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Kari Bremnes – Månestein (1997)

"Det e vanskelig med ord" ("Es ist schwierig mit Worten"), diese aus dem letzten Stück dieses Albums herausgegriffene Zeile scheint mir auch auf diese Plattenbesprechung zu passen, aber ich will es trotzdem mal versuchen.

"Månestein" ("Mondstein"), erschienen 1997, ist Kari Bremnes´ 6. Soloalbum. Obwohl ich es mir zusammen mit "Løsrivelse" im Juni (`99) und nur einen Monat nach der "Svarta Bjørn" gekauft habe, habe ich die beiden letztgenannten Alben bisher weitaus häufiger angehört. Ob´s am musikalischen Abwechslungsreichtum auf "Løsrivelse" und an der faszinierenden Geschichte von "Svarta Bjørn" liegt? "Månestein" ist wahrlich kein schlechtes Album, aber vielleicht – zumindest musikalisch – unscheinbarer, da die Songs überwiegend ruhig gehalten und die Arrangements sehr spartanisch/dezent ausgefallen sind. Songs wie "Skrik" und "Melankoli" auf "Løsrivelse" oder "Sangen om fyret ved Tornehamn" und "Byssan lull" auf "Svarta Bjørn", die mich schon gleich beim ersten Anhören begeistert haben, waren bzw. sind auf "Månestein" eben nicht vertreten. Nachdem ich mir die Platte aber mehrere Male in Ruhe angehört hatte, gefiel sie mir langsam immer besser.

Im ersten, recht rockig beginnenden Song "Du har sett dem" ("Du hast sie gesehen") beschreibt Kari ihre Gedanken beim Anblick einer Frau, die mit einem Kind in den Armen auf der Straße sitzt: "Det gjør dæ avmektig og engstelig at du ser, men kan ingenting gjøre" ("Es macht dich ohnmächtig und ängstlich, daß du siehst, aber nichts machen kannst"). Während die beiden ersten Strophen mit dem Wunsch enden: "Gud, hvess Du verkelig e: La elendigheta foregå et anna sted" ("Gott, falls du wirklich existierst: Laß das Elend an einem anderen Ort geschehen"), heißt es in der dritten: "Du kan ønske for alle at våren blir grønn, men du ser at du ser og du forme ei bønn: Gud, hvess Du hadde oss kjær, så la kjærlighet foregå her" ("Du kannst für alle wünschen, daß der Frühling grün werde, aber die siehst, was du siehst, und formulierst ein Gebet: Gott, falls du uns lieb haben solltest, dann laß die Liebe hier geschehen").

Das nachfolgende "Englevaksted" ("Engelwacht") ist aus der Perspektive einer Person geschrieben, deren Partner/Freund (?) sich in einer geschlossenen Anstalt zu befinden scheint: "Kordan har du det der i det lukkede rom" ("Wie geht es dir da in dem geschlossenen Raum?"). – Vermutlich wegen Selbstmordgefahr, sofern ich den Text richtig interpretiert habe. Am Ende heißt es: "Kvite engla søng at livet kan vær venn. Ber at du får lyst å leve det igjen. Her ute e det vind og store trær når du kommer skal æ være der." ("Weiße Engel singen, daß das Leben schön sein kann. Ich bete, daß du wieder Lust bekommst, es zu leben. Hier draußen sind Wind und große Bäume. Wenn du kommst, werde ich dort sein.") Der Song beginnt sehr ruhig/sanft, steigert sich aber im weiteren Verlauf, und gegen Ende setzt dann auch noch eine Hammond(?)-Orgel ein, was nach meinem Empfinden gut paßt.

Im musikalisch etwas munteren "I mai" ("Im Mai") geht es darum, wie sich zwei gegensätzliche Personen (sie kam aus der Tundra und war kalt, er war ein Wüstenjunge) einst im Mai begegneten, verliebten und ein "ørkentundrabarn" ("Wüstentundrakind") zeugten. Im Laufe der Jahre sehnten sie immer wieder den Mai herbei, aber es war nie mehr wie früher: "Og han brenn ut og ho blir kald og hard, men barnet får et hjerte for både februar og måned mai." ("Und er brennt aus und sie wird kalt und hart, aber das Kind bekommt ein Herz sowohl für Februar als auch den Monat Mai.")

