteiligt war. Würde mich doch sehr verwundern,
sollten er und der Dave Clemmons von Jud nicht ein und die selbe Person sein.
Die Damn The Machine CD, welche ich vor vielleicht drei Jahren für'n lausigen
Fünfer Second Hand abgriff, ist im übrigen qualitativ superb und fällt
stilistisch aus allen Schubladen - eine Handvoll härtere Riffs, durchaus,
aber vermehrt die fließenden Grenzen dessen, was man gemeinhin als "Metal"
bezeichnet mal überschreitend. Es finden sich v.a. vom Zusammenspiel von
A- & E-Gitarren aufgebaute unkoventionelle Harmoniegebilde vor, filigran
und komplex aber immer nachvollziehbar bleibend. Die scharfen Konturen eines
düsteren Realismus, sowie demgegenüber oder vielmehr gerade deswegen,
ein über allem wehender Hauch von Melancholie prägen das Bild der
Formation, passend dazu Daves guter, natürlicher Gesang. Zum absoluten
Überflieger, das muß man zugestehen, hat's dennoch damals noch nicht
so ganz gereicht (vielleicht 86 von 100, um mal wieder die gute alte Skala zu
bemühen), jedoch Songs wie "The Mission", "Fall Of Order", "Honor", "On
With The Dream", "Silence" oder der abschließende Knaller "Humans" lassen
nach wie vor nicht unbeeindruckt!
Unnötig eigentlich noch zu erwähnen, daß solch eigenwillige
Musik ohne modisches oder provokantes Image sich nicht vermarkten ließ
und nur wenige Liebhaber fand. So ist halt das Leben, äußerer Erfolg
ist meist nur den schrillen Marktschreiern vergönnt. Integrität und
Substanz wie in diesem Fall indes durchaus vorhanden, erachte ich als wertvoller
und dauerhafter.
- Heiko - 09/01
Mehr zu JUD und THE FULLBLISS auf deren HOMEPAGE
Zum 2002er-Album von THE FULLBLISS
Hier geht's zu Robert Eichensehers sehr umfangreichen deutschsprachigen Fanpage