Zur Rubrik "Hören"
Kommentieren
Zur Hauptseite
Zur Hauptseite
Worum's geht...
Musikmacher
Bewegte Bilder
Lesen
Anderes

Kari Bremnes – Gåte ved gåte (1994)

Auf ihrem 1994 erschienenen fünften Soloalbum stammen alle Texte und auch die Musik – bis auf einen Song, den ihr Bruder Ola komponiert hat - aus Karis Feder.

Im Gegensatz zum Vorgänger "Løsrivelse", für dessen Kompositionen allerdings nicht Kari zuständig war, fällt die überwiegend doch sehr dezent/spartanisch ausgefallene Instrumentierung auf, wodurch Karis Stimme noch stärker in den Vordergrund tritt, was aber auch für die Nachfolger "Månestein" (1997) und "Svarta Bjørn" (1998) gilt. So beginnt denn gleich der erste Song "En elsker i Berlin" ("Ein Geliebter in Berlin") a capella, bevor dann nacheinander Kontrabaß, Percussion, Gitarre und Akkordeon hinzukommen, wovon letzteres für eine gewisse melancholische Stimmung sorgt. Nach der zweiten Strophe gibt´s auch noch ein Trompetensolo. Inhaltlich geht es in diesem Stück darum, daß sich eine ältere Dame am Nachbartisch an einen früheren Geliebten in Berlin erinnert. Man erfährt, daß diese Beziehung letztendlich an einer guten Erziehung und (zuviel?) Vernunft gescheitert ist: "Eine gute Erziehung war kein Freund, so ist es wohl die Vernunft, die blind macht. Aber Leiden-schaft hat nie Regie geführt, und Segel können nicht gefüllt werden von der Brise des Anstands, so, wer wird jemals wissen können, wann es richtig ist im Leben zu gehen oder zu bleiben? Nicht du, nicht wir".

Mit "Fiola" folgt ein echter Tango. Der Text handelt von einer Frau namens Fiola, die anscheinend nichts im Leben richtig auf die Reihe bekommt. So hat sie es z.B. nie verstanden, ihr Zimmer zu möblieren, ihren Hund zu dressieren, ihren Schal zu drapieren, ihr Lied zu präsentieren, ihr Leben zu lackieren oder schließlich ihren Schrei rauszulassen.

Der Titelsong "Gåte ved gåte" ("Rätsel neben Rätsel"), der ein paar leicht jazzige Trompenteneinlagen enthält, beschreibt die Gedanken einer Person darüber, wie eine nun wohl endgültig zerbrochene Beziehung hätte gerettet werden können: "Wir hätten aufs neue beginnen sollen, hätten wissen sollen, was wir danach erfahren haben" und "Wir hätten wissen sollen...was eine Sackgasse ist und was eine Brücke, was wir töten sollen und was wir beschützen sollen...". Im Refrain heißt es: "Ganz still beiei-nander sein, der sein, der du im Innersten sein willst, nicht reden, nicht grinsen, nicht weinen, nur Rätsel neben Rätsel sein."

Das sanft-melancholische "I dine skap" ("In deinen Schränken") ist an eine Frau (vielleicht Karis Mutter?) gerichtet: "Wie willst du in Erinnerung bleiben?" Zunächst wird diese Frau mit einem Garten mit verschiedensten Blumen verglichen, "trocken und geizig, wenn er dort brachlag, freigebig, wenn er nicht durstig zu sein brauchte", in der zweiten Strophe mit einem Haus, das u.a. Frau Deprimiert, Fräulein Läßt-sich-leicht-Berauschen, Madam Vettel, Fräulein Gemütlich, Frau Hab-keine-Zeit! und "im Keller eine Mama, die gut war", beherbergt. "Was willst du, was sie in deinen Schränken finden sollen? Unglaublich schöne Schuhe, die du mit Verlust gekauft haben mußt? Was willst du, was sie in deinen Briefen finden sollen? Nur daß ich lebte, lebte, wie ich leben mußte".

In "En bar i Tanger" ("Eine Bar in Tanger") erzählt Kari, wie sie nach einem Theaterbesuch mit einem älteren Mann ins Gespräch kam, der ihr, obwohl sie ihn nicht kannte, seine bewegte Lebensgeschichte erzählte. Im Refrain heißt es: "Aber ein Fremder kann dich plötzlich sehen, dich ganz nah sehen, so daß du dir Gedanken machst darüber, wer du bist und wer du hättest sein können."