"Skjulemester" ("Versteckmeisterin") – ein sehr langsamer, fast verträumter und auch leicht melan-cholischer Song – handelt von einer Frau, die keinen Mann richtig an sich heranläßt: "Sie zeigt dir nur das, was du sehen willst und das, von dem sie weiß, daß du es verstehst, aber bitte sie nicht um Vertraulichkeit, dann riskierst du, daß sie geht." Am Ende heißt es: "Ho veit at hvis ho vis dæ hjertet sitt da risiker ho at du går." ("Sie weiß, daß sie, falls sie dir ihr Herz zeigt, riskiert, daß du gehst.")

Das musikalisch wieder etwas flottere "Usynlig" ("Unsichtbar") ist aus der Perspektive einer Frau ge-schrieben, die sich so unscheinbar verhalten kann, daß sie von ihrer Umwelt gar nicht richtig wahrge-nommen wird: "Du triffst mich auf dem Weg zur Arbeit, du weißt nicht, daß du es tust...ich gehöre zu denen, die man bemerkt wie einen Türpfosten, eine Zauntür, man passiert (sie) oder setzt sich drauf, blindlings. Ich wurde als Kind ausgewischt, ich kann nicht wieder hineingezeichnet werden als Frau." Bei diesem Song wird Karis Stimme über weite Strecken nur von Baß und Schlagzeug begleitet.

Bei der schönen Ballade "Rose" handelt es sich um eine Coverversion des mir unbekannten Songs "The Rose" von Amanda McBroom, wobei Kari den Text ins Norwegische übersetzt hat.

Einer meiner Lieblingssongs auf "Månestein" ist der vom Gesang und der Melodieführung her sehr schöne Titelsong, der einerseits recht munter, zugleich aber auch leicht melancholisch klingt. Auch hier geht es wie schon bei "I mai" um eine Beziehung zweier gegensätzlicher Charaktere. Er kommt aus der Polarnacht und es zieht ihn immer dorthin, "kor det glitre i turkis og månesteina"("wo es glitzert in Türkis und Mondsteinen"), während sie ein Sommerkind ist. "...du e lys og glad, det e sol og varme der du høre hjemme. Æ skal følge dæ tel lyset bare æ får lov å dra når en landsdel rope med sin mørke stemme." ("...du bist hell und fröhlich, es sind Sonne und Wärme, zu denen du gehörst. Ich werde dir zum Licht folgen, wenn ich nur fortgehen darf, wenn ein Landesteil mit seiner dunklen Stimme ruft.")

In dem teilweise von einer Funk-Gitarre begleiteten "Ei tid for alt" ("Eine Zeit für alles") kann man feststellen, daß Kari durchaus auch Humor hat. Der Song handelt von dem letztlich vergeblichen Ver-such einer Frau, einen Mann, der ihr mit Büchern von Dostojewski, Anton Tschechow und Tolstoi in seinen Armen über den Weg läuft, zu verführen. Zunächst gibt sie Interesse an russischer Literatur vor. Schließlich lädt sie ihn ein und "han fortalte og fortalte og fortalte og fortalte over bordet, men det einaste han tok dæ på va ordet" ("er erzählte und erzählte und erzählte und erzählte über Bord, aber das einzige, bei dem er dich nahm, war das Wort"). Auf den Hinweis, "at livet live e også interessant. Det e fleir en Dostojewskij som kan rase rundt i blodet" ("daß das Leben live auch interessant ist. Es gibt mehr als Dostojewski, das im Blut herumrasen kann."), saß er da "med blikket tel en sel" ("mit dem Blick eines Seehundes") und rief: "du ville ha en mann, men fant ei sjel og du finnes faktisk ikkje verdig den!" ("Du wolltest einen Mann haben, aber fandest eine Seele, und du bist dieser tatsächlich nicht würdig!") So ging er und kam nie wieder. Und sie denkt sich: "Men altfor mye sjelsliv e som altfor mye fett, og med støtte i en annen, som e kjent for å vær klok, som du også veit å finne i ei bok vil du meine...: Det e ei tid for sjel...og ei annen tid for hofte." ("Aber allzuviel Seelenleben ist wie allzuviel Fett, und gestützt auf einen anderen, der bekannt dafür ist, klug zu sein, den du auch in einem Buch zu finden weißt, willst du meinen...: Es gibt eine Zeit für die Seele...und eine andere Zeit für die Hüfte.")

Das nachfolgende "Formiddag i Portobello" ("Vormittag in Portobello") ist ein ganz entspannter/ent-spannender Song, der von zwei Schwestern handelt, die an einem sonnigen Tag im November gemein-sam über einen Jahrmarkt in Portobello spazieren, in Erinnerungen an frühere Zeiten schwelgen und feststellen, wie doch die Zeit vergeht.

In "At nåkka ska forandre sæ" ("Daß sich etwas verändern wird") mit seinem richtig rockigen Refrain, geht es um eine Frau, die genau diesen Entschluß gefaßt hat, weil sie mit der jetzigen Beziehung nicht mehr zufrieden ist: "Du e hekta på jobben og Saaben din. Også har du vært hos mor di og spist." ("Du bist verhakt mit deinem Job und deinem Saab. Auch bist du bei deiner Mutter gewesen und hast (dort) gegessen.") Sie denkt daran, wie still es bei ihr ist und wie fett er geworden ist, daß sie krank davon ist, auf das Leben zu warten, und sie will, daß jemand es herholen soll.

Im abschließenden, nur ganz dezent von einem Klavier begleiteten "Sang til en mann" ("Lied an einen Mann") beschreibt Kari die Schwierigkeiten, die geeigneten Worte für ein Liebeslied zu finden, ohne in Klischees und abgedroschene Phrasen zu verfallen: "Det e vanskelig med ord, de e liksom alle brukt og fra i fjor en gang." ("Es ist schwierig mit Worten, es ist, als wären sie alle schon einmal gebraucht oder vom vorigen Jahr.") Und in Zeilen wie "Æ ville gjerne gi dæ en sang, ikkje om at «Baby you must take me to the sea», æ veit da sjøl kor havet finns, ikkje den om at mitt hjerte «oh! belongs to daddy», det e du som e min prins" ("Ich will dir gerne ein Lied widmen, nicht das darüber, daß «Baby you must take me to the sea», ich weiß da selbst, wo das Meer liegt, nicht das darüber, daß mein Herz «oh! belongs to daddy», du bist es, der mein Prinz ist") kommt auch wieder etwas von ihrem Humor zum Vorschein.

Wenn ich die Texte hier so ausführlich behandle, dann deshalb, weil ich Kari Bremnes in dieser Hinsicht für eine der originellsten und intelligentesten Sängerinnen halte! Was die Musik betrifft, so sehe ich mich zu einer konkreten Stilbezeichnung außerstande. Mir fallen allenfalls Attribute wie klischeefrei, nicht "trendy" und MTV- bzw. VIVA-inkompatibel ein (was positiv gemeint ist). Am Sound gibt es nicht das Geringste auszusetzen, und was den variablen und der jeweiligen Stimmung perfekt angepaßten Gesang betrifft, so versteht es Kari Bremnes geschickt, an geeigneten Stellen immer wieder zu variieren, anstatt alle Strophen eines Liedes in derselben Weise durchzusingen.

Auch wenn ich mich wiederholen sollte: Es ist zutiefst bedauerlich, daß Kari Bremnes außerhalb Norwegens bislang kaum bekannt sein dürfte. Was die Qualität ihrer Musik und Texte angeht, dürfte sie die meisten ihrer in Englisch singenden Kolleginnen und Kollegen locker in die Tasche stecken! Aber in Deutschland haben wohl nur solche norwegischen Musiker Aussicht auf Erfolg, die entweder – wie einst A-ha – als Teenie-Schwarm vermarktbar sind oder aber Corpsepaint tragen und wie Pumuckl auf 78 Umdrehungen kreischen. – Beides trifft auf Kari Bremnes (zum Glück!) nicht zu.

- Burkhard - 08/99

[Eine Übersetzung der Texte - ohne Anspruch auf völlige Korrektheit - ist bei Burkhard erhältlich. Siehe Impressum]