Das muntere, teilweise schon fast treibende "Togsang" ("Zuglied") handelt, wenn ich es richtig ver-standen habe, davon, wie sich Horizont und Zeit auf einer Reise "über Land und Erde" in einem abgenutzten roten Abteil trafen. "Sie reisten ineinander und sie reisten in ein altes Land, wo niemand an den Herbst glaubt, bevor er kommt." und "durch eine Landschaft, die kein Landvermesser sehen wird, wo das Gesetz ein Sinn ist und das Leben Richter."

"Lysbroen" ("Die Lichtbrücke"), ein sehr ruhiger und sanfter, leicht jazzig klingender Song, der mit einem Trompetenintro beginnt, ist dem norwegischen Bildhauer Kaare Espolin Johnson gewidmet. Er und seine Werke sind mir nicht näher bekannt, so daß ich dazu nichts sagen kann, doch Kari singt über ihn: "Sonderbarer Espolin, alle Dinge wußtest du, deine Bilder singen von dem, was wir tragen, und von dem, was wir verlieren werden."

Zu "De halve setningers gudinner" ("Die Göttinnen der halben Sätze") kann ich inhaltlich leider nichts sagen, da ich bislang keine mir sinnvoll erscheinende Übersetzung des Textes zustandegebracht habe. Auffällig sind bei diesem Song diverse Gesprächsfetzen im Mittelteil, und es könnte sein, daß auch der Songtext selbst (teilweise) aus solchen besteht, eben aus "halben Sätzen".

In dem leicht funkigen "Livet som blei borte" ("Das Leben, das abhanden kam") kann man Karis Gesang schon fast als Sprechgesang bezeichnen, womit jetzt aber keineswegs Rap gemeint ist: Rita jammert darüber, daß sie ihr Leben, das sie in die Garderobe gehängt habe, verloren habe. Sie beklagt sich: "Hier bekomme ich ein ganz anderes Fell zurück als das, was ich abgegeben habe.", woraufhin die Garderobiere sagt: "Hier müssen wir mit Schwund rechnen und mit Flecken und Rissen." Rita ist ganz geknickt. "Sie zeigt auf all die angepaßten Leben, die vorbeirennen, und sagt: Schau! So war das Leben, das ich hatte, bevor dies geschehen ist...Rita sagt, daß das Leben so rein und ohne Risse war, sie sagt, daß sie, als sie es forthing, nicht lange fort war. Aber das war sie." Sehr gut gefällt mir, wie Kari durch ihre Stimme die jeweilige Stimmung Ritas sowie auch der Garderobiere Laila charakteri-siert. Überhaupt finde ich, daß es Kari Bremnes sehr gut versteht, ihre Stimme den Stimmungen der Songs anzupassen und dabei immer mal wieder plötzlich den Tonfall zu ändern und somit für Ab-wechslung zu sorgen.

Kann eine Ballade einen Marschrhythmus haben? Falls ja, würde ich den letzten Song "En rød for alt det søte" ("Ein Rot für all das Süße") als eine leicht melancholische Pianoballade mit Marschrhythmus bezeichnen. Ansonsten würde ich von einem Marsch mit balladenhafter Pianobegleitung sprechen. Der Text klingt in meinen Ohren ziemlich verschlüsselt. Anstatt mich in irgendwelche Interpretationen zu versteigen, will ich einfach nur die letzte Strophe zitieren: "Nun kann ich wieder Lieder singen, ein Blau für einen neu gestrichenen Tisch, ein Weiß für barmherzige Worte, ein Glänzend dafür, daß du hier warst, ein Rosa für die Vertiefung in den Knien kleiner Mädchen, ein Grün für einen kleinen Jungen, ein Ultramarin, wenn eine Reise zu Ende geht, ein Gelb für alles, was wir treffen werden, ein Rot für all das Süße, ein Rot für all das Süße."

Auch wenn mir "Løsrivelse" und "Svarta Bjørn" (vor allem musikalisch) noch besser gefallen, ist "Gåte ved gåte" in jedem Fall ein hörenswertes Album, bei dem erneut vor allem Karis variabler und ausdrucksstarker Gesang sowie ihre originellen Texte hervorstechen.

- Burkhard - 09/99

[Eine Übersetzung der Texte - ohne Anspruch auf völlige Korrektheit - ist bei Burkhard erhältlich. Siehe Impressum]